Expresslieferdienste

Gründer rüsten sich für nächste Lieferschlacht

Die Fahrradkuriere von Expresslieferdiensten wie Flink und Gorillas haben im vergangenen Jahr nicht nur unbeteiligte Passanten, sondern auch beteiligte Investoren auf Trab gehalten. Die Gründer rüsten sich für die nächste Lieferschlacht, denn die Konsolidierungswelle rollt.

Gründer rüsten sich für nächste Lieferschlacht

Von Stefan Paravicini, Berlin

Die Schlacht der Expresslieferdienste hat im zurückliegenden Jahr nicht nur viele Passanten in Atem gehalten, die den gehetzten Fahrradkurieren von Start-ups wie Flink und Gorillas ausweichen mussten. Auch Investoren zeigten sich von dem Wachstumstempo der Expresslieferanten beeindruckt und haben 2021 allein in die zwei Berliner Platzhirsche mehr als 2 Mrd. Dollar Risikokapital gepumpt. Weltweit waren es laut dem Informationsdienst CB Insights im vergangenen Jahr mehr als 20 Mrd. Dollar. Die Berliner Flink, die Ende 2020 von den E-Commerce- und Lebensmittelhandel-Veteranen Christoph Cordes, Julian Dames und Oliver Merkel gegründet wurde, sorgte kurz vor Ultimo mit einer 750 Mill. Dollar schweren Finanzierung unter Führung des US-Lieferdienst Doordash noch einmal für einen Paukenschlag und zog mit einer Bewertung von knapp 3 Mrd. Dollar mit dem Berliner Branchenpionier Gorillas gleich, der im Frühjahr 2020 von Jörg Kattner und Kagan Sümer gegründet wurde und mittlerweile von dem begeisterten Hobbyradfahrer und Mehrfachgründer Sümer allein geführt wird. 

Konsolidierungswelle rollt

Das Tempo dürfte auch im neuen Jahr hoch bleiben. So arbeitet der US-Pionier Gopuff, der angeblich schon als Interessent für eine Übernahme von Flink vorgesprochen hat, laut US-Medien an einer 1,5 Mrd. Dollar schweren Finanzierung, bei der das 2013 gestartete Unternehmen mit bis zu 40 Mrd. Dollar bewertet werden könnte. Dass nach dem rasanten Wachstum des vergangenen Jahres bereits die erste Konsolidierungswelle anrollt, hat Doordash schon Anfang November mit einem 7 Mrd. Dollar schweren Aktiendeal für die finnische Wolt untermauert.

Ob Flink und Gorillas zu den Konsolidierern zählen werden, hängt auch davon ab, ob die Investoren den Gründern zutrauen, das Geschäft in profitable Bahnen lenken zu können. Da scheint Flink mit geballter Erfahrung im Gründerteam die besseren Karten zu haben. Oliver Merkel, ehemaliger Partner im Berliner Büro der Beratungsgesellschaft Bain & Co., hat vor dem Start mit Flink 20 Jahre Erfahrung in der Beratung mit Fokus auf die Konsumgüterindustrie ge­sammelt und dabei auch mit führenden Adressen aus dem Lebensmitteleinzelhandel zusammengearbeitet. Er war in mehr als 15 Ländern für Bain tätig und arbeitete vor dem Wechsel nach Berlin im Büro Johannesburg, wo er die Abteilung für Konsumgüter und Einzelhandel in Afrika leitete. Know-how zum Geschäft der Expresslieferdienste sammelte er auch beim direkten Wettbewerber, nachdem er sich im Rahmen der Series A im November 2020 an Gorillas beteiligt hatte. Die Beteiligung in der Größenordnung von 0,1% hat Merkel später wieder abgestoßen.

Viel Erfahrung mit Lieferdiensten bringt auch Julian Dames mit, der 2014 zum Gründerteam von Foodora gehörte und später Vorstand bei Delivery Hero war, die Foodora im Herbst 2015 von Rocket Internet übernahm. Im Sommer 2019 hat sich Dames am Lebensmittellogistik-Start-up Elmenus aus Kairo beteiligt, bei dem er auch im Board sitzt.

Dritter im Bunde der Flink-Gründer ist der ehemalige Home24-Vorstand Christoph Cordes. Der Sohn von Ex-Metro-Chef Eckhard Cordes gründete 2009 das Online-Möbelhaus Fashion for Home und war zuvor für Adidas und Boston Consulting Group tätig. Gemeinsam konnten die drei im vergangenen Jahr nicht nur internationale Investoren wie Doordash, Mubadala, Prosus und Bond sowie die Berliner Adressen Cherry Ventures und Target Global überzeugen, sondern haben sich mit der zweitgrößten deutschen Lebensmittelhandelskette Rewe im Sommer auch einen strategischen Partner ins Boot geholt, um den zuvor Gorillas gebuhlt haben soll.

