Die KI-Welt vor der schöpferischen Zerstörung?
Die KI-Welt vor der schöpferischen Zerstörung?
Im Blickfeld: Krisen im Kapitalismus
Die KI-Welt vor der schöpferischen Zerstörung?
Irrationaler Überschwang ist ein notwendiger Impuls für die Fortentwicklung einer Volkswirtschaft. Und die Dotcom-Blase zeigt, dass Krisen den technologischen Fortschritt in die richtige Richtung lenken. Steht nun auch die KI vor einem „Minsky-Moment“?
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Er war ein Eigenbrötler und seine ökonomische Theorie fristete lange Zeit ein Nischendasein: Der Ökonom Hyman Minsky stellte die These auf, dass zum Kapitalismus unweigerlich die Krise gehört. Periodische Schwankungen zwischen „Boom and Bust“ seien ein grundlegendes Merkmal unserer Wirtschaft. Seine These: Die Ursachen aller Krisen werden lange davor in Zeiten der Stabilität gelegt und brechen sich erst später Bahn. Wenige Jahre nach seinem Tod erinnerte man sich wieder an ihn und bezeichnete die Dotcom- und Finanzkrise als den „Minsky-Moment“.
Auch ein anderer Theoretiker ging davon aus, dass sich Kapitalismus und Marktwirtschaft stets in Wellen entwickeln und immer wieder selbst zerstören: Joseph Schumpeter hat den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ geprägt. Neue Technologien und Innovationen verdrängen bestehende Strukturen, was krisenhafte Entwicklungen mit sich bringt: Überinvestition und Spekulation auf der einen Seite sowie Strukturwandel samt Rezession auf der anderen Seite. Es findet eine Bereinigung des Marktes statt, die Preisbildung wird auf eine neue Grundlage gestellt, was der Modernisierung dann den Weg bereitet.
Gründerkrise als Mahnung
Es gibt eine ganze Reihe von historischen Ereignissen, die einen solchen Zusammenhang nahelegen: die Eisenbahn- und Südseeblase sowie die Gründerkrise im 19. Jahrhundert etwa, der Börsen-Crash 1929 auch infolge der neuen Rolle des Finanzmarkts, die Dotcomblase im Zuge der Internet-Entwicklung im Jahr 2000, deren Bekämpfung später die Grundlagen für die Immobilien bzw. Subprime-Krise in den USA 2007 gelegt hatte. Immer wieder hatten sich die Volkswirtschaften angepasst, neu strukturiert, Jobs wurden vernichtet, aber in der Regel mehr davon an anderer Stelle neu geschaffen.
Eine besondere Fortschrittsfunktion haben Krisen bzw. Blasen, die durch neue Schlüsseltechnologien entstehen. Aus den Hoffnungen nach neuen Gewinnquellen entsteht nämlich „irrationaler Überschwang“ (US-Ökonom Robert Shiller) der mit enormer Überinvestition einhergeht. Herdenverhalten treibt die Kurse dann ins Unermessliche, und gemeinschaftliche Panikreaktionen lassen sie wieder zusammenbrechen. In der Geschichte der Eisenbahn war dies gleich mehrfach der Fall. Zuletzt gab es die Dotcomkrise, als Digitalisierung und Internet zu einem neuen Sektor fusionierten, der eine Neuorientierung der Branchen- und Marktakteure erzwang.
Vor dem Platzen der Dotcomblase schien die Wirtschaftswelt noch in Ordnung, aber eine „Neue Zeit“ kündigte sich an, wie damals vielfach begrüßt. Das hat viele euphorisiert. Der damalige Chefökonom der Deutschen Bank in New York, Ed Yardeni, bekannte etwa, er machte sich damals mehr Sorgen um den Jahrtausendwechsel wegen möglicher Computerstörungen als um eine Dotcom-Übertreibung. Die meisten Akteure waren sich sicher, dass die hohen Aktienkurse fundamental begründet seien; auch, weil die „digitale Ökonomie“ anderen Gesetzen folge.
This Time is different
Traditionelle Bewertungsmaßstäbe wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis würden nicht mehr gelten, hieß es, weil Netzwerkeffekte, Marktgröße und Innovationen wichtiger wären. Firmen würden in Zukunft so viel profitabler sein, als man sich das heute vorstellen könne. Neue Unternehmen warben um Aktionäre, in Namen, Optik und Geschäftszielen auf „Netz“, „digital“ und „online“ abgestimmt. Das Storytelling feierte damals große Erfolge.

