LeitartikelKünstliche Intelligenz

Wohl und Wehe des Standorts hängt an der Bildungspolitik

Künstliche Intelligenz wälzt den Arbeitsmarkt um. Ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern zählt, entscheidet die Bildungspolitik und nicht allein Investitionen oder die Regulierung. Denn in der KI-Ära hängt davon Wohl und Wehe des ganzen Standorts ab.

Wohl und Wehe des Standorts hängt an der Bildungspolitik

Künstliche Intelligenz

Bildungspolitik macht den Unterschied

Von Stephan Lorz

Künstliche Intelligenz wälzt den Arbeitsmarkt um. Ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern zählt, entscheiden Schulen und Universitäten.

Die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) sind rasant: In nur wenigen Monaten verdoppeln die algorithmischen Sprachmodelle ihre Berechnungsmöglichkeiten und werden schneller, genauer und vielfältiger. Sie sind in der Lage, immer größere Datenmengen zu analysieren, fassen Informationen immer besser zusammen, fungieren gar als Gesprächspartner, können Auffälligkeiten auf Röntgenaufnahmen erkennen, die kein Mensch feststellen würde, und bieten sich als Copilot für alle möglichen Bürotätigkeiten an. Dass Fotos, Videos, Audios und ganze Bücher durch bloße Befehlseingabe generiert werden, ist nur jener Anwendungsfall, der in der Öffentlichkeit für besonders große Aufmerksamkeit sorgt. Denn jeder kann sich dieser KI bedienen, und es werden damit auch die bisherigen Vorstellungen von Kreativität in Kunst, Musik, Foto, Film und Publizistik über den Haufen geworfen. Jobsorgen machen sich daher breit, weil die KI viele bisher genuin menschliche Tätigkeiten übernehmen könnte.

Die EU hat relativ schnell reagiert und für diverse Anwendungsfälle eine eigene Regulierung, den AI Act, auf den Weg gebracht. Der wird jetzt umgesetzt. Es werden gefährliche Entwicklungen benannt, verboten oder rechtlich eingehegt und die Basis für Geschäftsmodelle gelegt, auf die Unternehmen aufbauen können. Ein großer Erfolg für Europa als Standort für professionelle KI. Die Gefahr von Jobverlusten durch KI-Tools hingegen kann keine Regulierung mindern. Wie bei anderen technologischen Umbrüchen dürften viele Stellen wegfallen, es werden aber auch neue geschaffen. Bisher hat die deutsche Wirtschaft solche Umbrüche auch immer irgendwie zum Guten wenden können und das Beste herausgeholt.

Doch mit KI droht nun ein Veränderungsschock, der weitaus größer ist als die zuletzt bewältigten. Denn parallel zu den Fortschritten in der KI gibt es auch in anderen Sektoren dramatische Durchbrüche, die für sich genommen schon große Veränderungen mit sich bringen: So erlauben in der Biotechnologie neue Tools, DNA-Sequenzen praktisch nach Belieben zu generieren. Nanotechnologie und Quantencomputing machen einen großen Satz nach vorne und realisieren Technologien, die unlängst noch als Science Fiction gegolten hatten. Auch die Robotik erlebt einen Innovationsschub, der die Einsatzbereiche dramatisch erweitert. Werden diese neuen Fertigkeiten noch mit KI kombiniert, fungiert Letztere geradezu als Prozesskatalysator. Das beschleunigt die Veränderungen in der Arbeitswelt in einer Weise, die bisherige "Revolutionen" in den Schatten stellt.

Zudem treten mit einigen Schwellenländern jetzt neue Wettbewerber auf, die – wie China in der Autowelt – den Industrieländern auf allen Sektoren Paroli bieten können. Der Einstiegszeitpunkt ist günstig, weil alles im Fluss ist und etablierte Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr so viel gelten. Zwar befindet sich der Standort Deutschland in diversen KI-Ranglisten noch im oberen Drittel, doch das war bei der Digitalisierung auch einmal so. Den Vorsprung hatte man leichtfertig aus der Hand gegeben. Und die Digitalisierung stockt immer noch. Das darf Deutschland bei der Querschnittstechnologie KI nicht noch einmal passieren. Der ganze Standort steht auf dem Spiel.

Ob Deutschland zu den KI-Gewinnern zählt, entscheiden aber nicht allein die Investitionen in Forschung und Unternehmen oder die Regulierung, sondern die Bildung. Dabei könnte uns diesmal das Humboldtsche Bildungsideal in die Hände spielen: Denn in der KI kommt es nicht unbedingt auf Spezialfertigkeiten an, sondern auf Querschnittsfähigkeiten. Microsoft-Präsident Brad Smith sagte unlängst, dass man vor allem Menschen brauche, die weit und über mehrere Wissenszweige hinweg denken: Philosophie und Mathematik, Physik und Sprache, Informatik und Soziales. Hier gilt es anzusetzen und den Sonntagsreden über Bildungsoffensiven endlich Taten folgen zu lassen. Nur wenn Artificial Intelligence (AI) durch Human Intelligence (HI) ergänzt wird, können wir den großen Umbruch in der Arbeitswelt zu unseren Gunsten nutzen. Alles muss auf den Prüfstand – auch die Länderhoheit bei der Bildung. Denn es geht diesmal um alles.