Unterm Strich

Volkswagens Unternehmenskultur: Täuschen und Tricksen

Volkswagen hat es nicht verlernt. Die Wolfsburger setzen auf juristische Tricksereien und Täuschungsmanöver, um rechtliche Auseinandersetzungen und eine erst begonnene Sonderprüfung auszubremsen

Volkswagens Unternehmenskultur: Täuschen und Tricksen

Volkswagen hat es nicht verlernt: Täuschen und Tricksen. Bis zur Aufdeckung vor ziemlich genau sechs Jahren waren es die Tricksereien mit Motorensoftware, um den Behörden bessere Abgaswerte und den Kunden sauberere Dieselmotoren vorzutäuschen. Jetzt sind es juristische Tricksereien und Täuschungsmanöver, um die noch laufenden oder ausstehenden rechtlichen Auseinandersetzungen oder auch eine gerade erst begonnene Sonderprüfung auszubremsen, mit denen die Vorgänge von damals und die Verantwortlichkeiten transparent aufgearbeitet werden könnten. Da auch der Konzern-Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch und der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess befürchten mussten, dass in Prozessen und Organhaftungsklagen gegen frühere Konzernvorstände und Manager wie Martin Winterkorn und Rupert Stadler die eigene Rolle in keinem guten Licht erscheinen würde, wurde die „Dieselthematik“ nach bewährter Wolfsburger Manier bereinigt: im Schulterschluss von Familienaktionär, Land Niedersachsen und IG Metall beziehungsweise Betriebsrat.

Großaktionäre unter sich

In der virtuell abgehaltenen Hauptversammlung am Donnerstag haben die VW-Großaktionäre – die Familien Porsche und Piëch mit 53% der Stammaktien, das Land Niedersachsen mit 20% und das Emirat Katar mit 17% – die Beschlussvorlagen durchgepaukt, die alle Regeln guter Corporate Governance und Best Practice missachten.

Arroganz der Macht

Die Mehrheit von 99,9% der stimmberechtigten Stammaktien für die Vergleichsvereinbarungen mit dem früheren VW-Chef Winterkorn und Ex-Audi-Chef Stadler sowie den D&O-Versicherern entspricht der autokratischen Tradition im VW-Reich und erweckt den Anschein besten Einvernehmens auf der Aktionärsseite. Die fundierte Kritik namhafter institutioneller Investoren – von DWS über Union Investment und Deka bis zu Hermes – wie auch renommierter Corporate-Governance-Experten, Aktionärsvereinigungen und Gesellschaftsrechtler ließen die Großaktionäre an sich abperlen. IG-Metall-Chef und Vize-Aufsichtsratsvorsitzender Jörg Hofmann besaß gar die Chuzpe, zu behaupten, dass aus den laufenden und ausstehenden Verfahren ja ohnehin keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien und man nun einen Schlussstrich ziehen wolle.

Dieser Schlussstrich kommt mit völlig unangemessenen Beträgen zur falschen Zeit. Jene 11,2 Mill. Euro, mit denen Winterkorn für seine Pflichtverletzungen davonkommen soll, und jene 4,1 Mill. Euro für Stadler sind insofern eine Frechheit, weil sie einerseits bisher nicht ausgezahlte Boni und Langfristprämien jener Jahre enthalten, als beide Herren aus gutem Grund ihre Vorstandsposten verloren. Andererseits entsprechen die Vergleichszahlungen in der Höhe nicht einmal den letzten vollen Jahresbezügen dieser langjährigen Vorstände. Die Zahlungen sind damit weder Schadenersatz noch haben sie eine Abschreckungswirkung. Wenn Pflichtverletzungen von Vorständen und dadurch ausgelöster Schaden von mehr 32 Mrd. Euro – und im Fall Winterkorn ermitteln die Staatsanwaltschaften ja noch wegen Betrugs – nur einen symbolischen Schadenersatz ohne Schuldanerkenntnis zur Folge hat, dann nähern wir uns Governance-Standards einer Bananenrepublik. Grundlage sind die „internen“ Untersuchungen, die für den Aufsichtsrat seit Jahren die Kanzlei Gleiss Lutz und den Vorstand die Anwälte von Linklaters vorgenommen haben. Damit stellt sich VW über das Recht. Dass eine börsennotierte Gesellschaft mit einem staatlichen Großaktionär auf der Grundlage selbst beauftragter Untersuchungen und Gutachten, für die man einen dreistelligen Millionenbetrag bezahlt hat, den größten Wirtschaftsskandal dieses Landes in Eigenregie beenden will, ohne die Ermittlungen von Staatsanwaltschaften und Urteile deutscher und ausländischer Gerichte abzuwarten, ist für sich genommen ein weiterer Skandal.

Keine unabhängige Aufsicht

Und deswegen darf und wird auch nicht Schluss sein mit der Aufarbeitung der Manipulation und der Ermittlung der Verantwortung. Denn es waren eben nicht nur Pflichtverletzungen einiger Vorstände und Manager. Grundlage des Dieselskandals war ein System, in dem Corporate Governance ein Lippenbekenntnis war und leider immer noch ist – wie gerade in der Hauptversammlung erneut unter Beweis gestellt mit der Wiederwahl von nicht unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern. Eine wirkliche Aufarbeitung wird es erst geben, wenn heute Verantwortliche wie Pötsch und Diess, die beim Auffliegen des Betrugs 2015 und den anfänglichen Vertuschungsversuchen auch schon dabei waren und von den Betrügereien namens „Defeat Device“ wussten, nicht mehr im Amt sind. Vor diesem Hintergrund ist die Wiederwahl des 70-jährigen Pötsch für eine Amtszeit von weiteren fünf Jahren erstens ein Zeichen fehlenden Aufklärungswillens und zweitens Ausdruck der Angst, dass eine schonungslose Aufarbeitung von Dieselgate das Image des Konzerns und seiner Führung schädigen würde. Ein Aufklärungshindernis ist auch Herbert Diess, der im Juli 2015 mit am sogenannten Schadenstisch stand, als Vorstände und Motorenentwickler die Manipulationen und die weitere Strategie gegenüber den US-Behörden diskutierten, der aber als Vorstandsneuling dann sein und des Unternehmens Heil in der Flucht nach vorn suchte und sich nun als der große Treiber der automobilen Runderneuerung des Konzerns präsentiert.

Gerade weil Volkswagen ein erfolgreicher Wandel zur Elektromobilität und CO2-Neutralität zu wünschen ist, dafür die Unterstützung aller Stakeholder benötigt und das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen muss, sind eine transparente Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit und eine neue Unternehmenskultur erforderlich. Die gerade in der Hauptversammlung wieder demonstrierte Unternehmenskultur des Täuschens und Tricksens passt nicht dazu.

c.doering@boersen-zeitung.de