PorträtBernd Raffelhüschen

Der Rentenexperte, der die Rente scheut

Bernd Raffelhüschen wird Ende September pensioniert. Der Finanzökonom wollte die Generationen miteinander versöhnen, doch die Politik verhätschele die Alten und nehme die Jungen aus.

Der Rentenexperte, der die Rente scheut

Der Rentenexperte, der die Rente scheut

Bernd Raffelhüschen wird Ende September in die Pension gezwungen. Der Finanzökonom wollte die Generationen miteinander versöhnen, doch die Politik verhätschelt die Alten und nimmt die Jungen aus.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Bundeskanzler Friedrich Merz ist für den Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen der „letzte Mohikaner“ im Kampf um Generationengerechtigkeit. Entweder, der CDU-Chef kriegt noch schnell eine Rentenreform hin, oder er kann es gleich sein lassen, sagt er. Denn bis 2034 ist dann auch der letzte Babyboomer im Ruhestand angelangt, und liegt den Erwerbstätigen dann fortan schwer auf den Taschen: die Beiträge steigen, der Bundeszuschuss ebenso, und der finanzielle Bewegungsspielraum schwindet immer mehr. Über viele Jahre haben die Regierungen lieber Wohltaten verteilt, Probleme negiert und abgestritten, als das Umlagesystem demografiefest zu machen, schimpft er.

Auch Raffelhüschen, der ewige Kämpfer für mehr Generationengerechtigkeit unter den Ökonomen, muss sich eingestehen, dass seine auch noch so klaren Worte in öffentlichen Foren, Rentenkommissionen und wissenschaftlichen Publikationen letztlich nur wenig bewirkt haben. Denn die Politik ist mehr im Gegenwartskonsum verhaftet als auf die Zukunft ausgerichtet. Noch schlimmer für ihn: Auch er, Raffelhüschen, ist jetzt zum Pensionär verdammt – gegen seinen Willen wohlgemerkt, weil das Beamtenrecht keine längere Lehrtätigkeit mehr zulässt und die Pension erzwingt. Ende des Monats muss er, Jahrgang 1957, sein Tätigkeitsfeld verlassen. Der Rentenpapst geht in Rente.

Nicht ausreichend reproduziert

Aber er bleibt natürlich der Öffentlichkeit erhalten, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung verspricht. Er kann nicht anders. Zumal er keiner ist, der Wasser predigt und Wein trinkt. Gleich zu Anfang seiner rentenpolitischen Äußerungen hatte er in Vorträgen seinen Zuhörern stets vorgehalten, sich nicht ausreichend reproduziert zu haben. Aus der sicheren Warte eines Vaters von drei Kindern lächelte er dann stets und forderte sie auf, dafür nun auch die Konsequenzen zu tragen: weniger Rente, längere Lebensarbeitszeit. Denn so funktioniere das Umlageprinzip in der gesetzlichen Rente nunmal.

Auch seine Forderung nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre will er eigentlich selber erfüllen. Auch, wenn die Lehrtätigkeit wegfällt, arbeitet er daher weiter am Forschungszentrum Generationenverträge, und berät auch in den nächsten Jahren etwa die Stiftung Marktwirtschaft. Ruheständler zu sein, bloß, weil es das Beamtenrecht so vorsieht? Damit will er sich nicht abfinden. Und er wundert sich, dass ein solcher Zwang in einem freiheitlichen Staat überhaupt ausgeübt werden kann.

Fatale Fehler der SPD

Dass die deutsche Politik in der Rentenpolitik insgesamt so uneinsichtig und unvernünftig ist, kann er bis heute nicht nachvollziehen. Denn eigentlich, zeigt er sich erschüttert, sei sie in einer Demokratie doch dafür berufen, die Gesellschaft auf die Zukunft vorzubereiten. Dabei zeigt er sich weniger von der SPD enttäuscht, deren Vertreter aus seiner Sicht natürlich folgenreiche Fehler begangen haben mit der „Rentengarantie“, der „Haltelinie“, der Grundsicherung im Alter, der Rente mit 63 und dem Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors. Vielmehr ärgert er sich über CDU/CSU, welche die Rentenpolitik der SPD widerspruchslos hinnimmt und gewissermaßen als Erbschaftsbewahrprogramm für die Mittelschicht begriffen habe, statt auf den Grundprinzipien zu pochen, welche den Sozialstaat ausmachen.

