Xiaomi wird von der Realität eingeholt
Auto-Überflieger Xiaomi wird von der Realität eingeholt
Smartphone-Riese Xiaomi trifft mit seinen innovativen E-Auto-Modellen voll den Geschmack der chinesischen Verbraucher. Das bekommt vor allem Tesla zu spüren. Wären da nicht die Produktionsprobleme.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Xiaomi-Gründer und CEO Lei Jun gefällt sich in der Rolle des Tesla-Jägers. Das just in den Verkauf gelangte zweite Modell des Smartphone-Herstellers, das SUV YU7, hat eine Begeisterungswelle beim technologieaffinen jungen Publikum ausgelöst und scheint vor allem Erstkäufer anzulocken. Der Wagen des Auto-Neulings ist ein Frontalangriff auf Teslas Model Y.
Zum Vermarktungsdebüt Ende Juni liefen binnen eines Tages fast 300.000 Bestellungen für den nur im Online-Direktverkauf vertriebenen Wagen ein. Damit purzeln sämtliche Rekorde für einen Modellstart in China. Xiaomi ist es gelungen, den Hype um sein erstes Modell vom Frühjahr 2024, noch zu toppen – das war die in einer Porsche-Optik daherkommende Limousine SU7. Damals kam das Unternehmen im ersten Anlauf auf knapp 90.000 Bestellungen.
Angriff auf Tesla
Xiaomi-Chef Lei betont ganz offen, dass man sich beim Entwicklungskonzept und der Preisstrategie für den YU7 das Tesla Model Y vorgeknöpft hat und für den Kunden nachvollziehbar zu übertrumpfen versucht. Bei Beschleunigung, Leistung und Reichweite werden die Performance-Werte des Model Y übertroffen.
Der Einstiegspreis für den YU7 liegt mit 254.000 Yuan (ca. 30.000 Euro) leicht unter dem des US-Vorbilds. Als entscheidender Vorteil dürfte sich erweisen, dass Xiaomis neue Fahrassistenz-Software inbegriffen ist, während Tesla dem Kunden für das Self-Driving-Softwarepaket einen stolzen Aufpreis von 64.000 Yuan abverlangt.
Xiaomis Positionierung als technologisch besonders anspruchsvolles Smart Car im Premiumsegment stellt nun erst recht eine Herausforderung für Teslas China-Geschäft dar, das seit längerem an Schwung verliert. Teslas Marktanteil bei E-Autos in China ist von 15% im Jahr 2021 auf mittlerweile gut 7% geschrumpft. Seit Dezember lässt der Xiaomi SU7 in der monatlichen Absatzstatistik mit im Durschnitt rund 30.000 Auslieferungen das in China gefertigte Tesla Model 3 jeweils hinter sich.
Nun geht es darum, auch dem dem Model Y das Wasser abzugraben. Mit rund 450.000 Auslieferungen im vergangen Jahr gibt es immer noch Chinas bestverkauftes SUV-Einzelmodell ab.
Trumpfkarte Ecosystem
Xiaomi trifft mit seinen ins hauseigene Technologie-Ecosystem eingebundenen ultravollvernetzten Smart-Car-Features einen Nerv bei der Kundschaft. Die starke Markenpräsenz bei Smartphones sowie ein Sammelsurium von Konsumelektronik- und Haushaltsgeräten überträgt sich nahtlos in die E-Auto-Sphäre. Kann es dem Newcomer mit diesem Paket gelingen, den chinesischen Markt aufzurollen? Steht den Massenproduzenten wie Marktführer BYD und der stark aufholenden Geely eine neue Automacht ins Haus? Ein Blick auf Xiaomis Produktionskapazitäten und die Möglichkeiten zum künftigen Ausbau der Modellpalette lässt dies nicht erwarten.
Realitätscheck
Egal wie groß der Hype nach den neuen Modellen auch sein mag – die Langlebigkeit der Kundenbegeisterung wird auf eine harte Probe gestellt. Denn den Sensationsmeldungen über die hohe Zahl der vorbestellten Fahrzeuge folgte umgehend der Realitätsscheck: Die Produktion des YU7 ist erst kurz vorher angelaufen.
Das Unternehmen hofft, die Kapazitäten soweit hochfahren zu können, dass ab Herbstbeginn rund 10.000 YU7 vom Band laufen können. Für das Gros der Kunden bedeutet das bis zu einem Jahr Wartezeit, bevor das neue YU7 bei ihnen eintrifft.
Frust bei Kunden
Auf den sozialen Medien entlädt sich der Frust. Nachdem die Kunden ihre Order mit einer nicht wiedererstatteten Vorauszahlung von 5.000 Yuan (600 Euro) gesichert hatten, wurde ihnen in der Xiaomi-App eine voraussichtliche Wartezeit von 40 bis 60 Wochen angezeigt. Im Vorfeld der Bestellung war dies nicht ersichtlich.
Daran knüpft sich ein mögliches weiteres Ärgernis: Bislang geltende Steuerbegünstigungen beim E-Autokauf laufen zum Jahresende 2025 aus. Und es ist nicht sicher, dass sie nochmals verlängert werden. Das könnte Fahrzeuge, die erst 2026 ausgeliefert werden, aus Sicht der Kunden empfindlich verteuern.
Export in weiter Ferne
Mit der Crux bei Kapazitätsausbau und Erfüllung der heimischen Nachfrage erübrigt sich bis auf weiteres die Frage, ob der Charme des rollenden Smartphones auch den deutschen E-Auto-Kunden zu verführen mag. Im Gegensatz zu BYD, Geely, SAIC oder Chery, die ihren Expansionskurs über die Exportschiene weiter vorantreiben, muss Xiaomi alle Kräfte auf die Erweiterung der heimischen Produktion fokussieren. Ambitionierte Zeitpläne für den globalen Markteintritt sind ad acta gelegt. Xiaomi-Gründer Lei konzediert, dass angesichts der aktuellen Produktionsauslastung ein Export von Xiaomi-Autos ins Ausland nicht vor 2027 anvisiert werden kann.
Anleger zucken zusammen
An der Börse sieht man es mit gemischten Gefühlen. Die Erfolgsmeldungen zum YU7 ließen die Xiaomi-Aktie in Hongkong kurzzeitig um 8% auf ein Allzeithoch anschieben, in den Folgetagen ist sie allerdings wieder deutlich zurück gesackt. Das Kapazitätsthema kühlt die Wachstumsfantasie wieder ab. Das dürfte den seit Frühjahr 2024 rund vervierfachten Xiaomi-Aktienkurs nun volatiler gestalten und Aufwärtspotenzial begrenzen.
Break-even in Sicht
Im Vergleich der heimischen Smart-Car-Rivalen wie Nio oder Xpeng, deren Break-even auch nach vielen Jahren noch auf sich warten lässt, steht Xiaomi freilich glänzend dar. Das 2022 lancierte EV-Projekt strebt in ungewöhnlich flottem Tempo in Richtung Gewinnzone. Für das Märzquartal weist man von 700 auf 500 Mill. Yuan weiter geschrumpfte Anlaufverluste aus. Lei rechnet damit, dass der Break-even für die neue Sparte in der zweiten Jahreshälfte geschafft wird. So schnell hat noch kein chinesisches Elektroauto-Startup die Profitabilitätsschwelle erreicht.