Wenn der Strukturwandel zur Strukturkrise mutiert
Wenn der Strukturwandel zur Strukturkrise mutiert
Wenn der Strukturwandel zur Strukturkrise mutiert
Der Autoindustrie in Südwestdeutschland setzen der teure Umbau zur Elektromobilität und der China-Schock deutlich zu.
Von Stefan Kroneck, Stuttgart
Stuttgart ist eine Wiege der deutschen Autoindustrie. Ikonen wie Bosch, Mercedes-Benz, Daimler und Porsche haben jahrzehntelang für Wachstum und Wohlstand in Baden-Württemberg gesorgt. Diese Selbstverständlichkeit ist dahin. Die Schlüsselindustrie des reichen Bundeslandes steckt in einer tiefen strukturellen Krise. Die Lage ist anders als zur Finanzkrise 2008, als auf einen externen Nachfrageschock ein schneller Branchenaufschwung folgte.
Die Landeshauptstadt steht als Sinnbild für die angespannte Lage in der gesamten deutschen Autobranche. Mancher befürchtet, dass dies der Anfang eines wirtschaftlichen Niedergangs im Ländle sein könnte. Lokale Medien ziehen Vergleiche zum Verfall der früheren US-Autohochburg Detroit und zum Abstieg des Ruhrgebiets.
Wie stark man in Südwestdeutschland verunsichert ist mit Blick auf die Zukunft des Wirtschaftszweigs zeigt die Aussage von Porsche-Chef Oliver Blume. Dieser räumt unverhohlen ein, dass das Geschäftsmodell des Sportwagenbauers in der bisherigen Form nicht mehr funktioniere.
Starker Gegenwind
Der vom aufwendigen Umbau zur Elektromobilität eingeleitete Strukturwandel ist in der Region zu einer Strukturkrise umgeschlagen. Denn neben der Transformation von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor hin zu batteriebetriebenen Autos schlagen bei den Herstellern und Zulieferern äußere Umstände zusätzlich ins Kontor: eine verhaltene Nachfrage nach E-Autos, die schwache Konjunktur, die Zollkapriolen der US-Regierung und der Geschäftseinbruch in China. Im größten Einzelmarkt bekommen die deutschen Anbieter immer stärker Gegenwind von den aufstrebenden chinesischen Adressen. Das drückt auf die Margen und kostet Marktanteile. Die goldenen Zeiten der deutschen Hersteller und ihrer Zulieferer sind dort vorüber. Der wirtschaftliche Aufsteiger China macht der deutschen Schlüsselbranche zunehmend zu schaffen. Der China-Schock ist nicht kurzfristiger Natur, sondern wirkt nachhaltig. Dafür sorgt die Wirtschaftspolitik Pekings, die immer stärker im Wettbewerb steht zu den USA.
Unter dem wachsenden Kostendruck reagieren die Unternehmen mit umfangreichen Sparmaßnahmen, vor allem mit Personalabbau. Das trifft Baden-Württemberg besonders. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums des Landes sind im Großraum Stuttgart mehr als 235.000 Menschen in der Branche beschäftigt. Das sind 30% aller in Deutschland tätigen Personen in diesem Wirtschaftszweig. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind es bundesweit nahezu 773.000 Beschäftigte (Stand 2024).
Zulieferer verschärfen Sparkurs
In Stuttgart fallen Zehntausende Arbeitsplätze weg. „Halt dei Gosch, i schaff beim Bosch”. Dieses schwäbische Sprichwort gilt heute nicht mehr. Es stammt aus einer Zeit, als eine Beschäftigung bei Deutschlands größtem Autozulieferer als sicher auf Lebenszeit galt. Zuletzt verschärften Bosch und der Lieferant Mahle ihre Sparkurse. Bosch will bis Ende 2030 zusätzlich 13.000 Stellen in der größten Konzernsparte Mobility abbauen. Betroffen davon sind vor allem deutsche Standorte. Im vergangenen Jahr beschloss die Konzernführung, 9.000 Arbeitsplätze in dem Bereich abzubauen. Das sind allein in diesem Segment insgesamt 22.000 Personen. Zusammen mit anderen Geschäftsfeldern strich das traditionsreiche Unternehmen seit 2024 weltweit 15.000 Stellen, davon überwiegend in Deutschland.
