Führungskrise

Nestlé-Präsident Bulcke wirft das Handtuch

Die Führungskrise beim Lebensmittelriesen Nestlé erreicht einen neuen Höhepunkt. Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke überlässt seinen Posten vorzeitig dem Vize Pablo Isla.

Nestlé-Präsident Bulcke wirft das Handtuch

Nestlé-Präsident wirft das Handtuch

Von Dani Zulauf, Zürich

Die Führungskrise beim Lebensmittelmulti Nestlé erreicht ihren nächsten Höhepunkt. Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke macht nun schon Anfang Oktober Platz für seinen Vize und designierten Nachfolger Pablo Isla, der nach dem alten Drehbuch erst anlässlich der ordentlichen Generalversammlung am 16. April 2026 hätte übernehmen sollen. Der 61-jährige Spanier verdiente sich seine Meriten als langjähriger Chef des Bekleidungskonzerns Inditex. Er sitzt bereits seit 2018 im Aufsichtsgremium von Nestlé und damit sogar ein Jahr länger als der 71-jährige Bulcke, der von 2009 bis 2016 CEO des Konzerns war.

Nestlé-Präsident wirft das Handtuch

dz Zürich
Von Dani Zulauf, Zürich

Zum Trost ein Ehrenpräsidium

Vordergründig erscheint der vorzeitige Abgang des belgisch-schweizerischen Doppelbürgers wie die finale Konsequenz einer höchst unglücklichen Personalie, die Bulcke in seiner leitenden Aufsichtsfunktion verantwortet hatte. Erst vor zwei Wochen musste der Präsident seinen CEO Laurent Freixe entlassen, nachdem sich dieser eine Liebesaffäre mit einer ihm unterstellten Managerin geleistet und die mit dem Verhaltenskodex unvereinbare Beziehung geleugnet hatte.

Ob sich Bulcke in dieser Affäre mehr zuschulden kommen ließ, als einfach den falschen Mann zur Wahl als CEO vorgeschlagen zu haben, ist nicht bekannt. In der Medienmitteilung von Nestlé finden sich diesbezüglich keinerlei Hinweise – im Gegenteil: Bulcke erhält in Anerkennung seiner Verdienste den Titel eines Ehrenpräsidenten zugesprochen und soll gemäß der schweizerischen „Handelszeitung“ in gebührender Distanz zum Nestlé-Hauptsitz in Vevey am Genfersee ein Büro neben seinem Vorgänger Peter Brabeck beziehen, der dort schon seit 2017 seinen privaten Aktivitäten als „Chairman Emeritus“ nachgeht.

Investoren fordern Erneuerung

Die Medienmitteilung zitiert Bulcke selbst mit der Aussage: „Das ist der richtige Moment für mich, zur Seite zu treten und den geplanten Übergang zu beschleunigen." Ungeachtet der Kulisse dürfte die vorzeitige Stabsübergabe im Nestlé-Aufsichtsrat mit dem Drängen gewichtiger Investoren auf eine möglichst rasche und glaubwürdige Erneuerung des Konzerns abzielen. Im Unterschied zum New Yorker Hedgfondsmanager Daniel Loeb, dessen Vehikel Third Point 2017 eine 1,3%-Beteiligung an Nestlé erworben hatte, um damit offen Forderungen für einen strategischen Kurswechsel zu stellen, geben sich die Bulcke-kritischen Nestlé-Aktionäre nicht mehr zu erkennen. In einem vor wenigen Tagen in der „Financial Times“ erschienenen Artikel ließen sie sich anonym mit Aussagen zitieren, nach denen der Rücktritt des Präsidenten „eine Frage des Anstands und des Respekts“ sei.

Frust über die Aktien-Performance

In den scharfen Worten schwingt selbstredend die Frustration der Investoren über die schlechte Entwicklung des Nestlé-Aktienkurses mit. Die Aktien haben binnen Jahresfrist fast 20% ihres Wertes eingebüßt, obschon Bulcke im August 2024 den früheren Fresenius-Chef Mark Schneider als CEO entlassen hatte, damit Laurent Freixe das Unternehmen zurück auf Kurs bringe.

Allerdings werden sich die frustrierten Investoren auch selbst an der Nase fassen müssen, die Vorzeichen der Krise ignoriert zu haben. Nestlé kommt seit rund 15 Jahren nicht mehr an die Wachstumsraten aus früheren Zeiten heran. Statt das Problem an der Wurzel zu packen, versuchte Nestlé, die Investoren mit Aktienrückkäufen bei der Stange zu halten. Seit 2005 hat der Konzern für rund 90 Mrd. sfr eigene Aktien zurückgekauft, das Eigenkapital von damals über 50 Mrd. sfr auf aktuell unter 30 Mrd. sfr gesenkt bzw. die Nettoverschuldung auf 60 Mrd. sfr verdreifacht. Pablo Isla und sein neuer CEO Philipp Navratil treten das Erbe eines Konzerns an, dessen strategische Optionen weniger geworden sind.