Notiert inMadrid

Wirtschaftsministerin auf Abruf

Nadia Calviño wurde gerade erst als Wirtschaftsministerin im neuen Kabinett von Ministerpräsident Pedro Sánchez bestätigt, doch halten die Spekulationen über ihre Nachfolge an. Denn schon bald könnte die Galicierien nach Luxenburg oder Brüssel abwandern.

Wirtschaftsministerin auf Abruf

Notiert in Madrid

Wirtschaftsministerin auf Abruf

Von Thilo Schäfer

Die Börse muss oft als politischer Gradmesser herhalten. Wenn man etwas darauf gibt, dann haben die Märkte die Wiederwahl des Sozialisten Pedro Sánchez zum Ministerpräsidenten letzte Woche im Parlament sehr gut aufgenommen. An der Bolsa de Madrid kletterte der Ibex 35 auf den Jahreshöchststand von 9.858 Punkten. Doch der Aktienmarkt spiegelt die Stimmungslage im Lande nicht unbedingt wider. Die Abkommen, mit denen sich Sánchez bei katalanischen und baskischen Nationalisten die nötigen Stimmen für seine Wahl beschaffte, lösten Großdemonstrationen im ganzen Land aus. Vor der Zentrale der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE im Argüelles-Viertel der Hauptstadt gab es tagelang Proteste, die von radikalen Gruppen in Straßenschlachten mit der Polizei verwandelt wurden.

Juristen fürchten wegen des angekündigten Amnestiegesetzes für katalanische Separatisten um die Unabhängigkeit der Justiz. Den Wirtschaftsverbänden und vielen Unternehmen bangt vor vier weiteren Jahren der linken Minderheitsregierung, die Steuererhöhungen für Großkonzerne und Reiche sowie eine Arbeitszeitverkürzung im Programm führt. Immerhin wissen die Arbeitgeber, mit wem sie es weiterhin zu tun haben werden. Sánchez bestätigte am Montag seine wichtigen Ministerinnen in den Ressorts Wirtschaft, Finanzen, Arbeit und Energiewende auf ihren Posten. Doch erwartet man in Madrid, dass schon in den nächsten Tagen die erste Kabinettsumbildung bevorstehen könnte. Die mächtige Wirtschaftsministerin Nadia Calviño gilt als Favoritin auf die Nachfolge von Werner Hoyer an der Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB). Gegenüber ihrer stärksten Rivalin, der früheren Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, rechnet die Spanierin mit der Unterstützung großer Mitgliedstaaten wie Deutschland. Sánchez hatte gehofft, dass diese Personalie bereits vor seiner Wiederwahl entschieden wäre. Doch hat sich das Rennen um den Vorsitz der EIB verzögert und könnte nun auf dem nächsten Ecofin am 8. Dezember beendet werden, den Calviño im Rahmen des halbjährigen spanischen Ratsvorsitzes noch einmal selbst leiten wird.

Die ehemalige Generaldirektion für Haushaltsplanung bei der Europäischen Kommission wurde von Sánchez 2018 von Brüssel nach Madrid zurückgeholt, als Garant oder auch Beruhigungspille für die heimische Wirtschaft, Anleger aus dem Ausland und Ratingagenturen. In den fünf Jahren wurde die Galicierin ihrer Rolle meist gerecht und bremste einige Projekte des linken Koalitionspartners Unidas Podemos aus. Doch in letzter Zeit ging auch Calviño mit Vorständen hart ins Gericht, die etwa die Sondersteuer für Banken und Energieversorger kritisierten. Die Spekulationen über einen möglichen Nachfolger der ersten Stellvertreterin von Sánchez wurden durch die Kabinettsbildung neu befeuert. Die Politikexperten in Spanien tippen auf José Luis Escrivá, der bislang das Ministerium für die Sozialversicherung und Migration geführt hatte. Ihm wurde nun ein neues Ressort für die digitale Transformation anvertraut, ein Bereich, der bislang bei Calviños Wirtschaftsministerium aufgehoben war. Sollte die Ministerin schließlich zur EIB nach Luxemburg wechseln, könnte Escrivá diese Zuständigkeit einfach wieder ins Wirtschaftsressort mitnehmen, so die Rechnung. Der etwas schrullige Volkswirt war der erste Vorsitzende der AIRef, der unabhängigen Behörde zur Aufsicht der Staatsfinanzen.

Falls es zum Wechsel im Wirtschaftsressort kommen sollte, geht man in Madrid davon aus, dass zukünftig die Finanzministerin María Jesús Montero anstelle von Calviño die Koordination der Wirtschaftspolitik der Regierung übernehmen wird. Sollte die Spanierin den Kürzeren ziehen, könnte sich schon bald eine neue Chance auf einen Job im Ausland ergeben. Sánchez könnte seine Stellvertreterin zur Kommission nach Brüssel schicken, wenn diese nächstes Jahr neu gebildet wird. Vieles deutet darauf hin, dass die angesehene Ministerin der spanischen Wirtschaft nicht mehr lang erhalten bleiben wird.

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