Im BlickfeldNeue TV-Deals in den USA

Wettbewerb im Sport-Streaming heizt sich auf

Neue Rechte-Deals krempeln den amerikanischen Markt für Sport-TV um. Netflix sichert sich dabei populäre Baseball-Spiele – und damit ein Einfallstor in eine der letzten Bastionen der Kabelfernseh-Anbieter.

Wettbewerb im Sport-Streaming heizt sich auf

Sport-Streamer streben nach dem Home Run

Neue Rechte-Deals krempeln den amerikanischen Markt für Sport-TV um. Netflix sichert sich dabei populäre Baseballspiele – und damit ein Einfallstor in eine der letzten Bastionen der Kabelfernseh-Anbieter.

Von Alex Wehnert, New York

Wenn Aaron Judge in der Batter's Box steht, ruhen die Hoffnungen einer ganzen Stadt auf ihm. Denn der Outfielder der New York Yankees hat das berühmteste Franchise der Major League Baseball (MLB) 2024 zum Sieg in der American League und ganz nah an den ersten Titel in der World Series seit 2009 geführt. In der Finalserie scheiterten die „Bronx Bombers“ an den Los Angeles Dodgers mit Pitcher Shohei Ohtani, die ihren Titel im Folgejahr in denkbar knappen Duellen gegen die Toronto Blue Jays verteidigten. Die Duelle der Superstars haben das Interesse an der MLB wieder befeuert – doch für Zuschauer wird es nun komplizierter, „Amerikas liebsten Zeitvertreib“ vor dem Fernseher zu verfolgen.

Komplexer TV-Deal

Denn die US-Baseball-Liga hat zuletzt einen ungewöhnlichen dreijährigen TV-Deal mit gleich drei Parteien geschlossen. Der Sportsender ESPN, der die MLB-Spiele der regulären Saison bisher ausstrahlt, hat seine bestehende Vereinbarung beendet – unter den neuen Konditionen zahlt die Disney-Tochter pro Jahr 550 Mill. Dollar an die Sportorganisation, um 30 nationale Partien sowie ausgewählte Duelle in lokalen Märkten exklusiv ausstrahlen, Sonderveranstaltungen zu Feiertagen wie dem Memorial Day übertragen und den Streaming-Dienst MLB Network vertreiben zu dürfen.

Shohei Ohtani, hier bei einem Spiel der japanischen Nationalmannschaft, gibt mit den Los Angeles Dodgers in der MLB den Ton an.
Shohei Ohtani, hier bei einem Spiel der japanischen Nationalmannschaft, gibt mit den Los Angeles Dodgers in der MLB den Ton an.
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Shuhei Yokoyama

Die Comcast-Tochter NBCUniversal investiert indes 200 Mill. Dollar pro Jahr, um Sonntagabend- und vier Playoff-Partien der „Wild Card“-Serie auf ihrem Flaggschiff-Sender NBC zeigen zu können. Zudem sollen einige Spiele über den hauseigenen Streamingdienst Peacock und den neuen Kabel-Sportkanal NBCSN laufen. Damit hat NBCUniversal, die auch Partien der America-Football-Liga NFL und der Basketball-Spielklasse NBA zeigt, an jedem Sonntag rund um das Kalenderjahr Sport im Programm.

Starke Expansion

Anleger richten die Augen aber insbesondere auf den dritten Partner: Netflix zahlt 50 Mill. Dollar pro Jahr, um sich die Ausstrahlungsrechte für ein einzelnes Spiel zur Saisoneröffnung sowie die Sonderwettbewerbe „Home Run Derby“ und „MLB at Field of Dreams“ zu sichern. Der Pionier aus dem kalifornischen Los Gatos expandiert stark in die Übertragung von Live-Sport und sorgt damit bei den Rivalen aus dem klassischen Kabelfernsehgeschäft für hohen Investitionsdruck.

Denn für diese galten Echtzeit-Übertragungen von Baseball, Football, Basketball und Eishockey lange als entscheidend, um sich von Streaming-Diensten abheben zu können. Nun ist also der Angriff auf eine der letzten Bastionen, über die Kabelfernseh-Anbieter ihre schwindenden Marktanteile verteidigen, in vollem Gange. Laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen verbringen Amerikaner im laufenden Jahr 44,8% ihrer Bildschirmzeit auf Streaming-Plattformen, seit 2021 ist die Nutzung um 71% gestiegen. Für das Kabelfernsehen ist sie seither um 39% gefallen.