Niemand wollte den Zug verpassen. Startups wurden mit Krediten und Kaufangeboten förmlich überschüttet. Extrem hohe Wachstumsraten wurden eingepreist, ohne dass sie eine solide Bilanzbasis vorweisen mussten – geschweige denn konnten. „This Time is different“, titelte etwa die Washington Post. Das Wall Street Journal vertraute ganz dem „Wirken des Marktes“. Und noch im Jahr 2000 verteidigte selbst die Federal Reserve Bank of San Francisco die Aktienmarktentwicklung wegen der hohen Gewinnerwartungen.
Neue Bilanzindikatoren wurden erfunden: Price-to-Sale-Ratio (Aktienkurs im Verhältnis zum Aktienumsatz), Unique Visitor View (Unternehmenswert pro Besucher oder Seitenabruf), die „Burn Rate“ (der monatliche Kapitalverbrauch) – letztere aber nicht als Warnsignal, sondern als Kenngröße, ob das Unternehmen auch wirklich aggressiv genug investiert. „Traditionelle Wertmaßstäbe von Unternehmen passen nicht zu Online-Konzernen“, schrieb Morgan Stanley 1999.
Ernüchterung und Initalisierung
Dann kam die Ernüchterung. Die Hoffnung auf die versprochenen Gewinne erfüllte sich nicht, die Ungeduld wuchs. Skepsis machte sich breit, ob es sich tatsächlich um eine „neue Ökonomie“ handelt, die anderen Spielregeln folgt. Die Blase platzte – und mit den Kursen ging es rasant abwärts. Pleiten folgten: eToys, Boo sowie die Telekommunikationsfirmen Global Crossing und Worldcom. Die Kursverluste betrugen bei Amazon 90%, bei Intel 75%, bei Cisco 86%, Qualcomm 80%, Oracle 80% und Microsoft 70%, Yahoo 96%. Der US-Aktienindex Nasdaq verlor zwischen 2000 und 2002 bis zu 80% seines Wertes.
Nichtprofitable Sektoren ausgesiebt
Doch die Krise hatte auch ihr Gutes: die Internetbranche konsolidierte sich. Die Investitionen und das Wissen blieben, waren Basis für einen Neuanfang, dem Web 2.0. Amazon, Microsoft, Qualcomm, Oracle und Cisco erfanden sich neu und feierten wieder Erfolge. Und neue Unternehmen mischten plötzlich mit und wuchsen zu unvergleichlicher Größe heran: Google, Meta, Salesforce und YouTube.
Auch aktuell sorgen sich Beobachter wie die BIZ, der IWF, die EZB und die Bundesbank, dass sich mit den enormen Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) die nächste Blase aufpumpt. Wie in der Dotcomkrise werden einzelne Unternehmen mit gigantischen Kapitalmitteln versorgt und die Investitionen wachsen in bisher unbekannte Größenordnungen. Auch bei KI spricht man von einer „neuen Ökonomie“, welche die Gesetzmäßigkeiten grundlegend verändert. Es wird die Hoffnung auf ein gigantisches Gewinnwachstum geweckt, weil KI viele Jobs ersetze und die Produktivität ins Unermessliche steigen werde.
Überinvestition bei Datacenter?
Zwischen 2015 und 2024 wurden in den USA 32 Mrd. Dollar pro Jahr in Datacenter investiert; von September bis Oktober 2025 waren es aber schon 75 Mrd. Dollar. Morgan Stanley hat zusammengetragen, dass für die Jahre zwischen 2025 und 2028 Investitionen von 2,9 Bill. Dollar angekündigt sind. Rund 40% des US-Wachstums im laufenden Jahr lassen sich schon direkt aus den KI- Investitionen herleiten.
Die Investmentbank GoldmanSachs sieht indes noch keinen Blasencharakter, warnt aber vor „Überinvestition“. Noch sei die systemische Verwundbarkeit „wesentlich geringer als in früheren Blasen“. Doch selbst handelnde Akteure wie OpenAI-Chef Sam Altman oder Amazon-Chef Jeff Bezos halten die Euphorie inzwischen für „zu extrem“.
Konsolidierung voraus?
Aber selbst, wenn aus der KI-Blase Luft entweicht oder sie platzt, ganze Konzerne in die Pleite rutschen: Wie in der Dotcomkrise bleiben die Investitionen; und aus der Erfahrung werden Lehren gezogen. Der Sektor wird sich konsolidieren und solider aufstellen, zu hohe Erwartungen werden zurückgeschraubt. Anleger werden den Markt nüchterner betrachten, die KI-Konzerne ebenfalls vorsichtiger agieren. Die Welt von morgen wird zwar wegen KI ganz anders aussehen als heute, die Wirtschaftsstrukturen sich tiefgreifend ändern, aber sie wird nicht so brachial daherkommen, wie von KI-Missionaren verkündet. KI wird jedoch in Produkte und Branchen einsickern, Startups werden die ein oder andere Killerapplikation entwickeln. Und es werden neue Weltkonzerne erwachsen wie damals Amazon und Meta.
