Weltwirtschaft

Vom Petrodollar zum Petroyuan

Weltwirtschaft und Währungssystem stehen vor einem tiefgreifenden Wandel, unter dem vor allem Europa leiden wird. Es drohen Rohstoffmangel, langfristig hohe Inflation und Deindustrialisierung.

Vom Petrodollar zum Petroyuan

Am 14. Februar 1945 fand auf dem amerikanischen Kreuzer „USS Quincy“ vor der saudi-arabischen Küste ein denkwürdiges und folgenreiches Treffen statt. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt vereinbarte dort mit dem saudi-arabischen König Abdulaziz Ibn Saud, dass die USA Saudi-Arabien militärische Sicherheit gewähren und dafür einen garantierten Zugang zu saudischem Öl erhalten. Es war klar, dass die USA dafür in Dollar bezahlen würden, Saudi-Arabien verpflichtete sich also de facto, zumindest den USA das Öl in Dollar zu verkaufen.

1973/74, also rund ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Goldkonvertibilität des Dollar, gab es eine weitere Übereinkunft zwischen den USA und Saudi-Arabien, für die auf amerikanischer Seite der damalige Außenminister Henry Kissinger verantwortlich zeichnete. Mit Blick auf das damals stark aus dem Ruder laufende Haushaltsdefizit der USA einigte man sich darauf, dass Saudi-Arabien Öl grundsätzlich nur noch gegen Dollar verkauft und die Überschüsse daraus in den USA vor allem in US-Staatsanleihen anlegt und die Erzeugnisse der amerikanischen Rüstungsindustrie kauft. Dies war die eigentliche Geburtsstunde des Petrodollar, wobei aber anzumerken ist, dass auch viele andere Rohstoffe überwiegend in Dollar gehandelt wurden und werden. Dieses Arrangement hatte und hat für die Vereinigten Staaten enorme Vorteile. Da stets eine hohe weltweite Nachfrage nach Dollar besteht, können sich die USA beispielsweise zur Finanzierung ihrer enormen Rüstungsausgaben deutlich höher verschulden, als dies andere Länder könnten – die Investoren würden schlicht aus diesen Währungen fliehen.

Am 8. Dezember 2022 fand in Saudi-Arabien ein weiteres Gipfeltreffen statt, dessen Ergebnisse in den nächsten Jahren ähnlich weitreichende Folgen haben dürften wie die beiden bereits genannten Übereinkünfte. Diesmal allerdings ging es nicht um einen Besuch des US-Präsidenten oder Außenministers. Im Mittelpunkt stand der chinesische Präsident Xi Jinping. Und es nahm auch nicht nur das saudische Königshaus teil, sondern gleich sämtliche Spitzen des Golfkooperationsrates.

Xi unterbreitete den Ölmonarchien vom Persischen Golf ein verlockendes Angebot. China garantiert die Abnahme des arabischen Öls, will dieses aber künftig in der chinesischen Währung Yuan bezahlen. Eine Abnahmegarantie für das Öl ist insofern für die Produzentenländer wichtig, als die USA weitgehend Selbstversorger in Sachen Rohöl geworden sind, also nicht mehr auf arabisches Öl angewiesen sind wie in der Phase ab den 1940er Jahren. Dieses Gipfeltreffen könnte in die Geschichte eingehen als die Geburtsstunde des Petroyuan, also der chinesischen Währung als wichtigstes Zahlungsmittel für Rohöl und andere Rohstoffe. Diese Ansicht vertritt zumindest Zoltan Pozsar, Global Head of Short-Term Interest Rate Strategy von Credit Suisse, in einer jetzt vorgelegten Studie.