Ausbau des Werbegeschäfts angestrebt

Auch die Beratungsgesellschaft PwC geht davon aus, dass der Aufstieg der Direct-to-Consumer-Dienste den Markt für Live-Sport fundamental verändert. Im laufenden Jahr dürften demnach mehr als 90 Millionen Amerikaner mindestens einmal im Monat ein Spiel streamen, 2021 waren es noch 57 Millionen. Die Analysten von Market Growth Reports beziffern das Umsatzvolumen des globalen Sport-Live-Streamings für 2024 auf 6,8 Mrd. Dollar, wobei die USA mit 29% den größten Einzelanteil an den Nutzerzahlen generierten. Bis 2033 werde der Markt mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 10,2% auf 14,8 Mrd. Dollar wachsen.

Wettbewerber abgehängt

Für Netflix, die ihre Wettbewerber im Film- und Serien-Streaming laut Bank of America längst abgehängt hat, sollen Live-Übertragungen zum nächsten Home Run werden. Denn sie gelten als wichtiges Mittel, um das Werbegeschäft auszubauen. Vertriebsseitig hat das Unternehmen nach eigenen Angaben bei niedrigen Vergleichswerten im dritten Quartal dieses Jahres so stark abgeschnitten wie nie und sieht sich auf Kurs, die Erlöse aus dem Zweig 2025 mehr als zu verdoppeln. Netflix führte die im Vergleich zum Premium-Angebot günstigere, werbefinanzierte Variante im Herbst 2022 ein. Mit seinen über 300 Millionen Abonnenten gilt der Streaming-Marktführer bereits als äußerst attraktive Anzeigenplattform.

Großer Erfolg mit Boxkämpfen

Über Live-Events sollen sich noch größere Chancen zur Produkt- und Werbeplatzierungen ergeben. Dabei überträgt Netflix bereits seit dem vergangenen Jahr unter anderem Spiele der NFL, Veranstaltungen der Wrestling-Promotion WWE und Boxkämpfe. Der Supermittelgewichts-Showdown zwischen Terence Crawford und Canelo Álvarez in Las Vegas Mitte September wurde zum Herren-Weltmeisterschaftsduell mit der höchsten Zuschauerzahl in diesem Jahrtausend.

Der Boxkampf zwischen Canelo Álvarez (links) und Terence Crawford ist für Netflix zum Hit geworden.
Der Boxkampf zwischen Canelo Álvarez (links) und Terence Crawford ist für Netflix zum Hit geworden.
picture alliance / USA TODAY Sports via Reuters | Joe Camporeale

Die Netflix-Aktie hat seit der Zahlenvorlage zum dritten Quartal Ende Oktober zwar an Boden verloren, nachdem das Unternehmen aufgrund von Konflikten mit den brasilianischen Steuerbehörden die Gewinnerwartungen an Wall Street enttäuschte. Doch liegt sie seit Jahresbeginn gerechnet (Stand Donnerstagmorgen in New York) noch immer rund 20% im Plus und damit gegenüber dem technologielastigen Nasdaq 100 im Takt. Zuletzt hat Morgan Stanley die Kaufempfehlung für Netflix bekräftigt, die laut Insidern für die Streaming-Assets sowie Film- und TV-Studios des Medienkonglomerats Warner Bros. Discovery bietet.

Die Live-Fokussierung ist für Netflix allerdings nicht risikofrei. Denn technische Pannen führen mitunter zu Übertragungsausfällen bei Großereignissen. Der Analysedienst Agora warnt davor, dass selbst geringe Latenzen das Nutzererlebnis bei Live-Sport-Events einschränken. Beim Boxkampf zwischen Jake Paul und Mike Tyson hatte Netflix zu Jahresbeginn mit peinlichen Pannen zu kämpfen, auch WWE-Fans beschweren sich über Blackouts bei der Show „Monday Night Raw“. Laut Agora ist eine stärkere Synchronisierung notwendig, um zu verhindern, dass frustrierte Kunden Abonnements kündigen. Die Beschwerden über Ausfälle bei Netflix-Übertragungen haben zuletzt allerdings abgenommen.

Langfristige Risiken

PwC warnt indes auch vor den langfristigen Risiken der Fragmentierung im Mediensektor, die auch Zuschauer im europäischen Live-Sport zunehmend erleben. „Fans benötigen in dieser modernen Landschaft möglicherweise mehrere Abonnements und Endgeräte, um ihre Lieblingsteams und -ligen verfolgen zu können“, betonen die Analysten.

Dies führe zu höheren Ausgaben und einem größeren Aufwand, die frustrierend wirken könnten. Zudem seien zu viele Optionen und Plattformen verwirrend. „Diese Reibungspunkte können Fans aus der Erfahrung herausreißen“, heißt es bei PwC. In Bezug auf Baseball zeigt sich das ganz plastisch: Wer die MLB lückenlos verfolgen will, braucht nicht nur Abonnements für Netflix, ESPN und NBC, sondern auch für Apple TV Plus und Fox. Bei letzterem Sender läuft die World Series, nach der Judge und Ohtani ab März wieder greifen, bis 2028 exklusiv.