Die Unbequeme auf der Regierungsbank
Die Unbequeme auf der Regierungsbank
Die Unbequeme auf der schwarz-roten Regierungsbank
Von Andreas Heitker, Berlin
Mittwochmittag, Bundespressekonferenz. Katherina Reiche sitzt im hellroten Hosenanzug auf dem Podium und mahnt in stakkatoartigen Sätzen Reformen an. Wieder einmal. Und noch einmal das komplette Programm: Energiekosten senken. Sozialversicherungen. Bürokratieabbau. Erwerbspotenzial erhöhen. Mehr Handel. Mehr Innovationen. Zum ersten Mal seit Amtsantritt als Bundesministerin für Wirtschaft und Energie im Mai stellt die 52-Jährige die neuen Konjunkturprognosen der Bundesregierung vor. 2025 soll es nach zwei Rezessionsjahren wieder Wachstum geben. Endlich. Dieses fällt mit 0,2% zwar winzig aus. Die letzte Prognose ihres Amtsvorgängers Robert Habeck lag aber noch einen Hauch darunter.
Irritierende Alleingänge
Dass sie sich von dem Grünen absetzen will, hatte Reiche gleich bei der Staffelübergabe klar gemacht: Das Wirtschaftsministerium solle unter ihrer Führung wieder „das ordnungspolitische Gewissen der Bundesregierung“ werden, stellte die CDU-Politikerin klar. Seither gefällt sie sich als Mahnerin und als Korrektiv in der schwarz-roten Koalition und äußerst sich in dieser Rolle auch gerne zu Themen, die eigentlich nicht in ihre Zuständigkeit fallen oder die intern nicht abgestimmt sind, etwa in der Rentenpolitik.
Ihr letzter Alleingang: In einem gemeinsamen Brief mit ihrem italienischen Amtskollegen Adolfo Urso (Fratelli d`Italia) forderte sie die EU-Kommission auf, die CO2-Flottengrenzwerte für Neuwagen und das damit verknüpfte Verbrenner-Aus aufzuweichen. Und das nur wenige Tage vor einem Koalitionsausschuss und einem Autogipfel im Kanzleramt, auf dem dieses Thema eigentlich zur Chefsache erklärt worden war. Am Autogipfel nahm die Wirtschaftsministerin zwar teil – aber nur in Reihe zwei. Im Fokus der Öffentlichkeit standen andere.

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Die Rückkehr von Katherina Reiche in die Politik nach knapp zehn Jahren war im Frühjahr eine der Überraschungen bei der Kabinettsbildung gewesen. Die Diplom-Chemikerin war bereits 1998 mit nur 25 Jahren für die CDU in den Bundestag eingezogen. 2002 hatte der damalige Kanzlerkandidat Edmund Stoiber die aus dem brandenburgischen Luckenwalde stammende Politikerin in sein Wahlkampfteam geholt. Bis zu einem überraschenden Ausscheiden 2015 und damit mitten in der Legislatur war Reiche Abgeordnete gewesen, zeitweise auch Staatssekretärin im Bundesumwelt- sowie im Verkehrsministerium.
Ehrgeizig und durchsetzungsfähig
Reiche wird von ehemaligen Weggefährten nachgesagt, sie sei nicht nur äußerst diszipliniert, sondern auch ehrgeizig, ungeduldig und durchsetzungsfähig. Es folgten vier Jahre als Hauptgeschäftsführerin beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und 2019 der Wechsel in die Energiewirtschaft. Zuletzt führte sie die Eon-Tochter Westenergie und führte zugleich fünf Jahre lang den Nationalen Wasserstoffrat.
Es gab viel Lob für CDU-Chef Friedrich Merz, dass er mit Reiche oder auch Karsten Wildberger Expertise aus der Wirtschaft in sein Kabinett geholt hat. Seit dem Start von Schwarz-Rot wird Reiche allerdings von Kritikern auch immer wieder eine zu große Konzernnähe vorgeworfen. Merz habe ein Lobbyistin der fossilen Industrie in sein Team geholt, monieren Umweltaktivisten. Als die Wirtschaftsministerin im September nach Vorlage des Energiewende-Monitoringberichts ihre Forderungen für die künftige Energiepolitik formuliert, stellen Beobachter erstaunliche Übereinstimmungen zu einem Positionspapier von Eon und RWE aus dem Frühjahr fest. Und in der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ musste sich Reiche in dieser Woche zur guten Sendezeit als „Gas-Kathi“ verspotten lassen.

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Mitte September, Berlin, Telegraphenamt: Trotz dieser Kritiken lässt es sich die Ministerin nicht nehmen, auch auf dem RWE-Sommerfest aufzutreten. Ihre Keynote auf vertrautem Terrain enthält dann viele eher undiplomatische Äußerungen in Richtung der unabhängigen Bundesnetzagentur oder auch der EU-Kommission, mit der ihr Haus gerade über den Industriestrompreis und den Neubau von Gaskraftwerken verhandelt. Und viele Sommerfest-Besucher aus der Branche fragen sich anschließend etwas ratlos, wie Reiche ihre zahlreichen Forderungen wohl umsetzen will.
Neue Kommunikationsagentur soll Image aufbessern
Auch bei einigen anderen öffentlichen Auftritten heimste die Polit-Rückkehrerin wenig Sympathiepunkte ein. TV-Interviews gerieten hölzern – mit Satzbausteinen, die nicht zu den Fragen passten, oder abgelesenen Antworten. Gegenüber der Presse gibt sich Reiche bisher ohnehin eher distanziert und abweisend. „Der Spiegel“ überschrieb ein Porträt über sie kürzlich mit „Schroff, abweisend, beratungsresistent“. Am Freitag bestätigte ein Sprecher, dass jetzt eine Agentur gesucht wird, die eine innovative und kreative Kommunikationsstrategie für die Ministerin und ihr Ministerium entwickeln soll. Budget: bis zu 12 Mill. Euro.