Winfried Kretschmann

Ein grüner Landesvater geht von Bord

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gibt das Amt zu einer Zeit ab, in der die Autoindustrie im Ländle in einer schweren Krise steckt. Ein Porträt eines prägenden Politikers der Grünen.

Ein grüner Landesvater geht von Bord

Ein grüner Landesvater geht in Stuttgart von Bord

Von Stefan Kroneck, Stuttgart

Für Winfried Kretschmann ist 2026 mit der politischen Laufbahn Schluss. Der am längsten regierende Ministerpräsident von Baden-Württemberg tritt zur Landtagswahl am 8. März nächsten Jahres aus Altersgründen nicht mehr an. Das ist der Fahrplan, den der 77-Jährige bereits 2024 verkündet hat. Damit endet eine Ära im Südwesten Deutschlands. Kretschmann führt Baden-Württemberg seit 2011. Er war damals der erste Ministerpräsident der Grünen in einem Bundesland. Das ist er bis heute geblieben. 2021 gewann er die Landtagswahl zum dritten Mal in Folge.

Ob Cem Özdemir (59), der Spitzenkandidat der Ökopartei, Kretschmann beerben kann, steht noch in den Sternen. Der ehemalige Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft unter der Koalitionsregierung von Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tritt gegen den CDU-Politiker Manuel Hagel an, dessen Bekanntheitsgrad über die Landesgrenzen hinaus relativ gering ist. Ungeachtet dessen, wie die Landtagswahl ausgeht, der Nachfolger von Kretschmann tritt am Amtssitz in Stuttgart in große Fußstapfen. Denn Kretschmann ist im Laufe der vergangenen Jahre zu einem Landesvater im bürgerlich-konservativ geprägten Baden-Württemberg mutiert. Er wird geschätzt, auch von den politischen Gegnern. Schon damals, bei seinem ersten Wahlsieg vor 15 Jahren, galt der ehemalige Gymnasiallehrer für Biologie, Chemie und Ethik als Idealbesetzung der Grünen. Der praktizierende Katholik war 1980 Mitbegründer der Partei in Baden-Württemberg. Der verheiratete Vater von drei erwachsenen Kindern ist mit dem Ländle eng verwurzelt.

Realpolitiker

Vor seiner Karriere in der Partei machte er selbst einen Wandlungsprozess durch. Der frühere Utopist, der einst mit dem Maoismus sympathisierte, entwickelte sich zu einem Realpolitiker, der dem liberal-konservativen Flügel der Grünen angehört. In dieser Rolle nimmt er kein Blatt vor dem Mund, auch nicht mit seiner Kritik an der eigenen Bundespartei, die seiner Meinung nach die Niederlage in der zurückliegenden Bundestagswahl selbst verschuldet hat. Den Bundes-Grünen wirft er vor, mit einem „Tunnelblick“ zu sehr auf die eigenen, radikalen Ziele geschaut zu haben.

Realpolitik kennzeichnet die Handlungsweise von Kretschmann im Autoland Baden-Württemberg. Sein Regierungsstil ist geprägt von einem Ausgleich zwischen der Wirtschaft und dem Machbaren auf ökologischer Ebene. Das brachte ihm auch viel Respekt in der Unternehmenswelt des Landes ein, obwohl auch er mit der Dauerbaustelle Stuttgart 21, die 12 Mrd. Euro verschlingt, am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt hadert.

Neue Aufbruchstimmung fehlt

Allerdings schaffte es die grün-schwarze Landesregierung bislang nicht, eine neue, breite Aufbruchstimmung in der Wirtschaft von Baden-Württemberg zu erzeugen. Der Strukturwandel in der Autoindustrie nagt am Selbstwertgefühl der Eliten im Ländle. Mercedes-Benz, Daimler Truck, Porsche, Bosch, ZF, Mahle: Die Wirtschaftsikonen des Landes bauen Tausende von Stellen ab. Eine Insolvenzwelle trifft mittelständische Autozulieferer.

Befürchtet wird, dass Baden-Württemberg den Anschluss verlieren könnte. Die umfangreichen Arbeitsplatzverluste seien Anzeichen von Wohlstandsverlusten im Ländle, wird von manchen Kommunalpolitikern vorgetragen.

Somit wird die Krise der Autobranche auch den Wahlkampf 2026 stark beeinflussen. Kretschmann könnte dabei seinen „Parteifreund“ Özdemir unterstützen, überzeugende Antworten auf die Misere zu finden. Welcher Spitzenkandidat eine neue Ära im Ländle einleitet, entscheidet dann der Wähler.

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