KommentarLaborfleisch-Verbot

Kultivierte Ignoranz

Nach Italien hat nun auch Ungarn ein Verbot von zellkultiviertem Fleisch beschlossen. Mit ihrem Kampf um „Traditionen und Kultur“ verbauen sich die zwei Mitgliedstaaten in jedem Fall die Chance, Teil einer Wachstumsbranche zu werden.

Kultivierte Ignoranz

Kultivierte Ignoranz

Von Karolin Rothbart

Laborfleisch-Verbote

Nach Italien hat nun auch Ungarn ein Gesetz beschlossen, das die Herstellung und den Verkauf von sogenanntem Laborfleisch untersagt. Die Technologie, bei der lebenden Tieren Stammzellen entnommen werden, damit sie sich in Bioreaktoren vermehren, verspricht zwar eine ressourcenschonende Produktion von Fleisch, die mit weniger Tierleid verbunden ist als in der klassischen Zucht. Dennoch würde Ungarn als Land seine „Identität verlieren“, wenn Lebensmittel dort plötzlich nicht mehr am Boden hergestellt werden, begründete Agrarminister Istvan Nagy den Schritt. Es gehe hierbei um „Traditionen und Kultur“. Ähnlich hatte zuletzt die Rechtsregierung Italiens unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni argumentiert.

Das reaktionäre Verhalten der Länder ist, gelinde gesagt, bedenklich. Denn mit ihren Verboten setzen sie sich über die EU-Kommission und ihre Entscheidungshoheit in Zulassungsfragen rund um neuartige Lebensmittel – wie eben zellkultiviertes Fleisch – hinweg. So sieht es zumindest der Verband Cellular Agriculture Europe, der die noch junge Laborfleisch-Branche in Brüssel vertritt. Er weist auch darauf hin, dass die Mitgliedstaaten in dem ohnehin sehr strengen Zulassungsverfahren ja trotzdem in die Entscheidung eingebunden werden, und zwar nachdem die EU-Lebensmittelbehörde EFSA die Sicherheit der Produkte wissenschaftlich bewertet hat.

Nun leben wir zwar in einer Zeit, in der Politiker internationales Recht auch an anderer Stelle gern mal ignorieren – siehe Donald Trump und die EU, die mit ihrem Zolldeal vom Juli laut Experten gegen WTO-Recht verstoßen. Das macht es aber nicht besser, und die Ignoranz der Laborfleisch-Gegner erstreckt sich auch nicht nur auf juristische, sondern zugleich auf wirtschaftliche Aspekte. Denn mittlerweile gibt es zahlreiche Marktforschungsunternehmen, die der Technologie aufgrund der zunehmenden Weltbevölkerung und ihres Proteinbedarfs in den kommenden Jahren ein kräftiges Wachstum vorhersagen. Bleibt die Frage, welche Länder sich dieses Wachstum künftig sichern wollen. Italien und Ungarn sind es jedenfalls nicht.