KommentarStaatverschuldung und Anleihemärkte

Von der Politik- zur Bondkrise

Außer Kontrolle geratene staatliche Schuldenpolitik führt stets zu mehr Inflation. Das haben die Finanzmärkte jetzt begriffen und reagieren. Die Politik scheint bewegungsunfähig. Droht eine neue Finanzkrise?

Von der Politik- zur Bondkrise

Staatsverschuldung

Von der Politik-
zur Bondkrise

Von Stephan Lorz

Können Europas Staaten ihre Schulden in der Zukunft noch bedienen. An den Märkten wachsen die Zweifel. Zurecht?

Noch vor wenigen Tagen hatten sich Marktbeobachter gewundert, warum man an den Anleihemärkten die dramatische Entwicklung bei der Staatsverschuldung so lange teilnahmslos hinnimmt. Dabei haben Schuldenquoten und Zinslasten weltweit zügig an Fahrt aufgenommen und liegen auf Niveaus, die früher als „Fiskalkrise“ apostrophiert worden wären. Der Anstieg schien wie eine langsam steigende Flut, bei der man keinen Anhaltspunkt erkennt, wann man denn nun konkret den Katastrophenfall ausrufen muss.

Das ist nun geschehen: Der Abverkauf hat begonnen. Und plötzlich sehen die Marktteilnehmer, dass da noch viel mehr Dramatik dahintersteckt. Etwa die Unfähigkeit vieler Regierungen, eine Haushaltskonsolidierung einzuleiten. Paris steckt in einer Regierungskrise. Selbst kleinste Budgetkürzungen werden im Parlament blockiert – oder auf den Straßen wegdemonstriert. Die Bevölkerung will nicht verzichten und droht mit der Wahl populistischer Parteien. Auch Tokio ist in einer Regierungskrise gefangen. In London ist es die Erkenntnis, dass Schatzkanzlerin Rachel Reeves die Kontrolle über die öffentlichen Finanzen offenbar ganz verloren hat.

Und die USA? Washington schert sich gar nicht um das Schuldenplus. Neue Steuergesetze reißen riesige Löcher ins Budget, steigende Zölle können diese nicht stopfen. US-Präsident Donald Trump will stattdessen die Notenbank gefügig machen, um die Zinslast zu verringern. Letztere ist schon höher als die Verteidigungsausgaben, was nach Ansicht des US-Historikers Niall Ferguson ein Indiz für den machtpolitischen Niedergang der USA ist.

Der Wunsch nach fiskalischer Dominanz der Fed ist in den USA offensichtlich, in Europa erfolgt das eher implizit: Frankreich oder Italien etwa lassen es schlicht darauf ankommen, dass die EZB es schon nicht zu einer neuen Eurokrise kommen lassen wird. Folge: Die Inflationsgefahren nehmen überall wieder zu – in USA, Asien und Europa.

Die nächste Schuldenwelle vor Augen ist die Bondreaktion nachvollziehbar – und ein böses Omen. In Wellen werden sich die Renditen anpassen. Die Märkte sollten dann eigentlich politische Reaktionen erzwingen. Aber den meisten Regierungen fehlt es an allem, das einen fiskalischen Gesundungsprozess starten könnte: stabile Mehrheiten, Bürgervertrauen und ein öffentliches Klima, das gemeinwohlinduzierte Härten hinnimmt, ohne gleich „Alternativen“ hinterherzulaufen. Die nächste Krise scheint programmiert.