Von wegen Sommerloch
Notiert in Brüssel
Von wegen Sommerloch
Von Detlef Fechtner
Wer in diesen Tagen eine E-Mail an einen Adressaten im EU-Parlament, in der EU-Kommission oder in einer der Ständigen Vertretungen absendet, muss mit folgendem Hinweis rechnen: „Leider kann ich Ihre E-Mails nicht beantworten. Ich bin wieder erreichbar ab 8. September.“ Die erste Frage, die einem in den Kopf schießt: September 2025?
Hand aufs Herz: Sechs Wochen im Sommer Füße hochlegen, das mag ja für Schülerinnen und Schüler eine eingeübte Tradition sein – oder meinetwegen auch für Lehrerinnen und Lehrer. Aber für Europaabgeordnete, Botschafter oder Generaldirektoren? Derart lange Abwesenheiten im Juli und August mögen sich ja unter Umständen noch mit den Sitzungskalendern von Ausschüssen und Ratsarbeitsgruppen vereinbaren lassen. Aber wie sich sechs Wochen in der Sommerfrische mit den Urlaubstagevorgaben der Personalstelle in Übereinstimmung bringen lassen, das bleibt das Geheimnis von Eurokraten und Diplomaten.
Wie dem auch sei: Brüssel hat sich in den vergangenen Tagen ziemlich geleert. Auf der Rue de la Loi, der Verkehrsachse zwischen Berlaymont und Justus Lipsius, wo sich ansonsten fünfspurig Autos an Autos reihen, kann man zwischenzeitlich mit dem Fahrrad Schlangenlinien fahren. Und es scheint so, dass, wer nicht im Urlaub ist, im Homeoffice arbeitet – schließlich sind Cafés und Mittagsrestaurants derzeit im Europaviertel geschlossen und Kantinen allenfalls spärlich besetzt.
Die Sommerzeit war in Brüssel viele Jahre lang die Zeit der Revolvergeschichten. Weil es nichts Ernsthaftes zu berichten gab, nutzten umtriebige Interessensvertreter das Sommerloch, indem sie irgendwelche Arbeitspapiere, die in Rat oder EU-Kommission umliefen, an Journalisten durchstachen. Und zugleich deren Inhalte ebenso fantasievoll wie irreführend interpretierten, dass sich daraus eine Schlagzeile zimmern ließ. So wurden Überlegungen von EU-Beamten über gesundheitliche Warnhinweise auf hochprozentigen Alkoholika zur Story über künftige Totenköpfe auf Bierflaschen hochgejazzt. Oder: Aus den Gedankenspielen, auch für die Freizeitfischerei Fangkontingente festzulegen, wurde die Seite-1-Geschichte über künftige Polizeikontrollen am Anglerteich.
Dieses Jahr ist alles anders. Denn auch wenn sich viele EU-Beamte, Abgeordnete und Diplomaten aus Europas Hauptstadt für einige Wochen verabschiedet haben, so ist doch politisch mächtig was los. Die EU ist – ungewöhnlich für Juli und August – ständig in den Abendnachrichten und auf den Titelseiten: Showdown im Handelsstreit (15%). Kampfansage in der mittelfristigen Haushaltsplanung (2 Bill. Euro). Warnhinweis gegenüber Israel (Sanktionen).
Daneben ist, anders als vergangenes Jahr, die Gesetzes-Pipeline wieder prall gefüllt - mit Omnibussen, Verbriefungsnovellen und Altlasten der Vorgänger-Kommission von „FiDA“ bis „RIS“. Sommerloch? Und wovon träumen Sie nachts?