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Carlos Ghosn gelingt hollywoodreife Flucht

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 3.1.2020 Kurz vor seiner Flucht aus Japan in den Libanon hat Carlos Ghosn in seinem Haus in Tokio angeblich mit einem prominenten Hollywood-Produzenten gesprochen, der die Erfahrungen des 65-Jährigen mit dem...

Carlos Ghosn gelingt hollywoodreife Flucht

Von Martin Fritz, TokioKurz vor seiner Flucht aus Japan in den Libanon hat Carlos Ghosn in seinem Haus in Tokio angeblich mit einem prominenten Hollywood-Produzenten gesprochen, der die Erfahrungen des 65-Jährigen mit dem japanischen Justizsystem verfilmen wollte. Als der Producer ihn fragte, wie der Film enden sollte, habe Ghosn gesagt: “Mit einer Überraschung.” Zu diesem Zeitpunkt wusste der Ex-Automanager sicher schon, dass er sich bald in seine libanesische Heimat absetzen würde. In einem Kontrabass-Koffer Wie Ghosn die Flucht genau gelang, blieb jedoch bislang unklar – seine drei Reisepässe aus Brasilien, Frankreich und dem Libanon lagen bei seinen Anwälten, eine Videokamera überwachte den Eingang zu seinem Haus. Wenn er es verließ, folgten ihm jedes Mal Autos und Motorräder, vermutlich Polizei und Privatdetektive im Auftrag der Staatsanwaltschaft und seines früheren Arbeitgebers Nissan. Ins Internet durfte Ghosn nur im Büro seines Anwalts gehen, Gespräche mit seiner Frau Carole waren ihm verboten. Unter diesen strengen Auflagen blieb der frühere Chef von Renault und Nissan acht Monate lang auf freiem Fuß. Zudem hatte er eine Kaution von 1,5 Mrd. Yen (umgerechnet 12,3 Mill. Euro) hinterlegt.Die am meist verbreitete Geschichte über seinen Fluchtweg geht so: Eine Gruppe von Paramilitärs verkleidete sich als Weihnachtsband, besuchte das Haus von Ghosn, versteckte ihn im Koffer für einen Kontrabass, transportierte ihn dann 500 Kilometer zum Flughafen Kansai und schmuggelte ihn dort an Bord eines Privatjets. Die Maschine landete auf dem regulär geschlossenen Atatürk-Flughafen von Istanbul; dort stieg Ghosn sofort in einen anderen Jet um und flog nach Beirut weiter. Dort spazierte er am Sonntagabend mit seinem französischen Reservepass durch die Grenzkontrolle. Das legale Dokument lag in einem Koffer; den Schlüssel dafür hatten die Anwälte.Die Flucht hat offenbar seine libanesische Frau mit Hilfe von engen Verwandten vorbereitet und umgesetzt. Ghosn dementierte dies am Donnerstagabend: Weder Frau noch Verwandte hätten dabei eine Rolle gespielt. Seine Frau widersprach jedoch dem Bericht, dass Ghosn in einem Koffer für ein Musikinstrument gesessen habe. Japans Regierung hat sich offiziell noch nicht geäußert. Doch bei den libanesischen Sicherheitsbehörden ging über Interpol ein Haftbefehl gegen Ghosn ein – jedoch gibt es kein Auslieferungsabkommen zwischen Japan und dem Libanon. Am Donnerstag durchsuchte die Polizei das von Ghosn benutzte Haus in Tokio. Die Grenzbehörden erklärten, sie hätten keinen Nachweis über seine Ausreise. Mit dem illegalen Grenzübertritt und seinem Verstoß gegen die Kautionsauflage, das Land nicht zu verlassen, hat Ghosn erstmals nachweislich gegen japanische Gesetze verstoßen. “Damit hat er seine Brücken nach Japan abgebrochen”, kommentierte der Anwalt Stephen Givens, ein Experte für die Justiz in Japan. Unterdessen nahm die Türkei sieben mutmaßliche Fluchthelfer fest, darunter sollen vier Piloten sein.Unterstützt wurde Ghosn offenbar aus dem Libanon. Die Regierung in Beirut soll Japans Vizeaußenminister Keisuke Suzuki im Dezember darum gebeten haben, dass Ghosn im Libanon der Prozess gemacht wird. Präsident Michel Aoun traf den Manager offenbar am Montag nach seiner Flucht. Die französische Finanzstaatssekratärin Agnès Pannier-Runacher wiederum lud Ghosn nach Frankreich ein, eine Auslieferung an Japan brauche er nicht zu befürchten.Doch Ghosn dürfte einen Prozess in Beirut bevorzugen. Er sei nicht vor der Justiz, sondern vor Ungerechtigkeit und politischer Verfolgung geflohen, erklärte er am Dienstag. Voraussichtlich am 8. Januar will er vor die Presse treten und erstmals zu den strafrechtlichen Vorwürfen gegen ihn Stellung nehmen. Aus Angst vor erneuter Untersuchungshaft hatte Ghosn in Japan darauf verzichtet, Ross und Reiter für seinen Vorwurf einer Verschwörung von Nissan-Managern zu nennen, die durch seine Verhaftung die geplante Fusion mit Renault verhindern wollten.