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Von der Beinahe-Pleite zum Milliarden-Imperium

2009 knapp an der Pleite vorbeigeschrammt, hat CMA CGM 2021 und 2022 mehr als jeder andere Konzern Frankreichs verdient. Durch zahlreiche Übernahmen und Beteiligungen hat sich die Reederei zu einem Milliarden-Imperium entwickelt.

Von der Beinahe-Pleite zum Milliarden-Imperium

Logistikbranche

Von der Beinahe-Pleite zum Milliarden-Imperium

Die Covid-Krise hat CMA CGM Rekordgewinne beschert

Von Gesche Wüpper, Paris

In Marseille kommt keiner an ihr vorbei. Nicht zu übersehen thront der von Stararchitektin Zaha Hadid entworfene Firmensitz der Reederei CMA CGM am Rande des Hafens. Er wetteifert mit der Marienstatue der Basilika Notre-Dame-de-la-Garde, dem Wahrzeichen der südfranzösischen Metropole, um die höchste Aussicht über die Stadt. Ohne die Bauauflagen des früheren Bürgermeisters Jean-Claude Gaudin hätte CMA CGM die Konzernzentrale sicher noch höher gebaut. Denn die Reederei, die in den letzten beiden Jahren so profitabel wie kein anderes Unternehmen in Frankreich war, will hoch hinaus. Während im Ausland vor allem französische Luxusgüterkonzerne wie LVMH und Hermès für Schlagzeilen sorgen, hat sie sich ein kleines Imperium aufgebaut und in andere Bereiche außerhalb ihres Kerngeschäfts investiert.

Dabei ist die 1999 aus der Fusion der Compagnie maritime d’affrètement (CMA) und der Compagnie générale maritime (CGM) entstandene Reederei 2009 nur knapp an der Pleite vorbeigeschrammt. Damals hatte das von der Familie Saade kontrollierte Unternehmen den Einbruch des weltweiten Handels voll zu spüren bekommen. Parallel zu dem Rückgang der Volumina sackten die Preise für Containertransporte in den Keller. Innerhalb weniger Monate war fast der gesamte Bargeldmittelbestand der Reederei aufgebraucht. Dabei ächzte sie bereits unter einer Schuldenlast von 5 Mrd. Dollar. CMA CGM konnte ihre Schuldner nicht mehr zahlen und hatte Mühe, für die Betriebskosten aufzukommen.

Staatlicher Eingriff

Die drohende Pleite rief den französischen Staat auf den Plan. Immerhin war die Reederei bereits damals einer der größten Arbeitgeber in den französischen Häfen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde, damals Wirtschaftsministerin der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, organisierte deshalb mehrere Treffen mit den 70 Gläubigerbanken der Reederei und der Familie Saade, um eine Lösung zu finden. Im Gegenzug für eine Finanzspritze von 500 Mill. Euro verlangten die Banken, dass CMA CGM ihre Flotte reduziert, die Familie Saade die Mehrheitskontrolle abgibt und Jacques Saade das Ruder der Reederei. 

Doch sie hatten die Rechnung ohne den aus dem Libanon stammenden Patriarchen der Firma gemacht. Voller Vertrauen, dass der weltweite Handel wieder anziehen würde, spielte er auf Zeit und verhinderte so, dass der als Favorit gehandelte Staatsfonds Katars in das Kapital der Reederei einstieg. Stattdessen holte er die Yildirim-Holding aus der Türkei an Bord. Sie hält inzwischen 24% des Kapitals von CMA CGM, die Investmentbank BPIfrance 3% und die Saades 73%. Wieder profitabel übernahm der Konzern erst die Oldenburg-Portugiesische Dampfschiffsreederei (ODPR), dann eine Beteiligung an LCL Logistix aus Indien sowie die Singapour Neptune Orient Lines und Ceva Logistics.

Ihren kometenhaften Aufstieg hat die drittgrößte Container-Reederei der Welt nach MSC und AP Møller-Maersk jedoch erst innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre vollzogen. Der Unterschied zum Beginn der Covid-Pandemie könnte nicht größer sein. Nach einem Nettoverlust von 200 Mill. Dollar im Vorkrisenjahr 2019 musste CMA CGM im Frühjahr 2020 wie so viele andere Konzerne einen zu 70% staatlich garantierten Kredit in Höhe von 1,05 Mrd. Euro beantragen, um ihre neuen, mit Flüssiggas betriebenen Containerschiffe bezahlen und die Übernahme von Ceva Logistics stemmen zu können. 

