LeitartikelSiemens

Ein Versprechen auf die Zukunft

Siemens trennt sich von der Medizintechnik und wird künftig allein am Erfolg im Industrie-Kerngeschäft gemessen. Der „One-Tech-Ansatz“ bleibt trotz aller Kommunikationsbemühungen nebulös.

Ein Versprechen auf die Zukunft

Die Siemens-Aktie hat am Donnerstag einen hohen Kursabschlag erlitten. Dies spiegelt die Enttäuschung über die Mittelfristziele. Außerdem hatten die Anleger auf eine schnellere Trennung von Siemens Healthineers gesetzt. Dabei könnten die Investoren eigentlich jubeln. Siemens gibt die Mehrheit an der Medizintechniktochter ab. Eine derartige Transaktion stand seit Jahren auf vielen Sprechzetteln von Großinvestoren für die Hauptversammlung. Allerdings wählt der Konzern nun die hierzulande unerprobte Konstruktion der Direktabspaltung.

Anlass zum richtigen Jubel hat das Healthineers-Management. Der Aktienkurs kam zuletzt nicht vom Fleck, weil der Streubesitz zu klein ist. Sobald die Transaktion über die Bühne gegangen ist, kann sich operativer Erfolg in der Bewertung widerspiegeln. Allerdings besteht immer noch das Risiko von Siemens-Anteilsverkäufen.

Die Medizintechnik wird Siemens fehlen

Für Siemens ist dies ein Einschnitt. Mit der Medizintechnik wird eine weitere Wurzel gekappt. Das Ziel von Vorstandschef Roland Busch, damit die Diskussion über die Auflösung des Konglomerats zu beenden, wird sich aber nicht erfüllen. Die Bahntechnik wirkt wie ein Fremdkörper, und auf diesen Strickfehler der Digitalisierungsstrategie für die Industrie werden sich Hauptversammlungsredner in Zukunft konzentrieren. Das „hochgradig synergetische Portfolio“, das Busch proklamiert, gibt es nur ohne Siemens Mobility.

Die Medizintechnik wird der Siemens AG und vielleicht auch ihren Aktionären fehlen. Erstens sorgt sie für einen hohen Cash-flow. Zweitens stabilisiert Healthineers mit dem weitgehend konjunkturunabhängigen Geschäft die Jahresergebnisse. Der Schwächeanfall der Siemens-Kernsparte Digital Industries in den vergangenen zwei Geschäftsjahren hat vor Augen geführt, wie schwankungsanfällig diese Aktivitäten sein können.

Höhere Ausschüttungsquote unvermeidlich

Die erste Besorgnis versucht der Siemens-Vorstand mit dem Bekenntnis für eine weiter steigende Dividende je Aktie zu kontern. Allerdings müssen dann die Überweisungen an die Aktionäre auch erwirtschaftet werden. Eine höhere Ausschüttungsquote wird anfangs unvermeidlich sein.

Die zweite Sorge ist schwieriger zu bekämpfen. Der Vorstand setzt hier an, indem er den Umsatz stärker steigern will. Bis zu 9% sollen pro Jahr drin sein, also mehr als bisher – allerdings ohne Siemens Healthineers. Der bereinigte Gewinn pro Aktie wird demnach regelmäßig im hohen einstelligen Prozentbereich zulegen.

Das angepeilte Umsatzwachstum ist allerdings kein großer Sprung. Die Erhöhung im Vergleich zur bisherigen Vorgabe von bis zu 7% ergibt sich teilweise rechnerisch durch die Dekonsolidierung von Siemens Healthineers. Und das angepeilte Gewinnwachstum ist eine Fortschreibung der bisherigen Ambitionen.

Strategie bleibt nebulös

Im Zentrum der Bilanzpräsentation, die mit einem Kapitalmarkttag vereint und in das neue Format „Siemens One Tech – Strategy & Results“ gepackt wurde, stand das Programm „One Tech Company“. Es bleibt allerdings nebulös.

Die Expansion im Digitalgeschäft, die Siemens unter den Titel „Grow Digital“ stellt, und das Beackern von Wachstumsregionen rund um die Welt („Grow Regions“) gehörte schon vor den Dekonsolidierungsambitionen zur Kernphilosophie des Konzerns. Dass Angebote für die verschiedenen Kundenbranchen gebündelt werden, ist ebenfalls nicht neu („Grow Verticals“). Das neue Buzzword Künstliche Intelligenz („Grow AI“) muss erst noch mit Leben gefüllt werden.

Es ist richtig, dass Siemens seine PS besser auf die Straße bringen sollte. Nichts ist anstrengender, als ein Unternehmen operativ besser zu machen. Dies ist tägliche Kleinarbeit an Projekten – weitaus aufwändiger als Portfolio-Artistik. Wenn es gelingt, ist es aller Ehren wert. Letztlich gilt: Jede Strategie ist ein Versprechen auf die Zukunft. Im Fall Siemens gilt dies jedoch in besonderem Maß.

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Ein Versprechen auf die Zukunft

Siemens trennt sich von der Medizintechnik und wird künftig allein am Erfolg im Industrie-Kerngeschäft gemessen. Doch die Mittelfristziele enttäuschen. Der „One-Tech-Ansatz“ bleibt trotz aller Kommunikationsbemühungen nebulös.

Von Michael Flämig