Philippa Sigl-Glöckner

Im Einsatz gegen das Chaos

Die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner fürchtet, dass deutsche Regierungen angesichts des haushaltspolitischen Chaos an Handlungsfähigkeit einbüßen. Ginge es nach ihr, würde vor allem in Bildung investiert.

Im Einsatz gegen das Chaos

Ökonomin warnt vor paralysierten Regierungen

lis Frankfurt
Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Geht es um die Bundesfinanzen, fällt Philippa Sigl-Glöckner nur ein Wort ein: „Chaos“, oder noch besser „absolutes Chaos.“ Diverse Sondervermögen mit „extrem komplexen Regeln“ sind ihrer Meinung nach unter anderem der Grund für die chaotischen Verhältnisse. „In 10 Jahren werden wir vermutlich keinen einzigen Euro im Haushalt mehr zur freien Gestaltung haben“, befürchtet die Ökonomin. Jegliche Mittel werden gebunden sein, „da müssen wir jetzt dringend rangehen.“ Ansonsten besteht laut Sigl-Glöckner die Gefahr, dass „Regierungen finanziell nahezu paralysiert wären“, wie sie im Sommer in einer Stellungnahme zum Haushaltsbegleitgesetz 2025 schreibt. Dort heißt es außerdem, ein Rahmen, der fiskalische Steuerungsfähigkeit, wachstumsorientierte Prioritätensetzung und langfristig nachhaltige Staatsfinanzen sicherstelle, fehle weiterhin.

Sigl-Glöckner hat kein politisches Amt inne, ist mit 35 Jahren noch vergleichsweise jung und eine Frau. Im politischen Berlin sind das alles keine guten Voraussetzungen, um sich Gehör zu verschaffen. Aber Sigl-Glöckner, die von 2018 bis 2020 im Bundesfinanzministerium gearbeitet hat, wird gehört. Von Politikern und anderen Ökonomen, von Journalisten und der Wirtschaft. Aber nicht allen gefällt, was sie hören. Kürzlich sorgte sie bei einer Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche für Widerrede, weil sie sich für eine gemeinsame europäische Einlagensicherung einsetzte. Fand mancher Bankenvertreter dort nicht gut. Vertreter einer Versorgungskasse bringt sie mit der Aussage auf die Palme, „aus irgendeinem Grund haben unsere institutionellen Anleger nicht das absolute Interesse, die maximale Rendite zu erzielen.“

Sigl-Glöckner, die zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn unter anderem bei der Weltbank gearbeitet hat, ist Gründerin und Direktorin des „Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen“. Das Dezernat Zukunft bezeichnet sich selbst als überparteilichen Thinktank mit dem Ziel, „Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik verständlich zu erklären, einzuordnen und neu zu denken“. Mit Denk- und Lösungsansätzen richte man sich an politische Entscheidungsträger, an Presse und Wissenschaft, sowie an Nachwuchsdenker. „Damit wollen wir zur Debatte beitragen und Menschen bei der Bildung ihrer politischen Meinung unterstützen.“

Bei Bildung „auf dem falschen Weg“

Wenn sie Politikerin wäre, was hätte bei ihr Priorität, um Deutschland voranzubringen? Investitionen in die Bildung, so die klare Antwort. „Wir haben 810.000 Erstklässler in jedem Jahr, aber es fließt kaum Geld in die Bildung – da sind wir doch klar auf dem falschen Weg.“ In dem Sondervermögen für Infrastruktur etwa gebe es „keinen einzigen zusätzlichen Euro für frühkindliche Bildung“ und dabei sei der Personal-Mangel gerade in den Vor- und Grundschulen ein großes Problem.

SPD-Mitglied Sigl-Glöckner, die sich in der vergangenen Bundestagswahl in München (erfolglos) um ein Bundestagsmandat beworben hatte, fordert eine Abkehr vom stark exportorientierten deutschen Wirtschaftsmodell.

„Tod durch Schuldenbremse“

Auch ihre Position zur Schuldenbremse ist klar: „Tod durch Schuldenbremse“ ist ein Artikel des Dezernat Zukunft aus dem Herbst 2024 überschrieben. Die reine Lehre, „die Schulden immer ablehnt, ist falsch, schädlich und weltfremd“, heißt es dort. Auch in der bereits erwähnten Stellungnahme geht Sigl-Glöckner, Co-Vorsitzende des Wirtschaftspolitischen Beirats der SPD, mit der Schuldenbremse ins Gericht. „Die Einfügung der Bereichsausnahme (sowie die Nutzung von Sondervermögen) führt zu der ökonomisch widersinnigen Situation, dass die maximal zulässige Neuverschuldung unter der Schuldenbremse präzise in Abhängigkeit von der aktuellen Wirtschaftslage kalibriert wird, die meiste Neuverschuldung aber an der Schuldenbremse vorbeiläuft.“ Das sei so, als würde man beim Frühstück genau auf die Kalorien achten, um die eigene Diät zu kontrollieren und dann den Rest des Tages essen, was immer einem vorgesetzt wird.