LeitartikelThyssenkrupp

Zurück auf Los

Die Reaktion der Investoren auf den abrupten Führungswechsel bei Thyssenkrupp ist eindeutig. Positive Seiten lassen sich ihm nicht abgewinnen.

Zurück auf Los

Thyssenkrupp

Zurück auf Los

Von Annette Becker

Die Reaktion der Investoren spricht eine klare Sprache: Dem abrupten Führungswechsel sind keine positiven Seiten abzugewinnen.

Dass es bei Thyssenkrupp mal wieder rumort, war längst kein Geheimnis mehr. Dennoch hat die Nachricht vom Rückzug von Vorstandschefin Martina Merz am Montag dieser Woche zumindest in zeitlicher Hinsicht überrascht. Erst im vorigen Jahr hatte die einstige Bosch-Managerin einen neuen Vorstandsvertrag erhalten, noch dazu mit einer Laufzeit von fünf Jahren. Inwieweit Merz, die nach dem Rauswurf von Guido Kerkhoff 2019 zunächst nur interimistisch von der Aufsichtsrats- an die Vorstandsspitze getreten war, ihren bis März 2028 laufenden Vertrag ausgezahlt bekommt, soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter beleuchtet werden.

Interessanter nämlich ist, was aus ihrem Erbe wird. Denn der Umbau des Traditionskonzerns zu einer Group of Companies, den Merz im Mai 2020 ausgerufen hatte, ist bestenfalls in Ansätzen zu erkennen. Zwar gibt es beim Verkauf der aussortierten Geschäfte einige Erfolge vorzuweisen, die großen strukturellen Veränderungen – neue Eigentümerlösungen für die Stahlsparte und den Marineschiffbau – lassen dagegen weiter auf sich warten. Mit Merz Abgang ist Thyssenkrupp zurück auf Los.

Zwar konnte der Aufsichtsrat mit Miguel Ángel López Borrego gleich einen Nachfolger präsentieren – sprich: der „freiwillige“ Rückzug von Merz ist keiner spontanen Laune entsprungen –, einarbeiten muss sich der Spanier trotzdem. Das wird den notwendigen Umbau weiter verzögern. Zumal bei dem Essener Traditionskonzern ganz eigene „Dos and Donts“ gelten. Das hat nicht nur Merz erfahren dürfen, auch ihre Vorgänger Heinrich Hiesinger und Kerkhoff lernten schnell die Macht der Gewerkschafter kennen und respektieren. Das kostete sie am Ende den Rückhalt bei den Investoren.

Insofern erstaunt es durchaus, dass Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm mit dem Brustton der Überzeugung kundtut, dass die Transformation auf der Basis der strategischen Leitlinien fortgeführt werden soll. Will heißen: An der Verselbständigung der Sparten Steel Europe und Marine Systems wird festgehalten samt der Option, neue (Mit-)Eigentümer an Bord zu holen. Ins Werk setzen dürfen die Strategie freilich andere, allen voran der neue Vorstandschef, der am 1. Juni bar jeglicher Hausmacht in Essen antritt. Inwieweit es dem 58-jährigen Spanier gelingt, das dreiköpfige Führungsgremium wieder zu einen, bleibt abzuwarten. Dass die Führungsposition erneut extern besetzt wird, wirft ja ohnehin Fragen auf. Ging es darum, niemanden vor den Kopf zu stoßen, oder braucht es den Blick von außen, um mit Tradiertem zu brechen?

Die Reaktion der Investoren spricht dagegen eine unmissverständliche Sprache. Obwohl Merz im Aktionärskreis keineswegs nur Freunde hatte, können die Anteilseigner dem abrupten Führungswechsel keine positiven Seiten abgewinnen. Das sollte nicht als Votum gegen den Neuen missinterpretiert werden, sondern als Ausdruck der Enttäuschung darüber, dass sich der Umbau weiter verzögert.  Eingedenk des Shitstorms, der beim Rücktritt von Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner 2018 über die Krupp-Stiftung hereinbrach, ist nachvollziehbar, dass sie sich als größte Einzelaktionärin und Befürworterin von Merz den Gegebenheiten widerspruchslos fügt. Zielführend ist es jedoch nicht.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Handlungsspielraum für jeden neuen Konzernchef weiter einengt. Mit der Entscheidung, das florierende Aufzugsgeschäft zu verkaufen, hatte sich Merz Anfang 2020 Zeit gekauft, um das wankende Industriekonglomerat fit für die Zukunft zu machen. Von den damals erlösten 17 Mrd. Euro sind zwei Pandemiejahre und ein Jahr Energiekrise später jedoch nur noch 3,3 Mrd. Euro übrig. Zwar hat die Zinswende auf der Passivseite der Bilanz – Stichwort: Pensionslasten – etwas Entspannung gebracht. Doch solange es nicht gelingt, dem Mittelabfluss Einhalt zu gebieten, ist es einzig eine Frage der Zeit, wann Thyssenkrupp die Puste endgültig ausgeht. Bei der dann anstehenden Verwertung der Einzelteile lassen sich weder die besten Preise erzielen noch Arbeitsplätze vertraglich absichern. Das sollte der Kapitalseite im Aufsichtsrat ebenso klar sein wie den Vertretern der Arbeitnehmerseite.