Kandidatenkarussell bei der EZB startet
Kandidatenkarussell bei der EZB startet
Von Martin Pirkl, Frankfurt
EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist bestens vernetzt in der Welt, wo Geld und Macht aufeinanderprallen. Diese Eigenschaft kann der Französin womöglich bald als Vorsitzende des World Economic Forums (WEF) in Davos zugutekommen. Dort gilt sie als Wunschkandidatin für die Nachfolge des zurückgetretenen Klaus Schwab. Würde sie diesem Ruf folgen, bräuchte es zeitnah einen neuen Präsidenten an der Spitze der zweitwichtigsten Notenbank der Welt.
Aussichtsreichster Kandidat scheint der niederländische Notenbankpräsident Klaas Knot zu sein. Bereits 2019 war er für den Posten des EZB-Präsidenten im Gespräch. Praktischerweise läuft zudem seine Amtszeit als Präsident der De Nederlandsche Bank Ende Juni aus – ebenso wie seine Amtszeit als Vorsitzender des Financial Stability Board (FSB). „Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Knot für den Posten des EZB-Präsidenten fachlich qualifiziert wäre“, sagt ING-Chefökonom Carsten Brzeski.
Abgang von Lagarde spätestens 2027
Von Vorteil dürfte für den erfahrenen Notenbanker sein, dass er sich in den vergangenen Jahren von einem ausgesprochenen zu einem moderaten Falken entwickelt hat. Die Commerzbank stuft ihn inzwischen sogar als neutral ein. Mit Falken sind Notenbanker gemeint, die grundsätzlich eine eher restriktive Geldpolitik bevorzugen. „Notenbanker, die stark in einem der beiden Lager verortet sind, dürften es schwierig haben, das gilt insbesondere für Falken“, sagt Commerzbank-Ökonom Marco Wagner.
Sollte Lagarde, wie von ihr angekündigt, nicht vorzeitig abtreten, wird ein Wechsel an der Spitze der EZB im November 2027 fällig. Dann läuft ihre Amtszeit aus und kann nicht verlängert werden. Knots Chancen wären in diesem Szenario wohl geringer, aber er würde immer noch zum Kandidatenkreis zählen. In diesem befinden sich auch der belgische Notenbankpräsident Pierre Wunsch, sein finnischer Amtskollege Olli Rehn und vor allem Pablo Hernández de Cos. Der ehemalige Präsident der spanischen Notenbank tritt zum 1. Juli sein Amt als General Manager der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) an, die auch als Zentralbank der Zentralbanken bekannt ist.
Deutsche außen vor
Die neue Stelle sehen einige Beobachter als Sprungbrett für das Amt des EZB-Präsidenten. Vor allem, wenn der Wechsel bei der EZB-Präsidentschaft erst 2027 ansteht. Der Spanier zählt zu den Tauben, also den Vertretern einer eher lockeren Geldpolitik. Zudem kennt er sich gut mit Bankenregulierung aus und steht hier für strenge Normen.
Unabhängig vom Zeitpunkt der Staffelübergabe an der EZB-Spitze dürften François Villeroy de Galhau oder Joachim Nagel chancenlos sein. Erneut ein Franzose an der Spitze der EZB gilt als schwer vorstellbar. Ebenso wie ein Deutscher, solange mit Ursula von der Leyen und Claudia Buch gleich zwei sehr hochrangige Posten in der EU bzw. der Eurozone mit Deutschen besetzt sind.
Viele Wechsel gleichzeitig
In der Fachwelt sehr anerkannt für ihre Expertise sind die EZB-Direktoriumsmitglieder Isabel Schnabel und Philip Lane. „Schnabel wäre fachlich eine super Kandidatin, aber Deutschland dürfte raus sein“, sagt Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Dem irischen Chefvolkswirt Lane steht zwar seine Nationalität nicht im Weg, möglicherweise aber etwas anderes.
Unklar ist nämlich, ob ein Direktoriumsmitglied nach seiner Amtszeit rechtlich überhaupt die Präsidentschaft antreten könnte. Das Thema kochte 2001 hoch, als der damalige französische Vizepräsident Christian Noyer als Nachfolger von Wim Duisenberg im Gespräch war. Französische Gutachter kamen damals zu dem Schluss, dass dies kein Verstoß gegen die Regel sei, dass Direktoriumsmitglieder nur eine Amtszeit haben können. Das Fazit der deutschen Gutachter fiel gegenteilig aus. Doch in beiden Fällen bleibt die Frage, wie unabhängig diese von der politischen Situation geurteilt haben. So oder so übernahm letztendlich Jean-Claude Trichet den Posten.
Eigentlich sollten die Amtszeiten der sechs EZB-Direktoren gestaffelt sein, damit es nicht auf einmal zu einem großen Umbruch in der Führung der Notenbank kommt. Nachdem aber einige Direktoren in der Vergangenheit vorzeitig abgetreten sind – etwa die Deutschen Sabine Lautenschläger, Jörg Asmussen oder Jürgen Stark – haben sich die Enden der Amtszeiten angenähert.
Vakante Stelle im Rat
Kein halbes Jahr vor Lagarde läuft die Amtszeit von Lane im Direktorium aus. Nur zwei Monate länger als bei der Französin gilt der Vertrag von Schnabel. Sollte zudem tatsächlich Knot EZB-Präsident werden, muss wohl Frank Elderson gehen. Zwei Niederländer im nur sechsköpfigen Direktorium gelten als politisch nicht tragbar. Bereits im kommenden Jahr tritt zudem der Spanier und Vizepräsident Luis de Guindos ab.
Brzeski hält es für gut möglich, dass aus politischen Gründen für diesen Posten ein Osteuropäer in der engeren Auswahl sein wird. Von den derzeitigen Notenbankpräsidenten könnte der Kroate Boris Vujčić ein Kandidat dafür sein oder einer der drei baltischen Zentralbankchefs. In Slowenien und der Slowakei hingegen haben sie derzeit Schwierigkeiten, überhaupt jemand für die Spitze der jeweiligen nationalen Notenbanken zu finden.
In Bratislava gibt es politischen Zwist, ob Peter Kažimír weiter machen darf. Seine Amtszeit endet bereits am 1. Juni. Slowenien steht derzeit sogar ohne richtigen Notenbankchef da. Vize Primož Dolenc führt das Amt seit Januar nur kommissarisch aus – ohne Stimmrecht bei EZB-Zinsentscheiden.