Wie Trump der WTO unfreiwillig aus der Krise helfen könnte
Wie Trump der WTO aus der Krise helfen könnte
Die Welthandelsorganisation braucht dringend Reformen. Die Zollkrise könnte die Mitglieder zusammenbringen – offen ist, ob die USA beteiligt bleiben möchten.
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Eigentlich schlägt gerade die Stunde der WTO als Hüterin des regelbasierten Welthandels. Immer wieder greift US-Präsident Donald Trump mit seinen Zöllen diese Ordnung an. Das gravierendste Beispiel ist China, wo die sogenannten reziproken Zölle der USA derzeit bei extrem hohen 145% liegen. Peking ließ sich das nicht gefallen. Weit weniger mediale Beachtung als die Gegenzölle von 125% fanden die WTO-Klagen Chinas.
Die erste erfolgte bereits im Februar, als die USA einen Zollsatz von 10% auf chinesische Importe verhängten. Trump begründete diesen mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, die durch die chinesische Produktion und Ausfuhr der Droge Fentanyl gefährdet sei. Peking streitet dies ab und wertet die Maßnahmen der US-Regierung als Verstöße gegen WTO-Regeln – und erst recht die nachfolgenden reziproken Zöllen. Es folgte im April die zweite Klage vor dem WTO-Schiedsgericht.
Verstoß der USA gegen Handelsregeln
Cyrus de la Rubia, Chefökonom der Hamburg Commercial Bank (HCOB) und Welthandelsexperte, sieht China im Recht. „Ich habe keine wirklichen Zweifel, dass die US-Zölle gegen WTO-Regeln verstoßen“, sagt er. Die Zölle seien beispielsweise nicht mit dem Meistbegünstigungsprinzip vereinbar, eine der wichtigsten Regeln der WTO. Es sieht vor, dass einzelne Länder nicht mit Zöllen diskriminiert werden dürfen. Ausnahmen sind dann erlaubt, wenn Handelsabkommen existieren. Werden zudem einmal vereinbarte Zollsätze angehoben, muss die WTO dies genehmigen. Ein Verfahren, das Trump selbstredend ignoriert.

Viel zu befürchten haben die USA trotz der Verstöße dennoch nicht. Stellt das WTO-Schiedsgericht einen Regelbruch fest, sind Gegenzölle in dem Umfang des entstandenen wirtschaftlichen Schadens erlaubt. Dem hat China jedoch mit seinen Vergeltungsmaßnahmen bereits vorgegriffen. Oder die USA müssten die Zölle wieder aufheben. Doch die Vereinigten Staaten könnten in die Berufung gegen eine solche Entscheidung gehen, womit das Verfahren dann nicht mehr weiterginge.
Kritik an Subventionen
Denn das WTO-Berufungsgericht ist seit langem nicht mehr handlungsfähig. Bereits seit 2019 blockieren die USA die Ernennung neuer Richter, weswegen das Gremium nicht ausreichend besetzt ist. Grund dafür ist abermals China. Die Vereinigten Staaten werfen der WTO vor, nicht ausreichend gegen Subventionen und Dumping-Preise Pekings vorzugehen.
„An den WTO-Regeln ist einiges reformbedürftig. Neben dem Schiedsgericht etwa der Punkt, dass Beschlüsse einstimmig fallen müssen, was bei rund 180 Mitgliedern noch mal deutlich schwieriger ist als etwa bei der EU mit ihren 27 Mitgliedern“, meint de la Rubia. Auch die WTO selbst sieht dringenden Reformbedarf, kommt wegen der unterschiedlichen Ansichten ihrer Mitglieder jedoch kaum voran.
Relevant für den Welthandel
Trotz der Probleme ist die WTO nach Ansicht von Melanie Hoffmann, Zollexpertin bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes, Germany Trade & Invest (GTAI), nach wie vor sehr relevant für den Welthandel. „Das WTO-Regelwerk ist strukturell relativ veraltet, was aber nicht bedeutet, dass alles schlecht ist“, sagt Hoffmann. „Die WTO ist weiterhin wichtig und funktionstüchtig.“ Nach Angaben der WTO laufen immer noch rund drei Viertel des globalen Warenverkehrs nach ihren Regeln ab. Vor dem Zollkonflikt waren es jedoch 80% und der Anteil könnte weiter sinken.
