Notiert inBrüssel

Weihnachtswunder für einen Tag

Das Pressezentrum der EU-Kommission erstrahlt von einem Tag auf den anderen in neuem Glanz. In Brüssel gibt es dieser Tage aber auch dunkle Momente.

Weihnachtswunder für einen Tag

Notiert in Brüssel

Weihnachtswunder für einen Tag

Von Stefan Reccius

Kurz vor dem zweiten Advent werde ich Zeuge eines Weihnachtswunders. Das Foyer des Pressezentrums erstrahlt wie in einem Werbeprospekt. Die Marmorsäulen sind in sanftes Licht gehüllt, der Mosaikboden ist blitz und blank gewienert, sogar der funkelnde Brunnen im Zentrum ist wieder in Betrieb. Ich traue meinen Augen kaum.

Monatelang glich mein Arbeitsplatz einer Großbaustelle. Die vielen Baugerüste und Absperrbänder, der Lärm von Bohrern und Schleifmaschinen: Von all dem ist von einem Tag auf den nächsten nichts mehr zu sehen und zu hören. Sie haben sogar noch auf den letzten Drücker die Zufahrt geteert, sind aber nicht fertig geworden.

Auftritt des Premiers

Die Auflösung, was es mit dieser märchenhaften Verwandlung über Nacht auf sich hat, kommt in Gestalt von Alexander De Croo. Belgien führt ab Januar für sechs Monate die Geschäfte der EU-Staaten in Brüssel. Darauf will der Premierminister des Landes einstimmen. Festlich soll es zugehen. Standesgemäß taucht De Croo im feinsten Zwirn vom Herrenausstatter auf.

Für Belgien und die EU stehen umfangreiche Renovierungsarbeiten politischer Art an. Eine mögliche Erweiterung um die Ukraine und weitere Beitrittskandidaten muss mit internen Reformen einhergehen. Das ist eine der Botschaften, die vom EU-Gipfel in dieser Woche ausgehen. Aus dem Europaparlament kommen konkrete Vorschläge, die EU-Verträge zu ändern. Ein Konvent soll her. "Die EU muss repariert werden, daran gibt es keinen Zweifel", sagt Damian Boeselager von der Europapartei Volt.

Wie kraftvoll und entschlossen hätte da ein Premierminister mit Gehörschützern, Atemschutzmaske und Blaumann gewirkt! Stattdessen trägt De Croo Anzug und Krawatte. Es gibt Bilder fürs politische Poesiealbum und Zitate aus dem Phrasendrescher. Gähn. "Abliefern ist unser Ziel." "Wir haben die Europäische Union in unserer DNA." Schade, Chance vertan.

Nun gut, ich gebe es zu: Aus mir spricht Ernüchterung. Als ich tags darauf ins Büro komme, ist alles beim Alten. Es ist, als hätte es das Weihnachtswunder nur im Traum gegeben. Draußen ist schon von Weitem ein Empfangskonzert aus Presslufthammern und Kreissägen zu hören. Drinnen steht die gewohnte Kombination aus Slalom- und Hindernislauf zwischen rot-weißem Flatterband über Werkzeuge und Farbeimer an.

Der Brunnen ist schon wieder trockengelegt, eine matte Schicht aus Staub legt sich darüber. Damit teilt er das Schicksal des Pools, der sich im Keller des Gebäudes befindet. Er ist seit Jahren gesperrt. Die Regionalregierung hat seit Langem den Auftrag, ihn renovieren zu lassen. Sie zahlt aber lieber Strafen, statt dem nachzukommen. Neuester Plan: eine Renovierung bis 2025.

Weihnachtsstimmung am Arbeitsplatz kommt da nicht auf. In der Stadt dafür umso mehr. Vielerorts hängen Lichterketten in den Bäumen. Hell erleuchtete Lichtbögen in verschiedensten Formen und Farben sind über die Straßen gespannt. Luftballons blinken bunt. Es lässt sich schwer ausmachen, ob sie Kindern gehören oder Fremdenführern, die auch im Advent Massen von Besuchern die Stadt zeigen.

Glühbier aus Belgien

Auf dem Grote Markt im Zentrum der historischen Altstadt werfen Beamer und LEDs in der Dämmerung aufwendige Lichtshows auf die Fassaden der ehemaligen Zunfthäuser. Von dort schieben sich die Menschen weiter auf die umliegenden Weihnachtsmärkte. Die Dächer der Buden sind mit weißem Stoff überzogen, bei Temperaturen um die 10 Grad und Dauerregen leider die einzige Illusion von weißer Weihnacht.

Kulinarisch beeindrucken Gäste aus Kanada die Fritten-Nation Belgien: Sie servieren Pommes mit Bratensauce und Käsewürfeln, eines ihrer Nationalgerichte. Die Einheimischen halten mit ihrer eigenen fragwürdigen Spezialität dagegen: Glühbier.

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