Gerangel um Kabinettsposten stürzt Frankreich in tiefe Krise
Gerangel um Kabinettsposten stürzt Frankreich in tiefe Krise
Gerangel um Kabinettsposten stürzt Frankreich in tiefe Krise
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Noch vor seiner ersten Regierungserklärung räumt Ministerpräsident Sébastien Lecornu seinen Posten und stürzt Frankreich damit in eine noch tiefere politische Krise. Überraschend reichte der 39-Jährige am Montag seinen Rücktritt ein, den Präsident Emmanuel Macron akzeptierte. Nur rund 14 Stunden zuvor hatte Lecornu, ein enger Verbündeter Macrons, nach wochenlangen Gesprächen mit allen politischen Parteien Frankreichs seine Minister ernannt.
Doch das neue Kabinett verärgerte Gegner wie Verbündete gleichermaßen, die es entweder als zu rechts oder als nicht rechts genug empfanden. Dies warf schon vor Lecornus Rücktritt die Frage auf, ob sich die Regierung lange würde halten können. In weniger als zwei Jahren kommt es nun zum sechsten Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten.
Zersplittertes Parlament
Frankreich steckt in einer tiefen politischen Krise. Keine Fraktion im zersplitterten Parlament verfügt über eine Mehrheit. Die Rechtsaußen-Partei RN forderte umgehend Neuwahlen nach Lecornus Rücktritt. Ein großes Streitthema in Frankreich ist die Haushaltspolitik. Lecornus Vorgänger François Bayrou stürzte Anfang September nach neun Monaten im Amt über eine Vertrauensfrage im Parlament. Bayrou trat für einen Sparkurs ein, mit dem er die Staatsverschuldung in den Griff bekommen wollte.
Das französische Defizit liegt derzeit bei fast dem Doppelten der in der EU erlaubten Obergrenze von 3% der Wirtschaftsleistung. Bis 2029 wollte es Lecornu auf die EU-Obergrenze drücken. Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer erteilte er eine Absage. Die oppositionellen Sozialisten verlangen dies im Gegenzug für ihre Unterstützung beim Haushalt.
Politische Blockade
Wie es nun politisch weitergeht, ist noch schwer abzusehen. „Allerdings gibt es derzeit keine Aussicht für eine Lösung der politischen Blockade“, schreiben die Commerzbank-Ökonomen Ralph Solveen und Vincent Stamer in einer Analyse. „Und eines ist klar: Das Defizit im Staatshaushalt wird allenfalls langsam sinken, die Schuldenquote zunächst weiter steigen.“
Lecornu warf den Parteien am Montag mangelnde Kompromissbereitschaft vor. „Die politischen Parteien nehmen weiterhin eine Haltung ein, als hätten sie alle die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung“, sagte er in einer Stellungnahme vor dem Regierungssitz. Mit der Zuspitzung der Krise steigt auch der Druck auf Präsident Macron, der von einem Rücktritt bislang jedoch nichts wissen will – auch, um einen Wahlerfolg der RN zu verhindern.
Abwärtsdruck auf Frankreichs Rating
„Ein Konsens für ambitionierte Reformen der Staatsfinanzen bleibt in weiter Ferne“, konsternieren Stamer und Solveen. Nach Berechnungen der Commerzbank könnte die Schuldenquote Frankreichs bis 2035 ohne Reformen von 114% auf deutlich über 150% steigen. „Die jüngste politische Instabilität erhöht das Risiko einer legislativen Blockade erheblich, wodurch die Herausforderungen im Kreditbereich in den kommenden Jahren ungelöst bleiben würden, was einen Abwärtsdruck auf das Rating ausüben würde“, sagt Thomas Gillet von Scope Ratings.
Scope hatte das Rating am 26. September bei „AA-“ belassen, den Ausblick aber auf Negativ gesenkt. Fitch Ratings hatte dagegen die Bonität Frankreichs bereits Mitte September von „AA-“ auf „A+“ gesenkt. Begründet wurde dies mit wachsender Staatsverschuldung, zunehmender politischer Polarisierung und Zweifeln an der Finanzpolitik. Diese Zweifel dürften nun weiter gewachsen sein.
Kommentar zur Lage in Frankreich