Die von Trump hervorgerufene Krise des Welthandels könnte auf längere Sicht jedoch auch die Rolle der WTO stärken. „Es besteht die Chance, dass durch den Zollkonflikt die WTO mittelfristig wieder bedeutsamer wird“, sagt de la Rubia. „Eine Zustimmung Chinas für eine Verschärfung der Regeln gegen Anti-Dumping-Maßnahmen und Subventionen zu bekommen, ist eine schwierige Aufgabe. Sollte es aber eine globale Rezession wegen der US-Zölle geben, könnte die Gesprächsbereitschaft Chinas steigen. Krisen können stets auch ein Katalysator für Reformen sein.“
Veraltete Regeln
Ähnlich sieht es WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala. „Angesichts dieser Krise haben die WTO-Mitglieder die einmalige Gelegenheit, der Organisation Dynamik zu verleihen, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, die Entscheidungsfindung zu straffen und unsere Abkommen so anzupassen, dass sie den heutigen globalen Realitäten besser gerecht werden“, sagte sie Mitte April bei der Vorstellung des Welthandelsausblicks der Organisation. Viele Regeln stammen noch aus der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Eine wichtige Frage ist zudem, wie sich das Verhältnis zwischen den USA und der WTO entwickelt. Anders als etwa bei der Weltgesundheitsorganisation WHO hat Trump noch keinen Rückzug verkündet. Die USA haben jedoch ihre Beitragszahlungen fürs Erste eingestellt und prüfen, ob sie weiter Mitglied bleiben möchten. „Für die WTO wäre es unter dieser US-Regierung wohl besser, wenn die USA sie verlässt. Lieber eine WTO ohne als mit den Vereinigten Staaten, die die Organisationen möglicherweise von innen zerstören wollen“, meint de la Rubia.
Verlassen die USA die WTO?
Er geht jedoch eher nicht davon aus, dass die USA diesen Schritt gehen werden. Ähnlich schätzt Eric Robertsen, Chefökonom von Standard Chartered, die Lage ein. „Es gibt Leute in der Regierung Trump, wie etwa Finanzminister Scott Bessent, die wissen, wie wichtig diese multilateralen Organisationen auch für die USA sind.“
Die USA sind eigentlich der größte Beitragszahler der WTO. Rund 11% des Budgets stammen aus den Vereinigten Staaten. Dieses Geld bricht nun vorerst weg. Da die Organisation jedoch keine Kredite oder Hilfsgelder vergibt, dürfte sie mit den fehlenden Einnahmen wohl besser zurechtkommen, als dies beispielsweise für die Weltbank bei einem Austritt der USA der Fall wäre. Spurlos vorbei geht die Situation an der Welthandelsorganisation aber nicht. Reuters berichtet mit Berufung auf Insider, dass Personalkosten reduziert werden sollen.
Neues Schiedsgericht
Solange die WTO an ihren Reformen arbeitet, bleibt die Staatengemeinschaft jedoch nicht untätig. Als Reaktion auf das blockierte Schiedsgericht hat sich ein neues gegründet. Es wurde 2020 von 47 WTO-Mitgliedern ins Leben gerufen, kann aber keine Urteile gegen Nichtmitglieder wie etwa die USA verhängen. „Das neu installierte Schiedsgericht MPIA ist ein smarter Weg, um Streitigkeiten im Welthandel beizulegen“, urteilt de la Rubia dennoch.
Außerdem werden durch die Probleme der WTO Handelsabkommen bedeutsamer. „Wir erleben einen Trend zu bilateralen Abkommen, da diese einfacher zu erzielen sind als Einigungen aller WTO-Mitglieder“, sagt Hoffmann. Diese Entwicklung könnte durch den Zollkonflikt zudem an Dynamik gewinnen. So will die EU noch in diesem Jahr ein Freihandelsabkommen mit Indien abschließen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre es laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „das größte dieser Art auf der Welt“.