Unterm StrichAktivistische Aktionäre

Zeitenwende in der Deutschland AG

Einst gefürchtet, heute akzeptiert und geschätzt: Aktivistische Investoren nehmen in der Deutschland AG Platz. Bei Bayer demnächst sogar im Aufsichtsrat.

Zeitenwende in der Deutschland AG

Ritterschlag für Aktivisten

Von Claus Döring

Einst gefürchtet, heute akzeptiert und geschätzt: Aktivistische Investoren nehmen in der Deutschland AG Platz. Bei Bayer demnächst sogar im Aufsichtsrat.  

Ist es schiere Verzweiflung, Opportunismus oder ein kluger Schachzug, den Aktionärsaktivist und ESG-Investor Jeff Ubben zur Wahl in den Bayer-Aufsichtsrat vorzuschlagen? Schließlich war Ubben, der sich mit seinem Fonds Inclusive Capital mit gut 400 Mill. Euro ins Bayer-Aktionariat eingekauft hatte, vor gut einem Jahr über die Financial Times mit der Forderung an die Öffentlichkeit getreten, den Vorstandsvorsitzenden auszuwechseln und Bayer zu zerschlagen. Der erste Teil seines Verlangens ist mit dem CEO-Wechsel von Werner Baumann zu Bill Anderson inzwischen erfüllt, der zweite steht noch aus.

Vorbild DowDuPont

Wenn Anderson in der neuen Woche Bayers Zahlen und Konzernstrategie präsentiert, dürfte die Abspaltung von Consumer Health oder gar die weitere Aufspaltung von Bayer in ein Pharma- und ein Agrarchemieunternehmen noch kein Thema sein. Doch Ubben wird als Aufsichtsrat dafür sorgen, dass ein Spin-off auf der Agenda bleibt, vor allem dann, wenn die von Anderson geplanten Sanierungsmaßnahmen nicht greifen. Denn das nach dem Kauf von Monsanto schwer gebeutelte Agrargeschäft sieht der Aktivist als „Juwel“, dessen Wert gehoben werden muss. Vorbild ist Ubben die Aufspaltung von DowDuPont im Jahr 2019, als das Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäft von Dow als Corteva verselbständigt wurde. Seither ist der Corteva-Aktienkurs um 144% gestiegen. Die Börse bewertet den Agrarspezialisten aktuell mit 36 Mrd. Euro, ein Multiple von 20 auf den für 2024 erwarteten Gewinn. 

Dialog statt Konfrontation

Der Umgang Bayers mit Jeff Ubben, seine Einbindung zunächst in den Nachhaltigkeitsrat des Konzerns und demnächst in den Aufsichtsrat, zeigt die Lernkurve deutscher Publikumsgesellschaften im Umgang mit aktivistischen Aktionären. An die Stelle von Konfrontation ist in der Regel der Dialog getreten, denn das von Aktionärsaktivisten verfolgte Ziel der Wertsteigerung wird meist auch von den anderen aktiven Investoren wie institutionellen Anlegern geteilt. „Wer performt, hat kein Problem“: Diese Einschätzung eines im Umgang mit Aktivisten erfahrenen Dax-CEO zeigt das veränderte Verhältnis. Selbst große institutionelle Anleger, die sich als Langfristinvestoren verstehen wie der norwegische Staatsfonds Norges, schätzen die Arbeit der kurzfristiger orientierten Aktivisten. Denn meist hat ihr Auftreten disziplinierende Wirkung aufs Management und schafft somit nachhaltig Mehrwert.

Professionelle Kampagnen

Die Kampagnen von aktivistischen Aktionären haben sich professionalisiert, wie Wissenschaftler einräumen, die deren Aktivität und Marktwirkung analysieren. Der Einstieg von Aktivisten führt in der Regel zu Portfoliobereinigungen und einem schärferen Risikoprofil, was mit einem höheren Aktienkurs belohnt wird. Umgekehrt ist solch ein höheres Risiko eher nachteilig für Bondholder und Kreditgeber, zumal die von Aktivisten oft forcierten Ausschüttungen in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen die finanzielle Stabilität gefährden können. Insofern ist die radikale Dividendenkürzung von Bayer, um beim Beispiel zu bleiben, ein wichtiges Signal an die Fremdkapitalgeber des hoch verschuldeten Konzerns.

Indem sie überholte Strukturen von Unternehmen und Verkrustungen aufbrechen, tragen aktivistische Aktionäre zur Effizienz des Kapitalmarkts bei. Doch noch immer ist die Aufregung groß in Vorständen und Aufsichtsräten deutscher Aktiengesellschaften, wenn sich die einst als Schmuddelkinder des Kapitalmarkts verpönten Aktionärsaktivisten angekündigt oder gar eingekauft haben. Schwache Performance und Unstimmigkeiten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sind oft die Einladung an Aktivisten. Eine Heerschar von Beratern lebt davon, Unternehmen für diese Fälle Abwehrstrategien zu verkaufen. Im Einzelfall können solche Strategien nützlich sein. Grundsätzlich aber gilt, dass ein hoher Aktienkurs beziehungsweise eine überdurchschnittliche Bewertung der beste Schutz vor aktivistischen Aktionären ist. Was bei Bayer, um beim Beispiel zu bleiben, seit der Übernahme von Monsanto nicht mehr der Fall war.

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