LeitartikelBörsenbetreiber

Dem Aktienhandel bleibt die Nebenrolle

Nasdaq und Deutsche Börse weiten die Handelszeiten für Aktiengeschäfte aus. Das ist ein sinnvolles Angebot, das aber kaum Nachahmer finden wird.

Dem Aktienhandel bleibt die Nebenrolle

Börsenbetreiber

Dem Aktienhandel bleibt die Nebenrolle

Von Sebastian Schmid

Nasdaq und Deutsche Börse weiten die
Handelszeiten für
Aktiengeschäfte aus.
Ein sinnvolles Angebot, das kaum Nachahmer finden wird.
Die Renaissance des Aktienhandels fällt aus.

Der Markt schläft nie! Diese Umschreibung einer Eigenschaft internationaler Finanzmärkte könnte an der Nasdaq zumindest an Wochentagen bald Realität werden. Der US-Börsenbetreiber hat bei der amerikanischen Börsenaufsicht SEC eine Ausweitung der Handelszeiten auf 23 Stunden pro Tag beantragt. Die einstündige Pause soll lediglich Wartungsarbeiten dienen. Von Nachtruhe kann also keine Rede sein, allenfalls reicht die Zeit für ein Nickerchen...

Die Ausweitung der Handelszeiten hat zwei Gründe. Erstens soll der internationalen Bedeutung der US-Märkte Rechnung getragen werden. Im amerikanischen Aktienmarkt sind institutionelle Investoren aus der ganzen Welt aktiv, die zu ihren jeweiligen Arbeitszeiten handeln wollen. Auch Privatanleger, die in den Vereinigten Staaten für knapp ein Drittel des täglichen Handelsvolumens stehen, sind es gewohnt digitale Dienstleistungen rund um die Uhr in Anspruch nehmen zu können. Entsprechend fallen die Anforderung an den Aktienhandel aus.

„Off-Exchange“-Handel wächst seit Jahren

Der Schritt, der im dritten Quartal 2026 erfolgen soll, kommt spät. Seit diesem Jahr mehren sich Berichte, in den USA würden erstmals mehr Aktiengeschäfte außerhalb der großen Handelsplätze Nasdaq und Nyse („Off-Exchange“) abgewickelt werden als auf den Börsen selbst. Das liegt zwar auch daran, dass bei Privatanlegern beliebte Penny Stocks überwiegend abseits der öffentlichen Handelsplattformen stattfinden. Hauptgrund, dass der Anteil des außerbörslichen Handels in den USA seit Jahren steigt sind aber Direktgeschäfte zwischen großen Institutionellen. 2019 stand der Off-Exchange-Handel in den USA noch bei rund 38%.

Ohne Anpassung der Regulierung dürfte das Gros des Geschäfts zwar kaum in den transparenten Markt zurückkommen. Dennoch: Ein Großteil der Off-Exchange-Geschäfte findet außerhalb der klassischen Handelszeiten statt. Hier besteht zumindest eine Chance. Für ein Zurückholen größerer Teile der Aktienhandelsvolumina an die Börsen spricht, dass sich das außerbörsliche Geschäfte negativ auf Preis-Transparenz und Marktqualität auswirkt. Mit dem Quasi-Rund-um-die-Uhr-Handel könnte die Nasdaq dafür sorgen, dass auch jenseits klassischer Handelszeiten eine robuste Preisfindung möglich ist.

Unterschiedliche Marktvoraussetzungen

Bleibt die Frage, ob ein ähnlicher Versuch in Deutschland und Europa sinnvoll wäre. Die Deutsche Börse plant zwar mit der leichten Ausweitung der Xetra-Handelszeiten für den Retail-Markt. Das ist aber eher eine Evolution als eine Revolution. Aus gutem Grund: Der Anteil des Aktienhandels an der öffentlichen Wertpapierbörse ist in Europa zwar deutlich höher als in den USA. Entscheidender ist aber das absolute Handelsvolumen. An der Nasdaq fallen die täglichen Volumina knapp dreimal so hoch aus wie das Handelsvolumen auf Xetra – und zwar das monatliche. Damit dürfte zumindest auf dem aktuellen Niveau der Handel in der Nacht deutlich zu dünn sein, um hierzulande wirklich Sinn zu ergeben.

Strategisch hat sich beide Börsenbetreiber ohnehin schon seit Jahren darauf eingestellt, dass der klassische Aktienhandel nicht das Wachstumsfeld der Zukunft sein kann. Auch wenn Listings gerade bei der Nasdaq noch eine wichtige Rolle spielen. Investiert wird dies- und jenseits des Atlantiks indes primär in IT-Services. Die jüngst von der Deutschen Börse vereinbarte Milliarden-Deal mit Allfunds schlägt in diese Kerbe. Die Nasdaq investiert ebenfalls in Informationstechnologie, könnte aber, selbst wenn sie wollte, den Kurs der Deutschen Börse nicht replizieren. Die Fonds-Marktstruktur in den USA unterscheidet sich durch eine deutliche stärkere Fragmentierung. Das Geschäft verteilt sich auf viele Player, die jeweils nur Teildienstleistungen anbieten. Universelle B2B-Fondsverwaltungsplattformen wie Allfunds gibt es nicht. Die unterschiedliche strategischen Ansätze von Nasdaq und Deutscher Börse gehen daher weniger auf unterschiedliche Einschätzung der Aktienmarkt-Entwicklung zurück, sondern basieren auf den unterschiedlichen Marktgegebenheiten.