LeitartikelChip-Krise

Wo Europa wirklich souveräner werden muss

Europa hat sich bei der Entkopplung von China allzu bereitwillig zum Erfüllungsgehilfen der USA gemacht, ohne die Abhängigkeit bei Schlüsselindustrien reduziert zu haben. Das rächt sich in vielen Branchen.

Wo Europa wirklich souveräner werden muss

Chip-Krise

Doppelter Mangel an Souveränität

Europa hat sich bei der Entkopplung von China allzu bereitwillig zum Erfüllungsgehilfen der USA gemacht, ohne die Abhängigkeit bei Schlüsselindustrien reduziert zu haben.

Von Heidi Rohde

Im geopolitischen Ringen zwischen den USA und China um die globale Vorherrschaft bei Zukunftstechnologien hat sich Europa frühzeitig an die Seite der USA gestellt. Mit verschiedenen Instrumenten wurde den von Washington aufgebrachten Sicherheitsbedenken gegenüber chinesischen Unternehmen und deren möglicherweise staatlicher Beeinflussung Rechnung getragen. So wurde in Deutschland die Außenwirtschaftsverordnung und Investitionsprüfung verschärft, um den Zugriff chinesischer Investoren auf Schlüsselsektoren und kritische Infrastrukturen strenger zu begrenzen. Das Telekommunikationsgesetz wurde angepasst mit dem Ziel, den global führenden Netzwerkausrüster Huawei in Europa weitgehend aus dem Geschäft zu drängen, aus Sorge, dass Peking hierzulande einen digitalen Kommunikationsgau auslösen könnte.

Rückbau ist der eigentliche Gau

Unterdessen musste die Politik gerade in der Telekommunikationsbranche feststellen, dass der unmittelbare Gau in Gestalt eines forcierten Rückbaus von Huawei-Komponenten aus den Netzen drohte, weil diese auf die Schnelle gar nicht hinreichend ersetzt werden konnten. Der Umbau muss über viele Jahre gestreckt werden und zieht in einem engen oligopolistischen Markt neue Abhängigkeiten, Engpässe und einen nicht unerheblichen Preisschub nach sich – all dies ohne Zutun der chinesischen Regierung, die die Demontage ihrer Technologieikone in westlichen Märkten mit bemerkenswerter Gelassenheit begleitet hat.

Unverzichtbare Komponenten

Angesichts des von US-Präsident Donald Trump losgetretenen globalen Handelskonflikts zeigt Peking bei anderen Schlüsseltechnologien indes nun Zähne. Mit den Exportbeschränkungen für Seltene Erden treffen die Chinesen unverzichtbare Komponenten von Halbleitern und Hochleistungsprozessoren, die für zahlreiche Industrien im Energiesektor, Verteidigungsbereich und in der Automobilwirtschaft grundlegend sind. Die Eskalation bei dem vor einigen Jahren von der chinesischen Wingtech Gruppe übernommenen niederländischen Chipteile-Hersteller Nexperia zeigt die volle Verwundbarkeit Europas in dieser Schlüsselindustrie: Peking beantwortet den mit „akuten Governance-Mängeln“ begründeten Eingriff der Holländer bei Nexperia mit der Ausfuhrblockade für wichtige Baugruppen; infolgedessen droht bei Autoherstellern und Zulieferern wie VW oder Bosch teils unmittelbar Stillstand an den Bändern.

Position der Schwäche

Es mag dahin gestellt bleiben, ob die Sorge vor einem Know-how-Transfer, der Abwanderung wichtiger Produktionskapazitäten und Technologieentwicklungen aus Europa nach China berechtigt ist. Europa ist aber derzeit offensichtlich nicht in der Position, die stets befürchteten Eingriffe Pekings in die Wirtschaft auch noch zu provozieren. Denn die Region hat sich bei Gesetzen und Maßnahmen, die der Entkopplung von China dienen sollen, allzu willfährig zum Erfüllungsgehilfen der USA gemacht – zugegeben schon in einer Zeit, als das transatlantische Verhältnis noch partnerschaftlich war – ohne den Folgen Rechnung zu tragen.

Fehlende Resilienz

So zeugt es von wenig Weitsicht, eine wirtschaftliche Entkopplung in Schlüsselsektoren voranzutreiben, während der angestrebte Aufbau eigener Technologien und Produktionskapazitäten in diesen Sektoren parallel weitgehend fehlschlägt. Zwar ist hierzulande in Dresden ein größerer Chip-Cluster im Entstehen, aber die US-Unternehmen Intel und Wolfspeed haben ihre Fabrikpläne aus unterschiedlichen Gründen begraben. Die europäischen Autohersteller sind nicht nur von chinesischen Halbleiterkomponenten abhängig, sondern in der E-Mobilität in sehr großem Maße auf den weltweit führenden Hersteller von Autobatterien CATL angewiesen. Der Aufbau einer eigenen Produktion ist im ersten Anlauf mit der milliardenschweren Pleite von Northvolt ebenfalls spektakulär gescheitert.

Europa zeigt sich damit nicht nur politisch reichlich unsouverän im Verhältnis zu den USA. Auch die wirtschaftliche Souveränität lässt mangels Resilienz zu wünschen übrig, und das nicht nur gegenüber China.