Klein, aber oho
Von Norbert Hellmann, SchanghaiOb Apple, Hewlett-Packard, Google oder Facebook, man kennt die Silicon-Valley-Sagen, wie charismatische Gründer aus einer Garage oder einem Studentenwohnheimzimmer heraus die Erfolgsunternehmen im Technologiesektor geformt haben. Jack Ma, der Gründer und Lenker des gerade mit Furore an der New Yorker Börse gestarteten Online-Händlers Internetriesen Alibaba, fügt nun eine chinesische Erfolgsstory hinzu.Der Ort des Geschehens und Entstehens ist ein winziges Apartment in der mehr für ihre touristischen Reize als für Technologieparks bekannten südostchinesischen Großstadt Hangzhou. Dort hat er im Jahr 1998 mit einer Truppe von 18 Verbündeten eine Internetplattform entworfen, die zur bestimmenden Kraft im Internethandel des weltgrößten Konsummarkts und nun auch zu einem Kapitalmarktriesen herangereift ist. Die Kernmannschaft der ersten Stunde ist noch heute praktisch vollzählig im mittlerweile 28-köpfigen Partnerschaftskreis vertreten, der das Lenkungsgremium von Alibaba bestimmt. E.T. lässt grüßenDiejenigen, die ihm die Treue gehalten haben, betonen den starken Willen, ein überragendes strategisches Denkvermögen und die große Motivationsfähigkeit von Ma. Hinter einer harmlos anmutenden und stets freundlichen Fassade soll aber ein extrem durchsetzungsfähiger Charakter stecken, der von seinen Mitarbeitern und Weggefährten bedingungslosen Einsatz fordert, aber humorvoll herüberkommt. Das gilt auch in der Selbsteinschätzung. Der sehr kleinwüchsige und mit einer etwas eigentümlichen Physiognomie versehene Ma vergleicht spaßeshalber sein Aussehen mit dem des niedlichen außerirdischen Wesens aus dem 80er Jahre Kinohit “E.T. – Der Außerirdische”. Son hat es geahntWas Ma besonders auszeichnet, nämlich einen unbeirrbaren Fokus auf eine unternehmerische Vision, bringt der Chef des von Anfangszeiten mit gut einem Drittel an Alibaba beteiligten japanischen Technologiekonzerns Softbank, Masayoshi Son, zum Ausdruck. Bei einer Sondierungsreise für Investments in China wurde er von Ma angesprochen und brachte nach der Unterhaltung mit 20 Mill. Dollar das Zehnfache des von Ma erbetenen Investitionsbetrags in die noch blutjunge Alibaba ein. Es war der Blick in Mas Augen, der ihn sofort überzeugt habe, behauptet Son. Das Vertrauen in Mas Vision hat sich bezahlt gemacht, der Anteil an Alibaba ist jetzt 70 Mrd. Mrd. Dollar wert.Der just in der heißen Phase der Vorbereitung des Börsengangs 50 Jahre alt gewordene Ma ist in der Weltöffentlichkeit noch eine wenig bekannte Größe. In China aber wird er unter seinem chinesischen Namen Ma Yun schon seit vielen Jahren als unternehmerisches Genie regelrecht verehrt. Ma gehört damit zu einem kleinen Kreis von chinesischen Unternehmensgründern, die eine Art Siegeszug privaten chinesischen Entrepreneurgeists mit globaler Durchschlagswirkung verkörpern. Zu solchen kann man auch die Gründer des Telekomausrüsters Huawei, des Computerbauers Lenovo oder der Internetkonzerne Baidu und Tencent rechnen. FangemeindeChinas Technologiestars weisen eine regelrechte Fangemeinde auf und werden in einem Atemzug mit Sporthelden als integraler Bestandteil des modernen chinesischen Nationalstolzes aufgeführt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ihren gewaltigen Reichtum nicht ostentativ zur Schau tragen und ihre unternehmerische Mission explizit mit einer sozialen Rolle und fortschrittlichen Entwicklung Chinas zu verknüpfen wissen.Typisch für Chinas Vorzeigeunternehmer ist auch, dass sie “sehr chinesisch” und wenig weltgewandt herüberkommen, was ihnen durchaus positiv ausgelegt wird. Im Falle von Ma stellt man allerdings im Zusammenhang mit dem US-Börsengang fest, dass er sich überraschend geschickt auf internationaler Bühne zu präsentieren weiß. Bei den “Roadshows” zur Bewerbung des Börsengangs glänzte er mit Präsentationen zur strategischen Linie Alibabas beim Transfer von der chinesischen zur globalen Bühne und stellte Schlagfertigkeit zur Schau. Alibaba als ZoobetriebAuf die Frage nach Sinn und Zweck des atemberaubenden und von manchen potenziellen Investoren misstrauisch beäugten Akquisitions- und Diversifikationswettlaufs von Alibaba in den vergangenen zwei Jahren ließ Ma wissen, er wolle einen schönen großen bunten Zoo anstatt einer Farm mit nur einer Tierart führen.Dabei kommt Ma ein verhältnismäßig akzentarmes Englisch zugute, das er aus seiner bescheidenen beruflichen Existenz vor der Gründung von Alibaba herübernehmen konnte. Ma verdingte sich nämlich in den frühen neunziger Jahren als Englischlehrer in Hangzhou. Er gilt zwar als tendenziell schüchtern und öffentlichkeitsscheu, bringt aber dennoch Nerven aus Stahl mit, die ihm die Fähigkeit verleihen, im Bedarfsfall auch vor großem Publikum zu glänzen. “Ich liebe dich, China”Bei einer riesigen Freiluftfeier im Stadion von Hangzhou zum 10-jährigen Jubiläum des Alibaba-Marktes Taobao sah man Ma völlig unverkrampft mit einem Strohhütchen auf der Bühne herumfegen und vor einem begeisterten Publikum die jedem Chinesen bekannte Rockhymne “Ich liebe dich, China” tonsicher ins Mikrofon schmettern. Ein Jahr später hat Ma mit dem größten US-Börsengang offenbar auch die Herzen an der Wall Street erobert, was ihn nebenbei auch zum reichsten Mann im Reich der Mitte macht.