Wie der britische Traum vom billigen Öl und Gas verpufft
Der britische Oppositionsführer Keir Starmer hat angekündigt, dass Labour im Falle eines Wahlsiegs keine neuen Lizenzen für Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee vergeben wird. Allerdings will er bestehende Lizenzen nicht widerrufen. Greenpeace und Klimaaktivisten geht das nicht weit genug. Sie machen Druck auf den Regulierer, die North Sea Transition Authority, neuen Großprojekten wie Rosebank (Equinor, Ithaca Energy) und Cambo (Ithaca, Shell) nicht zuzustimmen. Schatzkanzler Jeremy Hunt legte bei der von Rishi Sunak an den Start gebrachten Übergewinnsteuer (Windfall Tax) noch einmal nach. Nun werden 75% der im Land erwirtschafteten Gewinne der Branche abgeschöpft. Das schadet dem Vertrauen in den Standort. Dabei ist die Abhängigkeit des Vereinigten Königreichs von Öl und Gas weiterhin groß. Fast drei Viertel des gesamten Energieverbrauchs werden damit bestritten. Das wird leicht übersehen, wenn man allein auf die Stromerzeugung blickt, wo erneuerbare Energien eine große Rolle spielen. Rund 24 Millionen Haushalte heizen mit Gas. Auch zwei Fünftel der Elektrizität werden damit erzeugt.
Wie der britische Traum vom billigen Öl und Gas verpufft
Ausbau der Nordseeförderung droht das Aus – Firmen streichen Stellen und fahren Investitionen zurück
Von Andreas Hippin, London
Als das Ölfeld Brent vor mehr als 50 Jahren in der Nordsee entdeckt wurde, weckte das noch keine Weltuntergangsängste. Man hoffte vielmehr, sich selbst versorgen und durch Exporte reich werden zu können. Schon 1964 wurden mit dem Continental Shelf Act die gesetzlichen Grundlagen für die Förderung geschaffen. 1965 fand man Gas vor der Küste von East Anglia. 1970 stieß BP im Feld Forties auf Öl. Der Ölpreisschock führte dazu, dass die heimischen Vorkommen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten. Erst 1975 kam das erste Nordseeöl an Land – dank eines US-Unternehmens: Hamilton Brothers. Ein Vierteljahrhundert lang war das Land fast durchgehend ein Nettoexporteur von Energie. Das Erdgas aus der Nordsee war so billig, dass man statt der acht unter Margaret Thatcher geplanten Atomkraftwerke nur eines baute. Mittlerweile sind einige Vorkommen erschöpft, und es wurde bereits mit dem Rückbau der Ölplattformen begonnen. Doch liegen vor den Küsten noch große Reserven, die erschlossen und gefördert werden könnten. Aus Sicht des Verbands Offshore Energies UK belaufen sie sich auf 15 Mrd. Barrel (159 Liter) Öläquivalent, genug, um das Land 30 Jahre lang mit Energie zu versorgen. Allerdings müsste mehr in die Exploration investiert werden. „Der britische Kontinentalschelf ist ein reifes Abbaugebiet“, sagt Mark Wilson, Operations Director bei der Öllobby. „Die Öl- und Gasproduktion hat im Jahr 2000 ihren Gipfel erreicht. Deshalb ist ein vorsichtiges Management der verbliebenen Ressourcen von entscheidender Bedeutung, um einen rasanten Anstieg der Importabhängigkeit zu vermeiden.“ Weitere Explorationstätigkeit sei nötig, um den Übergang zu saubereren Energien aus eigener Kraft zu schaffen. Man ersetze derzeit lediglich ein Zehntel der Reserven, die man benötige, um das momentane Produktionsniveau zu halten.
Firmen investieren weniger
Angesichts der politischen Ungewissheit sind größere Investitionen allerdings eher unwahrscheinlich. Dem Verband zufolge fahren 90% der Unternehmen ihre Ausgaben zurück. Zuletzt kündigte der US-Ölkonzern Apache (Apa Corp.), eine der zehn größten Firmen, die auf dem britischen Kontinentalschelf aktiv sind, unter Verweis auf die Übergewinnsteuer die Aussetzung der Bohrtätigkeit und den Abbau von Arbeitsplätzen an. Harbour Energy hatte bereits im Januar angekündigt, sich nicht an der jüngsten Lizenzvergaberunde zu beteiligen und stattdessen Stellen zu streichen. Enquest schob Bohrungen im Ölfeld Kraken auf die lange Bank. Von Apache hieß es, man habe die Investitionen dort auf den Prüfstand gestellt und berücksichtige dabei „das schwierige Marktumfeld in Großbritannien mit seinem zunehmend kostspieligen und beschwerlichen steuerlichen und aufsichtsrechtlichen Regime“. Angesichts des Geschäftsklimas für die Öl- und Gasindustrie in Großbritannien seien diese Assets im Vergleich zum Rest des Apache-Portfolios weniger wettbewerbsfähig geworden. Am Markt wird bereits über einen möglichen Verkauf spekuliert. Zuletzt erwarb die Prax Group den britischen Ölproduzenten Hurricane Energy, der 100% am 2009 entdeckten Ölfeld Lancaster westlich der Shetland-Inseln hält. Shell sucht einen Abnehmer für ihre 30% an Cambo. Einen neuen Eigentümer für die Beteiligung des BP-Rivalen zu finden sei „ein wichtiger Schritt für Ithaca Energy auf dem Weg zur endgültigen Investitionsentscheidung“, formulierte Ithaca-Chef Alan Bruce diplomatisch das mögliche Aus für das Projekt.
Aus Sicht der Gegner einer weiteren Erschließung von Nordseevorkommen handelt es sich bei einem Großteil des nach 50 Jahren Förderung noch vorhandenen Rests nicht um Gas, sondern um Öl. Zudem gehe es um eine Art von Öl, die von britischen Raffinerien nicht verwendet und deshalb zu 80% exportiert werde, heißt es auf der Website der Kampagne #StopCambo. Die Gasvorkommen seien begrenzt. Selbst wenn man alle nachgewiesenen Reserven und neue Vorkommen ausschöpfen würde, ließe sich damit nur 1% der europäischen Gasnachfrage bis 2050 decken. Aufgrund der meist langen Vorlaufzeiten bis zur Förderung könne es zudem bis 2050 dauern, bis Gas fließt, wenn die Lizenz dafür heute erteilt würde. „Es ist nicht unser Gas“, argumentieren die Cambo-Gegner. „Dass sich das Gas in britischen Gewässern befindet, ist keine Garantie dafür, dass es britische Haushalte erreicht.“ Es könne auch während einer Krise ins Ausland verkauft werden. Nordseeöl und -gas gehören dem Eigentümer der Lizenz. Dabei handelt es sich um multinationale Konzerne, Portfoliounternehmen von Private-Equity-Gesellschaften und Staatsunternehmen. Manche gehören ganz oder teilweise China, Iran oder Russland.
Aktivisten unterschätzen meist, dass Großbritannien noch lange Zeit auf Gas angewiesen sein wird. Muss es aus Ländern importiert werden, die sich nicht der Klimawende verschrieben haben, ist mit höheren Treibhausgasemissionen zu rechnen. Die Investmentbank Stifel Europe schätzt, dass im Falle eines beschleunigten Niedergangs der Gas- und Ölbranche bis 2035 rund 35 Mill. Tonnen CO2 zusätzlich in die Luft geblasen würden. Die über die Lebensdauer der bestehenden Ölfelder anfallenden Steuereinnahmen wären um 20 Mrd. Pfund niedriger.