Blatt hat sich gewendet

Seitdem hat sich das Blatt für CMA CGM komplett gewendet. Die nach der seit Ende 2017 von Rodolphe Saade, dem Sohn des 2018 verstorbenen Patriarchen, geleitete Reederei hat wie ihre Wettbewerber von den durch die Pandemie durcheinander gewirbelten Lieferketten profitiert, die die Preise für Container-Transporte auf Rekordniveau steigen ließen. In der Folge explodierten auch ihre Gewinne, so dass sie 2021 und 2022 unterm Strich mehr verdiente als französische Schwergewichte wie LVMH und Totalenergies.

Einigen Berechnungen zufolge dürfte die Eignerfamilie Saade allein 2022 Dividenden in Höhe von mehr als 2 Mrd. Euro erhalten haben, nachdem sie sich normalerweise mit rund 50 Mill. Euro begnügt hat. Konzernchef Rodolphe Saade will auch die 155.000 Mitarbeiter an diesem Erfolg teilhaben lassen, in Form eines Bonus von zehn Wochen.

Vor allem aber hat Saade nicht vergessen, dass die von seinem Vater aufgebaute Reederei 2009 nur knapp der Pleite entgangen ist. Er hat deshalb bereits vor der Covid-Pandemie begonnen, das Unternehmen breiter aufzustellen und Logistik- und Hafenumschlagsaktivitäten auszubauen. „Unsere Gewinne kommen von vergangenen Investitionen, die wir über die ganzen Jahre hinweg getätigt habe, obwohl niemand an die Branche geglaubt hat“, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung „Les Echos“.

Getreu seinem Motto hat Saade seit dem kräftigen Anstieg der Gewinne umso stärker investiert. So ist CMA CGM im Herbst 2021 ins Kapital des Satellitenbetreibers Eutelsat eingestiegen und hat die Beteiligung inzwischen auf 5% ausgebaut. Kurz danach hat die Reederei die Sparte Commerce & Lifecycle Services von Ingram Micro aus den USA für 3 Mrd. Dollar übernommen, Anfang letzten Jahres dann ein Hafenterminal in Kalifornien für 2,1 Mrd. Dollar. Inzwischen sind zwei weitere Hafenterminals an der amerikanischen Ostküste dazugekommen.

Zusätzlich dazu hat CMA CGM eine Beteiligung in Höhe von 51% an dem privaten Paketzustelldienst Colis Privé für 600 Mill. Euro erworben, an dem Amazon ebenfalls beteiligt ist. Auch bei französischen Medien mischt das Familienunternehmen aus Marseille mittlerweile mit, denn es hat seine Beteiligung an der zweitgrößten französischen Privatfernsehsendergruppe M6 auf mehr als 10% erhöht und 100 Mill. Euro in die Übernahme der Regionalzeitung „La Provence“ aus ihrer Heimatstadt investiert.

Retter der anderen

Die Rettung von „La Provence“ ist eines der Beispiele dafür, wie CMA CGM mit dem Wohlwollen von Präsident Emmanuel Macron anderen angeschlagenen Unternehmen in Frankreich in den letzten Jahren zu Hilfe geeilt ist. So hat der Konzern auch 25 Mill. Euro in Brittanny Ferries investiert, einen bretonischen Betreiber von Fährverbindungen nach Großbritannien, und eine Beteiligung von 9% an Air France-KLM übernommen. Mit der Fluggesellschaft ist die Reederei, die Anfang 2021 eine eigene Luftfrachtsparte gegründet hat, eine strategische Partnerschaft für das Cargo-Geschäft eingegangen.

Nachdem sie 2022 den Automobil-Logistikspezialisten Gefco von der russischen Staatsbahn und Stellantis für knapp 500 Mill. Euro gekauft hat, steht CMA CGM nun mit dem geplanten Kauf der Logistiksparte von Bolloré für 4,65 Mrd. Euro vor der größten Übernahme, durch die sie in die Top Five der weltweiten Logistikbranche aufrückt. Konzernchef Saade wappnet sich dafür, dass die Gewinne der Reedereien jetzt nicht mehr so kräftig sprudeln werden wie bisher.

Rodolphe Saade leitet die Reederei seiner Familie seit 2017. CMA CGM hat sich nicht erst seit der Pandemie breiter aufgestellt und in andere Bereiche investiert, darunter in die Privatfernsehsendergruppe M6 und den Satellitenbetreiber Eutelsat.