Euroclear-Chefin Valérie Urbain

Die härteste Gegnerin einer „Reparationsanleihe“

Euroclear-Chefin Valérie Urbain spricht sich beharrlich dagegen aus, eingefrorene russische Milliarden der Ukraine zugutekommen zu lassen. Ein Großteil der Gelder liegt bei dem belgischen Zentralverwahrer.

Die härteste Gegnerin einer „Reparationsanleihe“

Die härteste Gegnerin
einer „Reparationsanleihe“

fed Brüssel

42 Billionen ist eine Zahl mit einer „42“ und zwölf Nullen – das ist selbst für Finanzjournalisten eine ziemlich große Nummer. In Euro entspricht das knapp dem Zehnfachen des deutschen Bruttoinlandsprodukts. 42 Bill. Euro werden von Euroclear verwahrt, einem Institut, das bis vor kurzem allenfalls Finanzprofis kannten. Und selbst unter diesen Fachleuten gab es sicherlich den einen oder anderen, der sich vom Namen irreführen ließ und dachte, dass es bei Euroclear um Clearing geht, also die Verrechnung von Wertpapiergeschäften. Aber es geht um Settlement, also die Abwicklung von Transaktionen, und um die Verwahrung der Assets.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit

Seit einigen Wochen ist Euroclear in das Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Und Valérie Urbain dürfte dieses Schicksal teilen, denn die Vorstandsvorsitzende des in Belgien beheimateten Zentralverwahrers zählte viele Jahre lang nicht zur ersten Reihe der Prominenten aus der Financial Community. Das hat sich nun schlagartig verändert.

Denn neben dem belgischen Premier Bart de Wever und EZB-Präsidentin Christine Lagarde zählt sie zu den schärfsten Kritikern eines Zugriffs auf die eingefrorenen russischen Vermögen, die zum weitaus größten Teil bei Euroclear verwahrt werden. Das Thema des Umgangs mit den „frozen assets“ ist zu einem, wenn nicht sogar zu dem entscheidenden Thema der EU geworden und steht nächste Woche beim EU-Gipfel ganz oben auf der Agenda.

„Wir sind systemrelevant“

Die 61-jährige Wirtschaftsingenieurin hat vor wenigen Tagen in einem Interview der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ deutlich gemacht, dass eine Nutzung der eingefrorenen russischen Milliarden – es geht insgesamt um 185 Mrd. Euro – nicht nur das von ihr geführte Unternehmen einer beachtlichen Gefahr aussetzen würde. In der Tat würden absehbare Klagen mit dem Vorwurf der Konfiskation oder Enteignung Euroclear einem existenziellen Risiko aussetzen. Darüber hinaus wies Urbain aber auch auf Beeinträchtigungen der Finanzstabilität in Europa hin: „Wir sind systemrelevant. Es geht also nicht nur um uns.“ Und schließlich schloss sie auch Formen russischer Vergeltung nicht aus – von Cyber-Attacken bis hin zu physischen Angriffen. Die Tatsache, dass über Brüssels Flughafen Zaventem neulich unbekannte Drohnen gesichtet wurden, dürfte ihre Sorgen bestärkt haben.

In einem Punkt aber darf man in Zweifel ziehen, was Urbain sagt. „Ich versuche, mich nicht in die Politik einzumischen.“ Darüber kann man zumindest streiten. Denn die Lautstärke, mit der sie sich in den vergangenen Tagen zu Wort gemeldet hat, hat dafür gesorgt, dass ihre Stimme im Zentrum der politischen Debatte wahrgenommen wird.

Streng risikoscheu

Die Belgierin hat an der Solvay Brussels School studiert und einige Jahre bei der Banco Hispano Americano und der Continental Bank gearbeitet, bevor sie in den Neunzigern zu Euroclear wechselte. Mittlerweile ist sie für das Haus, das sich selbst als „streng risikoscheu“ bezeichnet und mit AA-Ratings bei Fitch und S&P zu den am höchsten gerateten Finanzunternehmen zählt, seit 33 Jahren tätig. Kein Wunder, dass Risikoscheu auch zu ihrem zweiten Vornamen geworden ist – und sie sich mit aller Kraft gegen die Idee einer „Reparationsanleihe“ zu wehren versucht.