Nigel Farage fühlt sich schon als Premierminister
Farage fühlt sich schon als Premier
hip London
von Andreas Hippin, London
Krisenstimmung in 10 Downing Street: Nigel Farages Rechtspartei Reform UK liegt in der jüngsten Umfrage von BMG Research 15 Prozentpunkte vor Labour. Die nächsten Unterhauswahlen müssten zwar eigentlich erst 2029 stattfinden. Aus Sicht des Mannes, der Großbritannien zum Brexit motivierte, könnte es aber schon in zwei Jahren zu vorgezogenen Neuwahlen kommen.
Auf dem Parteitag in Birmingham fühlte sich Farage wohl schon als Premierminister. Zumindest wurde er so empfangen. Die Herzen enttäuschter Tories flogen ihm zu. Das Konferenzzentrum NEC zu füllen, ist schon eine Leistung. Während traditionelle Parteien über Mitgliederschwund klagen, schaffte es Reform UK 240.000 zu rekrutieren. Teilnehmer und Berichterstatter zeigten sich von der professionellen Organisation überrascht. Der Flughafen Heathrow trat als Sponsor der Corporate Lounge auf. Zahllose Unternehmen entsandten Beobachter.
Großes Sendungsbewusstsein
Farage und Donald Trump haben großes Sendungsbewusstsein. Wie der US-Präsident sprang auch der prominente Brexit-Befürworter dem Tod schon einmal von der Schippe. Vor 15 Jahren stürzte er mit einem zweisitzigen Flugzeug ab, das ein Banner seiner UK Independence Party (UKIP) hinter sich her zog. Seitdem konnte er einen Erfolg nach dem anderen verbuchen.
Der unerwartete Erfolg von UKIP bei den Europawahlen 2014 versetzte den damaligen konservativen Premierminister David Cameron in so große Panik, dass er den Briten ein Referendum über die Zukunft des Landes in der EU versprach. Farages Wahlverein hatte 27% der Stimmen und 24 Mandate geholt. Der erbitterte EU-Gegner zog ins Europaparlament ein. Doch damit nicht genug: Die Mehrheit der Briten votierte bei der Volksabstimmung 2016 für den Austritt aus dem Handelsblock.
Von UKIP zu Reform UK
Der ehemalige Rohstoffhändler aus der Londoner City setzte sich vorübergehend zur Ruhe, während UKIP in den Rechtsextremismus abdriftete. Der Mann mit der Vorliebe für Tweed-Sakkos war einst unter anderem für Drexel Burnham Lambert tätig. Ihm wird schnell langweilig. Also brachte er 2019 mit Catherine Blaiklock, der ehemaligen wirtschaftspolitischen Sprecherin von UKIP, die Brexit Party an den Start. In Richard Tice, dem ehemaligen CEO der Immobiliengruppe CLS Holdings, fand er einen Unterstützer, der nicht nur Geld beschaffen konnte, sondern auch wusste, wie man eine Organisation führt.
Im Pandemiejahr 2020 wollte Farage die Brexit Party zur Anti-Lockdown-Partei machen. Doch war er zu sehr mit Wahlhilfe für Trump beschäftigt. Tice übernahm im März 2021 die Parteiführung. Aus der Brexit Party wurde Reform UK. Farage trat erneut in den Hintergrund. Doch ein Jahr später meldete sich „Mr. Brexit“ erneut zurück und drohte dem damaligen Premier Boris Johnson mit einer Revolte von rechts. Seine Themen damals: der aus seiner Sicht nicht richtig vollzogene EU-Austritt und die Klimapolitik der Regierung.
Begrenztes Publikum
Er trug Anzüge, gab sich staatsmännisch und hielt sich mit clownesken Auftritten zurück. Johnsons ehemaliger Chefstratege Dominic Cummings gestand ihm damals zu, vielleicht 20% bis 25% der Wähler für sich begeistern zu können. Zu 40% oder mehr werde es allerdings nicht reichen, weil er mit seiner Art doch nur ein begrenztes Publikum anspreche. Mittlerweile dürfte Cummings das anders sehen.
Farage brachte erst einmal die Natwest-Chefin Alison Rose zu Fall. Nachdem ihm die Privatbanksparte Coutts sein Konto gekündigt hatte, stach sie Details der Angelegenheit an einen BBC-Journalisten durch. Rose wurde unhaltbar, nachdem auch noch ein Schriftstück auftauchte, in dem Farages politische Ansichten als rufschädigend gebrandmarkt wurden. Der Board der schottischen Großbank sprach ihr keinen „Good Leaver“-Status zu. Farage zog danach ins Dschungelcamp des britischen Fernsehsenders ITV ein.
Spaltung des rechten Lagers
Der Durchmarsch von Labour bei den Unterhauswahlen im Juli 2024 geht zu einem guten Teil auf sein Konto. Denn Reform UK wollte die Tories dafür bestrafen, dass sie nichts aus dem EU-Austritt machten. Die Partei stellte deshalb überall Kandidaten auf, was das rechte Lager spaltete. Damit erhielten auch Labour-Kandidaten ein Mandat, die sonst nie ins Unterhaus eingezogen wären. Premier Keir Starmer muss fürchten, dass der Wahlerfolg nicht wiederholbar ist.