Anstehende Wechsel im Direktorium

Osteuropa drängt auf mehr Einfluss im EZB-Rat

Bis Ende 2027 scheiden vier der sechs Direktoriumsmitglieder der EZB aus ihren Ämtern aus, inklusive des Vizepräsidenten und der Präsidentin. Erste Nachfolgekandidaten bringen sich bereits in Stellung.

Osteuropa drängt auf mehr Einfluss im EZB-Rat

Osteuropa drängt auf mehr Einfluss im EZB-Rat

Von Martin Pirkl, Frankfurt

Seit wenigen Tagen ist das Rennen um die Nachfolge des EZB-Vizepräsidenten Luis de Guindos auch offiziell eröffnet. Als erstes Ratsmitglied hat sich der finnische Notenbankpräsident Olli Rehn öffentlich dazu bekannt, dass er den Posten des Spaniers übernehmen möchte, dessen Amtszeit am 31. Mai 2026 endet. Kampflos wird der erfahrene Notenbanker und Politiker das Amt aber auf jeden Fall nicht ergattern können.

Konkurrenz dürfte er unter anderem aus Osteuropa bekommen, das auf mehr Einfluss im EZB-Rat drängt. „Ich kann bestätigen, dass Lettland beabsichtigt, sich aktiv um einen Sitz zu bemühen“, sagte etwa der lettische Finanzminister Aleksis Jarockis vergangene Woche zu Bloomberg. Jarockis bezog sich dabei nicht spezifisch auf das Amt des EZB-Vizepräsidenten, sondern allgemein auf das EZB-Direktorium. Dort werden bis Ende 2027 gleich vier der sechs Posten frei. Als Erstes läuft die Amtszeit von de Gunidos aus. Genau ein Jahr später muss EZB-Chefvolkswirt Philip Lane seinen Posten räumen. Ende Oktober 2027 scheidet dann EZB-Präsidentin Christine Lagarde aus. Die Amtszeit von EZB-Direktorin Isabel Schnabel endet am 31. Dezember 2027. Eine Verlängerung der jeweiligen Amtszeiten ist juristisch nicht möglich.

Vier Wechsel bei der EZB bis Ende 2027

Die Personalien hängen dabei durchaus zusammen. So gibt es etwa das ungeschriebene Gesetz, dass kein EU-Staat doppelt im EZB-Direktorium vertreten sein soll. Frankreich und Deutschland als die zwei größten Volkswirtschaften der Eurozone waren bislang immer im Direktorium vertreten und möchten dies sicherlich auch nach den Amtszeiten von Lagarde und Schnabel noch sein. Die osteuropäischen Staaten wiederum hatten noch nie Repräsentanz im Board und möchten das ändern.

So ist etwa zu hören, dass sich der kroatische Notenbankpräsident Boris Vujčić Hoffnungen macht auf die Stelle als Chefökonom oder Vizepräsident. In Lettland wiederum ist offen, wer der aussichtsreichste Kandidat ist. Notenbankchef Mārtiņš Kazāks hat Finanzminister Jarockis bereits Interesse signalisiert. Kazāks ist laut einer Analyse der Commerzbank das EZB-Ratsmitglied, das in der Vergangenheit die Zinsentscheide der Notenbank am besten vorausgesagt hat. Er könnte dennoch Konkurrenz durch EU-Kommissar Valdis Dombrovskis bekommen. Der Kommissar für Wirtschaftlichkeit und Produktivität bringt neben viel Erfahrung im Finanzbereich auch exzellente politische Kontakte mit.

Politischer Prozess

Ein nicht unwichtiger Punkt, denn der Auswahlprozess für die Stellen beim EZB-Direktorium ist politisch. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nominieren Kandidaten. Der Rat der EU berät dann die Nominierungen und einigt sich auf eine Empfehlung. Dann stehen Konsultationen mit dem Europäischen Parlament und der EZB an. Zum Schluss muss der EU-Rat die Personalien mit qualifizierter Mehrheit beschließen.

Dieser Auswahlprozess sowie der für die Vorstandsmitglieder der nationalen Notenbanken ist nicht unumstritten. Kritiker halten diese für zu politisch. Die Idee hinter der aktuellen Vorgehensweise: Die EZB-Ratsmitglieder agieren nach ihrer Ernennung unabhängig von der Politik und können über die Geldpolitik und auch die Bankenaufsicht großen Einfluss nehmen. Daher sei es angemessen, dass vom Volk gewählte Politiker Einfluss darauf nehmen, wer ernannt wird.

Auch eine Geschlechterfrage

In den Überlegungen der EU wird sicherlich nicht nur die fachliche Kompetenz der Kandidaten und die Nationalität eine Rolle spielen, sondern auch die Geschlechterverteilung. Weniger als zwei Frauen im sechsköpfigen Direktorium dürften politisch nicht tragbar sein. Dementsprechend dürften von den vier neu zu vergebenen Posten mindestens die Hälfte an Frauen gehen.

Als mögliche Kandidaten gelten Clara Raposo und Christina Papaconstantinou, Vizepräsidentinnen der Notenbanken in Portugal beziehungsweise Griechenland. Beide Staaten haben zuletzt große Fortschritte bei der Konsolidierung ihrer Fiskalpolitik gemacht. Sie könnten als „Belohnung“ einen Posten im EZB-Direktorium fordern. Womöglich hat auch Nadia Calviño, Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB), gute Chancen auf ein Spitzenamt bei der EZB. Bei EZB-Direktorin Isabel Schnabel ist unumstritten, dass sie fachlich gut geeignet wäre für die Stellen der Chefökonomin, der Vizepräsidentin oder auch der Präsidentin. Unklar ist jedoch, ob das rechtlich erlaubt wäre. Eine Amtszeit eines Direktoriumsmitgliedes darf nicht verlängert werden. Wie es mit einem Wechsel von einem Direktoriumsposten zu einem anderen aussieht, ist jedoch juristisch umstritten. So oder so dürfte eine EZB-Präsidentin Isabel Schnabel quasi ausgeschlossen sein, solange mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Claudia Buch, Vorsitzende der EZB-Bankenaufsicht, bereits zwei Spitzenämter in Europa mit Deutschen besetzt sind.

Unterschiedliche Wünsche

Von der Börsen-Zeitung befragte Ökonomen äußern unterschiedliche Wünsche, worauf der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Luis de Guindos besonders achten sollte. „Da sich das Vizepräsidium traditionell stärker auf Finanzstabilität und Bankenaufsicht konzentriert, wäre ein Fokus auf einen digitalen Euro wichtig, der alle Geldfunktionen erfüllt und eine Alternative zu Stablecoins darstellt“, sagt Silke Tober, Leiterin des Referats Makroökonomische Grundlagenforschung, Geldpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Eine dezidierte Expertise im Bereich digitaler Euro wünscht sich auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher.

Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank, bevorzugt dagegen jemanden, der für eine geldpolitisch straffe Linie steht. „Ich wünsche mir einen geldpolitischen Falken, um das Übergewicht der vielen Tauben zu senken.“ Volker Wieland, Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) und einer der ökonomischen Berater der Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, hat einen anderen Fokus. „Es sollte insbesondere eine Person sein, deren Vita begründeten Anlass gibt, darauf zu vertrauen, dass sie die Bedeutung von Preisstabilität verinnerlicht hat und gegebenenfalls auch Entscheidungen vertritt, die nicht in allen Regierungssitzen auf Begeisterung treffen.“