China hat nach Einschätzung des Staranalysten der Schweizer Großbank den Produzentenländern aber noch mehr zu bieten. Anlässlich des Staatsbesuchs wurden Handelsabkommen über mehr als 30 Mrd. Dollar vereinbart. Das Reich der Mitte bietet den Golfstaaten eine umfangreiche strategische und kommerzielle Partnerschaft an, die auch Allianzen im Bereich von Schlüsseltechnologien wie 5G-Kommunikation, erneuerbare Energien, Weltraumtechnologie und digitale Wirtschaft umfasst. China empfiehlt sich damit als Schlüsselpartner der arabischen Länder, die nicht länger auf die Rolle des Energielieferanten festgelegt sein wollen, sondern eine tiefgreifende industrielle Entwicklung und postindustrielle Transformation ihrer Volkswirtschaften und Gesellschaften anstreben. „Öl für Entwicklung“ ersetze das alte Paradigma „Öl für Waffen“, so Pozsar.

Ähnliche Übereinkünfte hat China auch mit weiteren Energie- und Rohstoffexporteuren, vor allem mit dem Iran und mit Russland. Das Reich der Mitte investiert rund 400 Mrd. Dollar in die wirtschaftliche Entwicklung des Iran und erhält dafür große Mengen iranischen Öls zu reduzierten Preisen, zahlbar in Yuan. China kauft auch bereits russisches Öl in Yuan, und Venezuela mit seinen enormen Ölreserven akzeptiert schon seit 2019 Yuan für Öl.

Neue Ordnung

Die Folgen dieser Initiativen können gar nicht überschätzt werden. Sie verändern die Weltwirtschaft und die geopolitischen Machtverhältnisse grundlegend. Die beschriebenen Veränderungen haben auch auf politischer Ebene gravierende Auswirkungen. Pozsar schreibt, es werde eine neue multipolare Weltordnung aufgebaut, und zwar nicht etwa durch die Staatschefs der westlichen G7-Länder, sondern durch die BRICS, die Pozsar mittlerweile als „G7 des Ostens“ sieht.

Es gehe, wie der Analyst prognostiziert, dabei vor allem auch um ein neues Weltwährungssystem, in dessen Mittelpunkt der Petroyuan steht. Zwar hat es schon oft Prognosen gegeben, die ein Ende der globalen Vorherrschaft des Dollars als weltweiter Handels- und Reservewährung vorhersagten, während die tatsächlichen Veränderungen zu Lasten des Greenback sehr langsam erfolgten. Xi sprach aber in Riad von einer mittelfristigen Perspektive, nämlich von drei bis fünf Jahren. Abgewickelt werden soll der Handel in Öl und Gas in Yuan laut chinesischem Vorschlag über die Shanghai Petroleum und Natural Gas Exchange. Die Abkehr vom Dollar ist für die Staaten vom Persischen Golf auch deshalb interessant, weil sie – geprägt von Entwicklungen im Ukraine-Krieg – bei möglichen Konflikten mit dem Westen die Beschlagnahme ihrer Gelder im westlichen Finanzsystem fürchten. Vor allem das Verhältnis des saudischen Kronprinzen und De-facto-Regenten Mohammed bin-Salman zu US-Präsident Joe Biden gilt als äußerst schlecht.

Laut Pozsar ist es von Bedeutung, dass die chinesische Währung über die miteinander kooperierenden Shanghai Gold Exchange und Hongkong Chinese Gold and Silver Exchange praktisch in Gold konvertibel sei, zumal die chinesische Notenbank People’s Bank of China (PBoC) zuletzt ihre Goldkäufe wieder aufgenommen hat. Dies dürfte den Yuan für Akteure aus anderen Staaten attraktiver machen. Der Analyst verweist in diesem Zusammenhang auch auf das Projekt M-CBDC Bridge, ein gemeinsames Projekt für digitales Zentralbankgeld der PBoC, der Bank of Thailand, der Hong Kong Monetary Authority und der Central Bank of the United Arab Emirates. China macht auf diesem Gebiet deutlich größere Fortschritte als die westlichen Länder.

