Schularick attestiert Europa Bedeutungslosigkeit
Schularick attestiert Europa Bedeutungslosigkeit
Moritz Schularick redet nicht gerne um den heißen Brei herum. Analysiert der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft die geopolitische und wirtschaftliche Lage Europas in der „Sandwich-Situation“ zwischen den „zwei Gorillas“ USA und China, dann attestiert er dem Kontinent Bedeutungslosigkeit. „Wenn man sich in China oder den USA über Politik unterhält, spielt Europa keine Rolle.“ Die Europäer seien vielmehr die, „da gibt es Strom und fließendes Wasser, aber da passiert nichts Spannendes mehr“, sagte der Ökonom kürzlich bei einer Diskussion in der Frankfurter Paulskirche.
Hart ins Gericht geht er auch mit Teilen der Wirtschaft. Die deutsche Autoindustrie ist für ihn eine „Dino-Industrie von gestern“, die sicher nicht der Wachstumsmotor von morgen sein werde. Technologisch „haben wir den Anschluss verloren“. Schularick zweifelt deshalb daran, dass Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz in zehn Jahren noch in ihrer heutigen Form existieren, wie er kürzlich in einer Talkshow sagte. „Ich glaube, die wird es wahrscheinlich in der Form schon zum Ende des Jahrzehnts nicht mehr geben, so wie die deutsche Automobilwirtschaft jetzt aufgestellt ist.“ Stattdessen könne er sich „eine Art Volvo-Lösung“, also einen strategischen Investor, für deutsche Autohersteller gut vorstellen. Das könne auch ein chinesischer Investor sein, der Technologien mitbringe und den Zugang zu neuen Märkten eröffne.
Zweiter China-Schock
Gerade die deutsche Wirtschaft werde nach dem „ersten China-Schock“, aus dem sie als Lieferant für die Maschinenparks im Reich der Mitte als Gewinner hervorging, nun vom „zweiten China-Schock“ tief ins Mark getroffen. Die Lieferketten hängen stark von der „industriellen Supermacht China“ ab und können deshalb jederzeit eingeschränkt oder unterbrochen werden. „Diese Verflechtung macht uns erpressbar“, so Schularick, der außerdem konstatiert: „Die Globalisierung hat die Welt in den vergangenen 30 Jahren nicht sicherer gemacht.“
Erpressbar sei Europa auch wegen seiner verteidigungspolitischen Schwäche. Schon lange fordert der Institutschef daher höhere Verteidigungsausgaben – die deutsche Haushaltspolitik sei ein Sicherheitsrisiko für Europa. Von den derzeitigen Plänen für höhere Ausgaben hält er dennoch nicht viel, denn „wir planen nicht so, dass wir eigenständig werden, sondern so, dass wir bessere Vasallen der USA werden“.
Neuer Ton in Kiel
In Kiel hat der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft seit seinem Amtsantritt 2023 einen neuen Ton gesetzt. Früher wurde an der Förde meist marktliberal argumentiert. Schularick, der seinen Forschungsschwerpunkt auf Globalisierung und internationale Fragen setzt und sich auch viel mit dem Thema Ungleichheit beschäftigt hat, zeigt sich dagegen aufgeschlossen, wenn es um Eingriffe des Staates geht. In einer Studie hat er nachgewiesen, dass mehr als die Hälfte der Wertzuwächse von Immobilien des vergangenen Jahrzehnts in die Taschen der reichsten 10% in Deutschland wanderten. Er forderte daraufhin in einem Interview, solche Gewinne stärker zu besteuern.
Häufiger als seine Vorgänger mischt sich der 50-Jährige auch bei politischen Debatten ein. Während der Corona-Pandemie hatte er die zu langsame Beschaffung von Impfstoffen kritisiert. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine rechnete der Ökonom vor, dass Deutschland ein Gasembargo gegen Russland verkraften könne. Und im Umgang mit China kann er sich vorstellen, den Marktzugang in Europa für chinesische Firmen „möglicherweise“ zu reduzieren. Darauf folgende Gegenmaßnahmen könne die Wirtschaft alleine schon deshalb verkraften, „weil unsere Exporte nach China eh kränkeln.“ Vielmehr solle man die Zusammenarbeit mit den Ländern stärken, die noch an die „alten Regeln“ glauben.
