Unterm Strich

Von Goldhasen, Cum-ex und Sparschweinchen

Auch das Recht und dessen Auslegung durch die Gerichte unterliegen dem Zeitgeist. Und der weht kräftig aus Richtung Verbraucherschutz.

Von Goldhasen, Cum-ex und Sparschweinchen

Deutschland im Sommerloch: Die Legislative macht Pause und die führenden Köpfe der Exekutive erholen sich im Kurzurlaub von Wahlkampf- und Hochwassereinsätzen. Nur die Judikative nutzt die Chance zur Eroberung der Schlagzeilen und läuft zu Hochform auf. Namentlich der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat mit dem Aufräumen der Schreibtische vor der Ferienzeit im Ländle gehörig für Aufsehen gesorgt. Dabei stellten die obersten Richter überwiegend nur fest, was die Mehrheit der mit gesundem Menschenverstand ausgestatteten Bürger und Verbraucher als richtig empfindet.

Markenschutz

Dass seine Haltung, Fütterung und Schlachtung nicht nur Männer in weißen Gummischürzen, sondern auch Damen und Herren in roten Roben beschäftigen könnte, hat sich kein Hohenloher Landschwein je träumen lassen. Ihre nun höchstrichterlich durch deutsches Markenrecht geschützte regionale Herkunftsbezeichnung bewahrt sie zwar nicht vor dem Weg zum Schlachthof. Aber bis dorthin dürfen sie sich als Vertreter einer Kollektivmarke darauf verlassen, dass es mit rechten Dingen zugeht und einschlägige Erzeugerrichtlinien eingehalten werden. Ob es dabei – und das Urteil gilt auch für das Hohenloher Weiderind – womöglich zur Kollision mit EU-Recht und Brüsseler Harmonisierungsbestrebungen kommt, interessiert kein Schwein, jedenfalls nicht im Hohenloher Land und am Karlsruher Gericht.

Dass Rinder nicht nur geschützt sein können, wenn sie eine Herkunftsbezeichnung tragen, sondern auch, wenn sie ausgefallen bemalt sind, hat der BGH bereits 2004 der „lila Kuh“ zugesichert. Für den Markenschutz kommt es dabei nicht darauf an, ob die Kuh lila oder beispielsweise ein Hase goldfarben ist, sondern ob die Mehrheit der Verbraucher dieses Aussehen mit dem Produkt eines bestimmten Herstellers assoziiert. Was vor 17 Jahren Milka gelang, hat jetzt auch Lindt geschafft. Ein in Goldfolie eingepackter Schokoladen-Osterhase ist nun einmal nur dann ein echter Goldhase, wenn Lindt & Sprüngli ihm das Goldpapier ums Stummelschwänzchen gewickelt hat. So sehen das Umfragen zufolge mehr als 50% der Kunden und damit auch die BGH-Richter. Dem einer kleinen Confiserie aus dem Allgäu enthoppelten Plagiat haben die Richter die Ohren langgezogen und es ans Berufungsgericht zurückgeschickt. Dort wird demnächst verhandelt, ob der sitzende Schokohase künftig mit (cum) einer anders schimmernden Goldfolie oder gar ohne (ex) in den Handel kommt.

Mit Cum und Ex jedenfalls kennen sich deutsche Gerichte aus. Nur eine tatsächlich gezahlte Steuer kann gegenüber den Finanzbehörden geltend gemacht werden, so jetzt der 1. Strafsenat des BGH in seinem Machtwort zum Thema. Wer hätte das gedacht?! Viele Anwaltskanzleien, Rechtsprofessoren und Banken offenkundig nicht, sonst wären sie nicht auf die irre Idee gekommen, sich entweder überhaupt nicht oder nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten zu lassen. Mit ihrer klaren wie banalen Feststellung stärkten die Richter nicht nur ihren Kollegen vom Bonner Landgericht den Rücken, sondern wohl auch das natürliche Rechtsempfinden der meisten Bürger dieses Landes. Nur für die Hamburger Senatsverwaltung kam dieses Urteil wohl überraschend und vor allem zu spät. Sie hatte Rückzahlungsansprüche aus Cum-ex-Geschäften gegenüber der Warburg-Bank im ordentlichen zweistelligen Millionenbereich lieber verjähren lassen. Seither versucht ein Untersuchungsausschuss zu klären, ob diese Verzichte cum oder ex Wissen und Einfluss des damaligen Bürgermeisters und heutigen Finanzministers Olaf Scholz erfolgten.

Aber auch am BGH ist man erst mit den Jahren schlau geworden. Unter seinem einstigen Vorsitzenden Richter Thomas Fischer wäre die Steueroptimierung beim Dividendenstripping vom BGH vermutlich anders gewertet worden, wie man der Argumentation des streitbaren Juristen als Verteidiger beim Cum-ex-Prozess in Bonn und als Vertreter des Bankiers Max Warburg im Hamburger Untersuchungsausschuss entnehmen kann.

Vorsicht bei den AGB!

Auch das Recht und dessen Auslegung durch die Gerichte unterliegen eben dem Zeitgeist. Und der weht aktuell kräftig aus Richtung Verbraucherschutz. Das spürte dieser Tage Volkswagen, als der BGH die Verjährungsfrist für Dieselklagen aufhob, sofern die Kläger der Musterfeststellungsklage beigetreten waren. Und Facebook wird nach einem ebenfalls am Donnerstag vom BGH mitgeteilten Urteil ihre AGB (Allgemeinen Geschäftsbedingungen) neu schreiben dürfen. Denn die Richter haben klagenden Facebook-Nutzern Recht gegeben, die sich gegen die Löschung und Sperrung ihrer Einträge und Konten nach ausländerfeindlichen Beiträgen wehrten. Facebook habe den „kollidierenden Grundrechten“ auf Meinungsfreiheit und Berufsausübungsfreiheit nicht angemessen in den AGB entsprochen und hätte die betreffenden Nutzer über die Löschung der Beiträge informieren und sie zuvor anhören müssen.

Doch Vorsicht beim Ändern der AGB! Banken und Sparkassen wissen seit April, dass das in die Hose gehen kann und man das Schweigen der Kunden zu den Änderungen nicht als Zustimmung werten darf, selbst wenn es so angekündigt wurde. Eine solche „fingierte Zustimmung“ sei ungültig und die damit verbundenen Gebührenerhöhungen seien den Kunden zurückzuerstatten, urteilte der BGH. Für den Worst Case sahen die Institute bis zur Hälfte ihrer Jahresgewinne im Feuer, doch auch bei den Bankkunden wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Deswegen gleich nach dem Gesetzgeber zu rufen, wie jetzt von den baden-württembergischen Sparkassen geschehen, offenbart ein überholtes Verständnis der Kundenbeziehung – oder zumindest ein ganz neues. Es heißt: Vorsicht Kunde beziehungsweise Sparschweinchen! Oder mit den Worten des baden-württembergischen Sparkassenpräsidenten Peter Schneider: „Heute ist man froh über jeden, der mit seinem Geldkoffer an der Sparkasse vorbeiläuft.“

c.doering@boersen-zeitung.de

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