Pozsar geht davon aus, dass es letztlich zu einem neuen Weltwährungssystem „Bretton Woods III“ kommen wird, in dem Rohstoffe als Sicherheiten dienen. Die Rohstoffversorgung werde in den Mittelpunkt der Weltwirtschaft rücken. Pozsar verweist darauf, dass der russische Präsident Wladimir Putin im Juni auf dem BRICS Business Forum ankündigte, dass an einer neuen internationalen Reservewährung gearbeitet werde, die auf einem Korb verschiedener Währungen basiere.

Sollten diese Entwicklungen an Fahrt gewinnen, würde der Dollar allmählich zu einer normalen Währung reduziert, mit dem Ergebnis, dass die Vorteile der Weltreservewährung verloren gehen. Die USA würden damit das Privileg verlieren, dass sie (fast) unbegrenzt die Verschuldung hochfahren können, ohne negative Konsequenzen wie eine Flucht aus dem Dollar fürchten zu müssen.

Pozsar sieht zudem als Folge der Entwicklung langfristig erhebliche Inflationsgefahren für die westlichen Industrieländer, die noch nicht hinreichend eingepreist seien. So gebe es beispielsweise bei Rohöl ein unelastisches Angebot, von dem sich China als Nachfrager einen immer größeren Anteil sichere. Negativ für den Westen sei auch, dass die Verarbeitung des Rohöls immer mehr in Richtung Osten wandere. China, aber auch Länder wie der Iran und bald auch die arabischen Länder, produzierten selbst immer mehr Downstream-Produkte, so dass der Westen höherwertige Produkte zu höheren Preisen importieren muss. Unternehmen aus erdölnahen Branchen wie beispielsweise die Chemie – Pozsar verweist ausdrücklich auf BASF – würden nach China abwandern, wo Rohstoffe und Energie sehr viel billiger seien.

Kartell für Metalle

Dabei gehe es auch nicht nur um Öl und Gas. Der indonesische Präsident Widodo habe bereits dazu aufgerufen, ein Produzentenkartell nach dem Vorbild der Opec für diejenigen Metalle zu bilden, die für die Elektromobilität benötigt werden. Dies erscheint auch deshalb als nicht unrealistisch, weil sich die Rohstoffproduzenten Afrikas zunehmend dem amerikanischen und französischen Einfluss entziehen und sich Richtung China ausrichten. Ähnliches gilt für Lateinamerika, wo China die USA als wichtigster Handelspartner längst abgelöst hat. Rohstoffe werden also für den Westen unweigerlich auf breiter Front teurer. Besonders düster sind die Perspektiven durch die erwarteten Veränderungen für die Länder der Europäischen Union. Sie dürften sich langfristig auf hohe Inflation und Rohstoff- und Energiemangel einstellen. Die Folge werde unweigerlich eine weitgehende Deindustrialisierung Europas sein, da die Alte Welt im Gegensatz zu den USA nicht über eine Autarkie zumindest bei Öl und Gas verfügt.

Insofern seien auch die Niveaus der Five-Year Forward Five-Year­ Inflation Expectation Rates von aktuell rund 2,2 bis 2,4% unrealistisch, weil sie geopolitische Risiken nicht abbildeten und auch nicht das dargestellte Szenario eines Übergangs zu rohstoffbasierten Währungen bei Rohstoffknappheit für den Westen, so Pozsar.

Zu erwarten ist übrigens, dass der Aufstieg des Petroyuan gemächlich, stetig und vor allem ohne spektakuläre öffentliche Ankündigungen erfolgen wird. Dafür spricht nicht nur, dass viele der an dem Projekt beteiligten Länder Repressionen der US-Regierung und der EU fürchten, die gegenwärtig gegen mehr als 30 Länder Sanktionen verhängt haben. China wird sich stets der Tatsache bewusst sein, dass das Reich der Mitte noch US-Staatsanleihen im Volumen von rund 1 Bill. Dollar hält.

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