Er sieht sich auch missverstanden, wenn man ihn als Kritiker der gesetzlichen Rente und ihrem Umlageprinzip einstuft. Die gesetzliche Rente sei wichtig und tauglich – allerdings eher als Grundrente, weniger als Lebensstandardrente angesichts der demografisch anhaltenden Entwicklung. Größtes Lob erhält von ihm daher Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der „die Rente“ wieder „sicher“ gemacht habe – anders als der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der das zwar propagiert, sie letztendlich aber ausgehöhlt habe.

Schröder nötigt ihm größten Respekt ab, nicht nur, weil er in der Regierung die Zügel stets in der Hand behielt und die Rentenkommission etwa nicht dem zuständigen Ministerium überantwortet habe, sondern dies als Kanzleraufgabe verstanden wissen wollte. Sondern auch, weil er ob der politischen Risiken des großen Reformprogramms mit der Agenda 2010, der „Rente mit 67“ und dem Nachhaltigkeitsfaktor auch sehenden Auges das Ende seiner eigenen politischen Existenz in Kauf genommen hatte. Der Sturz folgte dann später tatsächlich. Aber dass die nachfolgenden Politiker von SPD und Union dann so unverfroren gewesen seien, den gewaltigen Aufschwung im Gefolge der Agenda 2010 zwar mitzunehmen, die Schröderschen Reformen dann aber schnell wieder kassiert und die Entwicklung quasi zurückgedreht haben, das erzürnt Raffelhüschen immer noch.

Junge Generation im Blick

Nach wie vor kann er auch nicht verstehen, wie sich Schröders „Nachfolger“ überhaupt ihrer „Sozialpolitik“ rühmen könnten, da dies auf Kosten der jungen Generation erfolgt und der Zusammenhalt der Generationen insgesamt auf die Probe gestellt werde. Die deutsche Rentendebatte hält er auch deshalb für verlogen, weil sie „ideologisch vergiftet“ sei. Während er in Skandinavien als „Sozialdemokrat“ gelte, weil er für eine ergänzende Kapitaldeckung in der Altersvorsorge eintritt, gelte er hierzulande als Neoliberaler und werde als „der Bestochene von der Versicherungswirtschaft“ verunglimpft. Dabei hätte mit Blick auf die Rentenfinanzen „etwas mehr Skandinavien“ auch den deutschen Rentnern gutgetan, sieht er sich rückblickend bestätigt.

Auf das Thema Altersvorsorge und Generationenbilanzierung stieß er schon ganz zu Anfang seiner Wissenschaftlerkarriere bei der Promotion an der Universität Kiel. Damals noch Neuland die –Berechnungen wurden mit Turbo-Pascal auf IBM-XT-Rechnern programmiert – ist die Generationenbilanzierung heute Standardanwendung. Sie gilt als dynamische Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Damit kam er dann auch 2002 in die Rürup-Rentenkommission zusammen mit Axel Börsch-Supan, der ebenfalls über die Altersvorsorge forscht. Kurt Biedenkopf und Meinhard Miegel hätten damals die Debatte nach mehr demografischer Nachhaltigkeit politisch unterstützt. Derlei Intellekt und Tiefgang sei sowohl der SPD als auch den Unionsparteien inzwischen verlorengegangen, beklagt er. Seit Merkel und Scholz stehe „Beglückungspolitik“ ganz oben auf der Agenda – doch lange könne sie sich nicht mehr dort halten. Absturz droht, wenn Merz jetzt nicht handelt.