Thyssenkrupp-Kontrolleurin Merz wird CEO
Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfNach dem Rauswurf von Vorstandschef Guido Kerkhoff entsendet der Aufsichtsrat Chefkontrolleurin Martina Merz übergangsweise als CEO an die Spitze des Thyssenkrupp-Vorstands. Als Aufsichtsratschefin wird sie von Ex-Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm ersetzt. Erst am 4. Februar 2019 war die ehemalige Bosch-Managerin an die Spitze des Kontrollgremiums gewählt worden. Sie löste den Bochumer BWL-Professor Bernhard Pellens ab, der den Posten übergangsweise übernehmen musste, weil Aufsichtsratschef Ulrich Lehner nach einem Streit mit Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather überstürzt zurückgetreten war. Pellens hatte den Posten erhalten, obwohl er als langjähriger Vorsitzender des Prüfungsausschusses selbst als Teil des Problems galt.Nun wird der 200 Jahre alte Ex-Dax-Konzern mit 160 000 Beschäftigten, 40 Mrd. Euro Umsatz und einem Nettoverlust in noch nicht bekannter Höhe erstmals von einer Frau geführt. Merz übernimmt in einer äußerst brenzligen Situation. Erst am 4. September hat Thyssenkrupp aus akuter Kapitalnot den Verkaufsprozess für die Aufzugssparte gestartet – und amputiert damit die Ertragsperle des Konzerns voraussichtlich bald, um sie an einen Konkurrenten oder Finanzinvestor abzugeben. Ein Interessent ist der finnische Rivale Kone. Am 4. September entschied zudem die Deutsche Börse, Thyssenkrupp aus dem Dax herauszunehmen. Seit dem 23. September ist der Konzern nur noch im Nebenwerteindex MDax notiert. Zu viele Ämter?Merz hat bereits eine Menge Ämter inne. Die Unternehmensberaterin wird als “harte Arbeiterin” und als “geradeaus” beschrieben. Sie ist Lufthansa-Aufsichtsrätin bis 2021, agiert bei Volvo als Verwaltungsratsmitglied und hält zudem noch ein Mandat als Vorsitzende des Board of Directors bei SAF-Holland. Trotz dieser Häufung zeitintensiver Posten wird sie von fast allen Thyssenkrupp-Aufsichtsräten und den beiden Großaktionären Krupp-Stiftung und Cevian unterstützt. Ihr wird nachgesagt, sie habe mehr Zug in die Diskussionen des Aufsichtsrats gebracht und dem Vorstand Beine gemacht. Doch die 56-Jährige, die zeitweise das Bosch-Bremsengeschäft in den Niederlanden geführt hatte, war schon für den Thyssenkrupp-Aufsichtsratsvorsitz nicht die erste Wahl. Zuvor hatten in den Monaten ab Juli 2018 mehrere Kandidaten abgesagt: Ex-Telekom-Chef René Obermann, der damalige Airbus-Chef Tom Enders, Ex-Bayer-Chef Marijn Dekkers, Ex-Deutsche-Bank-Vorstand Marcus Schenck und zuletzt auch der scheidende Daimler-Finanzchef Bodo Uebber.Ähnlich verhält es sich nun mit dem Vorstandsvorsitz. Monatelang haben Aufsichtsratsmitglieder extern nach einer Ablösung für CEO Guido Kerkhoff gesucht. Jetzt macht es Merz – zumindest übergangsweise. Vielleicht wird das neue Vorstandsmitglied Klaus Keysberg, der neben der Werkstoffhandelssparte nun auch die Stahlsparte verantworten soll, schon als interner Nachfolger aufgebaut – für den Fall, dass sich auch jetzt extern kein geeigneter dauerhafter Nachfolger für Kerkhoff findet. Erfahrene ManagerinMerz stammt gebürtig aus Durchhausen im Landkreis Tuttlingen in Baden-Württemberg und hat Maschinenbau mit Schwerpunkt Fertigungstechnik an der Berufsakademie Stuttgart studiert. Den Großteil ihrer Karriere verbrachte sie bei Bosch, wo sie ab 2012 als Marketing-Managerin der Bremsensparte arbeitete, deren Chefin sie nach dem Verkauf an den Finanzinvestor KPS bis 2015 war. Über genügend Erfahrung in der Führung eines Industrieunternehmens verfügt Merz also allemal. Nur wird sie unter der gleichen unglücklichen Konstellation der Großaktionäre und unter denselben Fehlern der Vergangenheit mit einem 8 Mrd. Euro teuren Stahldesaster leiden wie ihre Vorgänger.