Bilanzskandal

Erste Anklage im Fall Wirecard erhoben

Fast zwei Jahre nach dem aufgeflogenen Bilanzskandal hat die Staatsanwaltschaft München gegen den Ex-Chef von Wirecard, Markus Braun, und zwei weitere Beschuldigte Anklage erhoben.

Erste Anklage im Fall Wirecard erhoben

Von Stefan Kroneck, München

21 Monate nach dem Auffliegen des Bilanzskandals bei Wirecard hat die Staatsanwaltschaft München gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden und Großaktionär Markus Braun (53) sowie zwei weitere Beschuldigte Anklage erhoben. Bei Letzteren handelt es sich um Oliver Bellenhaus, den Ex-Statthalter der arabischen Konzerntochtergesellschaft in Dubai, sowie um den ehemaligen Chefbuchhalter und stellvertretenden Finanzchef Stephan Freiherr von Erffa. Die Strafermittler werfen ihnen gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulationen in mehreren Fällen vor. Im Juli 2020 hatte die Staatsanwaltschaft darüber informiert, die Ermittlungen auf den Verdacht des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs ausgeweitet zu haben.

Allein für den besonders schweren Fall des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs droht den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe laut Strafgesetzbuch von bis zu zehn Jahren. Der Zahlungsabwickler aus Aschheim bei München war im Juni 2020 nach der Entdeckung eines Finanzlochs von 1,9 Mrd. Euro zusammengebrochen. Das ehemalige Dax-Mitglied befindet sich seitdem in einem Abwicklungsprozess unter Regie des Insolvenzverwalters Michael Jaffé.

Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I muss nun entscheiden, in welchem Umfang sie die Anklage für einen Gerichtsprozess annimmt. Dies kann aufgrund des Komplexität der mutmaßlichen kriminellen Machenschaften dauern. Beobachter rechnen damit, dass eine Entscheidung darüber frühestens im September dieses Jahres gefällt werden könnte. Dann könnte frühestens im kommenden November der Gerichtsprozess beginnen. Braun und Bellenhaus befinden sich seit Juli 2020 in Untersuchungshaft. Erffa war im Sommer 2021 gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Marsalek außen vor

Gegen den früherne Wirecard-Vorstand Jan Marsalek (42), der seit Juni 2020 auf der Flucht ist, hat die Staatsanwaltschaft München noch keine Anklage erhoben. Er soll sich in Belarus und/oder Russland versteckt halten, um einer Festnahme zu entgehen. Nach ihm wird laut Staatsanwaltschaft weiterhin gefahndet. Der als ehemaliger Vertrauter Brauns geltende Manager war unter anderem für die Asien-Aktivitäten von Wirecard zuständig. Die Ermittler hegen den Verdacht, dass er an dem bandenmäßigen Betrug ebenfalls beteiligt war. „Wegen weiterer Sachverhaltskomplexe, die sowohl die Angeschuldigten dieser Anklage als auch weitere Beschuldigte betreffen, dauern die Ermittlungen an“, teilten die Strafermittler mit.

In der 474 Seiten umfassenden Anklageschrift werfen sie Braun, Bellenhaus und Erffa vor, die Bilanz durch vorgetäuschte Einnahmen aus Drittpartnergeschäften in Asien und angeblichen Treuhandkonten aufgebläht zu haben, um den wahren finanziellen Zustand der Wirecard AG zu verschleiern. Tatsächlich hätten diese Geschäfte aber gar nicht existiert. „Spätestens Ende 2015 war allen Angeschuldigten bewusst, dass der Wirecard-Konzern mit den tatsächlichen Geschäften nur Verluste erzielte“, heißt es dazu in der Pressemitteilung. Dies habe zur Pleite geführt.

Das Unternehmen sollte finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden, um so regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren. Die Angeklagten hätten dadurch ihre Gehälter gesichert. Der Ex-CEO erhielt zudem Dividenden von mindestens 5,5 Mill. Euro. „In der irrigen Annahme, mit einem erfolgreichen, prosperierenden, ordnungsgemäß geführten und auf jeden Fall kreditwürdigen Dax-Unternehmen zu verhandeln, wurden von den geschädigten Banken insgesamt vier Kredite in Höhe von rund 1,7 Mrd. Euro ausbezahlt und zwei Schuldverschreibungen von rund 1,4 Mrd. Euro begeben. Die Strafermittler beziffern allein diesen entstandenen Schaden somit auf 3,1 Mrd. Euro.

Aufgrund der Luftbuchungen in Drittpartnergeschäften seien die Konzernabschlüsse der Jahre 2015 bis 2018 falsch gewesen. Zur Erinnerung: EY verweigerte das Testat für 2019. Die Angeklagten hätten dadurch die Verhältnisse des Konzerns unrichtig wiedergegeben. „Das angeblich durch die Treuhänderfirma C. in Singapur verwaltete Guthaben von zuletzt (2018) fast 1 Mrd. Euro gab es zu keinem Zeitpunkt“, folgern die Ankläger. Saldenbestätigungen seien entweder durch den angeblichen Treuhänder oder durch Bellenhaus nach Vorgaben von Erffa gefälscht worden. Braun habe gewusst, „dass mit Übernahme der unrichtigen Buchungszahlen die Konzernbilanz ebenfalls falsch wurde, und unterzeichnete als CEO gleichwohl die jeweiligen Abschlüsse“. Die beiden anderen Angeschuldigten hätten ihn dabei unterstützt.

„Mit der Veröffentlichung der erheblich geschönten Zahlen wollten die Beteiligten gegenüber den Anlegern den Eindruck erwecken, dass es sich bei der Wirecard AG um ein geschäftlich erfolgreiches und zahlungskräftiges Unternehmen handelte. Wäre die wahre Finanzlage veröffentlich worden, wäre es zu erheblichen Kurseinbrüchen gekommen. Die Manipulation der Bilanzkennzahlen und deren Veröffentlichung war ein notwendiger und gewollter Zwischenschritt für die Erlangung von Finanzierungsmitteln für die Wirecard AG“, so die Staatsanwaltschaft.

Verpflichtungen verletzt

Im Fall gewährter Darlehen an Händler im Drittpartnergeschäft über die Wirecard Bank habe Braun „in evidenter und gravierender Weise seine Verpflichtungen gegenüber der Wirecard AG“ verletzt. Dadurch sei ein Vermögensverlust „großen Ausmaßes herbeigeführt“ worden. Nach einer vom Aufsichtsrat in Auftrag gegebenen Sonderuntersuchung durch KPMG flogen die Luftbuchungen im Frühsommer 2020 auf. Zuvor hatte die „Financial Times“ über falsche Bilanzangaben des Konzerns berichtet.

Braun bestreitet die Vorwürfe. Er belastete stattdessen zuletzt Marsalek, der die Taten ohne sein Wissen begangen habe. Seine Verteidiger bekräftigten, er sei unschuldig. „Die Anklage leidet an gravierenden Mängeln und geht von einem völlig falschen Tatbild aus.“ Die Anklage der Staatsanwaltschaft deutet darauf hin, dass sie den Österreicher für den Kopf der Betrügerbande halten.

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