LeitartikelJapans neue Wirtschaftspolitik

Widersprüchliche Takaichinomics

Sanae Takaichi will die Abenomics-Wachstumsagenda wiederbeleben. Doch ihre Wirtschaftspolitik passt nicht zu den geänderten ökonomischen Bedingungen.

Widersprüchliche Takaichinomics

Japan

Widersprüchliche Takaichinomics

Von Martin Fritz

Die neue Regierungschefin will die Inflation bekämpfen. Abenomics 2.0 wäre dafür das absolut falsche Mittel.

Japans erste Premierministerin Sanae Takaichi gibt sich als wirtschaftspolitische Erbin ihres früheren Mentors Shinzo Abe aus. Die Aussicht auf Abenomics 2.0 drückte bei ausländischen Investoren die richtigen Knöpfe, die Aktienbarometer Nikkei 225 und Topix sprangen vor Freude nach oben. Doch die Anleger sollten genauer hinsehen. Die Takaichinomics, die sich bisher abzeichnen, werden weder eine Wiederholung noch eine Fortsetzung der Abenomics sein, weil sich das ökonomische Umfeld dramatisch geändert hat.

Deflation blieb unbesiegt

Mit seiner Wirtschaftspolitik wollte Abe die hartnäckige Deflation vertreiben. Dafür schoss er die „Pfeile“ geldpolitische Lockerung, fiskalische Anreize und Strukturreformen ab. Doch als Abe nach fast acht Jahren 2020 aus dem Amt schied, stagnierten Preise und Löhne immer noch, fiskalische Anreize waren verpufft, von Deregulierung konnte keine Rede sein. Dennoch war Abenomics ein Erfolg: Die Unternehmensgewinne markierten von Jahr zu Jahr neue Rekorde, weil die Niedrigzinsen den Yen schwächten und die Förderung der Corporate Governance ausländische Investoren anlockte.

Die Inflation kehrte nach Japan erst im Frühjahr 2022 zurück, als Folge der globalen Verteuerung nach der Pandemie. Die Inflationsrate liegt inzwischen 43 Monate über dem Notenbankziel von 2%. Damit hielten die Löhne nicht Schritt, die private Kaufkraft schrumpfte – zum Beispiel verdoppelte sich der Reispreis. Ein Gegenrezept hat Japans Politik bisher nicht gefunden. Fünf Nachtragshaushalte mit Preiskontrollen und Einkommenssubventionen konnten die Steigerungen von Nahrungs- und Energiekosten nicht ausgleichen. Die Notenbank erhöhte ihren Leitzins erst im April 2024 und danach nur noch zweimal, sodass der reale Zinssatz negativ blieb. Aus Protest gegen die anhaltende Inflation wanderten viele Wähler zu Rechtspopulisten ab. Daher braucht Takaichis Minderheitsregierung die Unterstützung der Opposition.

Bekämpfung der Inflation

Die LDP hob Takaichi wegen ihrer Selbstdarstellung als „konservative Hardlinerin“ auf den Schild, damit sie die verlorenen Wähler zurückholt. Deshalb erklärte sie in ihrer ersten Rede die Bekämpfung der Inflation zur „obersten Priorität“. Doch dann wäre Abenomics 2.0 das absolute falsche Gegenmittel. Weder fiskalische Expansion noch lockere Geldpolitik drücken die Inflationsrate nach unten, vielmehr würde diese Politik Öl ins Preisfeuer schütten.

Beide Schritte treiben über die Schwächung des Yen die Inlandspreise nach oben, da Japan von Brennstoffen bis Nahrungsmitteln auf Importe angewiesen ist. Vielleicht hofft Takaichi, die hohen Preise durch Steuersenkungen auszugleichen. Gerade streicht sie eine Extrasteuer auf Kraftstoffe, was Bürger und Betriebe jedoch nur um 8,5 Mrd. Euro entlastet. Andererseits will sie den Reisanbau im Gegensatz zu ihrem Vorgänger nicht fördern, weil ein niedrigerer Preis den Bauern schaden würde.

Gastarbeiter statt Einwanderer

Takaichinomics verstrickt sich in noch mehr Widersprüche. Will Japan seinen Wohlstand erhalten, braucht es mehr ausländische Arbeiter. Doch Takaichi und ihr Koalitionspartner, die Japan-Erneuerungspartei, setzen auf „Gastarbeiter“ statt Einwanderer und wollen die Zahl der Ausländer im Land generell deckeln. Ihr Schwerpunkt liegt auf verschärften Regeln für Ausländer, nicht auf Maßnahmen zu ihrer Integration. Diese Politik könnte die Inflation erhöhen und das Wachstum bremsen.

In dieser Woche hat die neue Regierungschefin analog zu Abes Zeiten eine Zentrale und ein Beratergremium für Wachstumsstrategie ins Leben gerufen und 17 Wirtschaftssektoren als Ziele definiert. Neben KI, Halbleitern und Hochtechnologien will ihre Regierung Sektoren für mehr wirtschaftliche Sicherheit wie kritische Rohstoffe und Cybersicherheit fördern. Investoren sollten sich auf Enttäuschungen gefasst machen. Die fiskalischen Impulse dürften wegen der hohen Staatsschulden und der Steigerung des Verteidigungsetats schwächer ausfallen als bisher vom Finanzmarkt eingepreist. Takaichi steht unter Erfolgsdruck, aber sie droht über die Widersprüche ihrer Wirtschaftspolitik zu stolpern.