Mahle-Chef Arnd Franz kündigte jüngst an, in der Verwaltung und Entwicklung weltweit rund 1.000 Arbeitsplätze abzubauen. Zuvor strich das Unternehmen bereits 600 Stellen. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung auf der zurückliegenden Messe IAA wies der CEO darauf hin, dass E-Autos weniger Komponenten beinhalten als Fahrzeuge mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren. Dadurch sinke tendenziell der Personalbedarf in der Produktion. Er kündigte seinerzeit weitere Kostensenkungen an. Ähnlich geht es ZF mit Sitz in Friedrichshafen am Bodensee. Nach langen Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat beschloss das Management des zweitgrößten deutschen Autozulieferers Anfang Oktober, in der Antriebssparte (Division E) im Heimatmarkt 7.600 Stellen bis 2030 einzusparen. Der Einschnitt ist Bestandteil des im vergangenen Jahr von ZF angekündigten Abbaus von bis zu 14.000 Arbeitsplätzen. Im E-Bereich ist jede dritte Stelle in Deutschland betroffen.
Autobauer ebenso
Derweil steckt Porsche mitten in einer zweiten Verhandlungsrunde mit dem Arbeitnehmervertretern, um ihre Sparanstrengungen auszuweiten. Anfang 2025 verkündete der Sportwagenbauer, in der Stammbelegschaft 1.900 Arbeitsplätze abzubauen. Nun werden weitere folgen. Mercedes-Benz hält sich unterdessen bedeckt, was die Zahl der zu streichenden Stellen angeht. Der Premiumhersteller versandte tausenden Mitarbeitern Abfindungsangebote. Vorstandschef Ola Källenius wartet ab, wie viele Beschäftigte diese Offerten annehmen. Dem „Handelsblatt“ zufolge haben bislang rund 4.000 Mitarbeiter davon Gebrauch gemacht.
Hohe Arbeitskosten
Dass die Unternehmen bei den Personalkosten zum Rotstift greifen, liegt auf der Hand. Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie (VDA) weist Deutschland im internationalen Vergleich mit 62 Euro pro Stunde weltweit die höchsten Arbeitskosten je Mitarbeiter in der Autobranche auf. Im Vergleich zu China ist das ein deutlicher Wettbewerbsnachteil. In China machen diese Kosten nur einen Bruchteil des Wertes für Deutschland aus.
Der Autobranche im Ländle gelang es bisher, diesen Nachteil mit sehr guter Produktqualität und einer Innovationskraft mehr als auszugleichen. Das wird schwieriger, da die Chinesen schnell aufholen und in einigen Bereichen wie der Sensorik federführend sind. Mit neuen Modellen wie dem vollelektrischen SUV GLS will Mercedes-Benz wieder Boden gut machen. Porsche setzt auf eine teure Kehrtwende zu alten Erfolgsrezepten, indem der Hersteller verstärkt mit Diesel- und Benzinmotoren ausgestattete Modelle auf den Markt bringt. 2026 wird sich herausstellen, ob diese Schritte beider Hersteller erfolgreich sind.
Auch hausgemachte Ursachen
Trotz des Gewinneinbruchs bei Mercedes-Benz und eines Quartalsverlusts in Milliardenhöhe bei Porsche sind beide Autobauer bilanziell gut gepolstert, um längere Durststrecken durchzustehen. Anders sieht es beim Zulieferer ZF aus. Dem neuen Konzernchef Matthias Miedreich bleibt keine andere Wahl mehr, als mit Einschnitten auf eine Trendwende zum Besseren zu hoffen. Denn mit einem Finanzschuldenberg von 15 Mrd. Euro steht dem Unternehmen das Wasser bis zum Hals. Der Fortbestand von ZF ist vom Wohlwollen der Gläubigerbanken abhängig.
Der Fall ZF zeigt, dass die Strukturkrise der schwäbischen Autoindustrie auch hausgemachte Ursachen hat. Das Unternehmen gab viele Milliarden an Fremdmitteln aus für zwei teure Zukäufe in den USA. Das Geld fehlt nun.