Die Erfahrung der Flink-Gründer könnte für die Entscheidung von Rewe den Ausschlag gegeben haben. Vielleicht waren es aber auch die Negativschlagzeilen rund um Gorillas-Gründer Sümer, die dem Start-up im Sommer schon vor den ersten Nachrichten über Fahrerstreiks wegen schlechter Arbeitsbedingungen zu schaffen machten. Denn das Image des Firmengründers, der Gorillas in weniger als einem Jahr vom Lebensmittellager in der eigenen Wohnung inklusive Kühlschrank für Getränke auf dem Balkon bis zu einer milliardenschweren Bewertung skalierte, hat seit den Jubelarien im vergangenen Frühjahr stark gelitten. Dabei taugt Sümer, der aus einer Istanbuler Arztfamilie stammt und für das Studium nach Deutschland kam, bevor er zunächst bei der Unternehmensberatung Bain &  Company und später für die Rocket-Internet-Tochter Lyght Living arbeitete, durchaus als Posterboy der Gründerszene.

Ein gut dokumentierter Fahrradtrip von Istanbul nach China mit Anfang 20 und Berichte von Investorengesprächen, die Sümer nur für eine selbst ausgefahrene Lebensmittelauslieferung unterbrach, lieferten die Legende des Gründers aus Leidenschaft zum Geschäftsmodell. Doch schon kurz nach der 290 Mill. Dollar schweren Series B unter Führung der internationalen Adressen Coatue, Tencent und DST, bei der das Unternehmen Ende März mit mehr als 1 Mrd. Dollar bewertet wurde, kursierten böse Gerüchte, wonach der Firmengründer seinen früheren Job bei Rocket Internet wegen Drogenkonsum verloren habe.

Im Gespräch mit dem Online-Portal „The Information“ räumte Sümer im Sommer ein, dass er auf Aufputschmittel zurückgegriffen habe, um nächtelang durcharbeiten zu können, wies darüber hinausgehende Anschuldigungen aber zurück. „Wo ein Baum Äpfel trägt, werfen Leute Steine“, kommentierte er die Gerüchte um seine Person mit einem türkischen Sprichwort. Sein Bild in der Öffentlichkeit ist seither allerdings nicht besser geworden. Das Online-Portal „Gründerszene“, das von der Springer-Tochter Business Insider Deutschland betrieben wird, zeichnete erst vor ein paar Wochen die Entwicklung vom „Silicon-Valley-Typ“ zum „Macho-Manager“ nach und ließ ehemalige Weggefährten zu Wort kommen, während sich der Gorillas-Chef selbst nicht äußern wollte. Auch die frühen Abgänge des Mitgründers Kattner und von COO Felix Chrobog passen da gleich viel besser ins Bild.

Trotz der vielen Negativschlagzeilen hat Gorillas Ende September eine knapp 1 Mrd. Dollar schwere Finanzierungsrunde unter Führung von Delivery Hero unter Dach und Fach gebracht und dabei eine Bewertung von rund 3 Mrd. Dollar erzielt – zunächst war von einer Bewertung von bis zu 6 Mrd. Dollar die Rede. Unterschätzen darf man den Branchenpionier aus Berlin aber auch mit Blick auf das Personaltableau nicht. Denn obwohl Sümer in der Öffentlichkeit mittlerweile als beratungsresistenter Macho gilt, ist er doch dem Ratschlag seiner Gesellschafter gefolgt und hat eine schlagkräftige Führungsmannschaft aufgebaut.

Fahrradkuriere murren

COO Adrian Frenzel, der das US-Geschäft von Hellofresh aufgebaut hat, bringt langjährige Erfahrung in der Lebensmittelbranche mit, die sich unter anderem bei den Verhandlungen mit der niederländischen Supermarktkette Jumbo als neuem strategischen Partner als nützlich erwiesen haben dürften. CFO Elmar Broscheit, der sich in der Berliner Start-up-Szene unter anderem auch als früher Investor bei dem E-Scooter-Verleih Tier Mobility einen Namen gemacht hat, orchestrierte die jüngste Finanzierungsrunde. Die US-Managerin Deena Fox ist seit August als Global Chief People Officer an Bord und soll die Probleme mit den unzufriedenen Fahrradkurieren von Gorillas lösen. Auf sie wird es in der Schlacht der Expresslieferdienste auch im neuen Jahr besonders ankommen.

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