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Tim Stokely verbannt Pornografie aus Only Fans

Wenn man nach Gewinnern der Corona-Pandemie sucht, führt kein Weg an einem Familienbetrieb aus dem Londoner Umland vorbei. Der 38-jährige Tim Stokely amtiert als Geschäftsführer, sein älterer Bruder Thomas als Betriebsleiter. Vater Guy, inzwischen...

Tim Stokely verbannt Pornografie aus Only Fans

Von Benjamin Triebe, London

Wenn man nach Gewinnern der Corona-Pandemie sucht, führt kein Weg an einem Familienbetrieb aus dem Londoner Umland vorbei. Der 38-jährige Tim Stokely amtiert als Geschäftsführer, sein älterer Bruder Thomas als Betriebsleiter. Vater Guy, inzwischen 77 Jahre alt, beaufsichtigt die Finanzen und ist Direktor. Die Stokelys haben eines der am schnellsten wachsenden sozialen Netzwerke aufgebaut – vor allem dank des Rufs als Plattform für Pornografie: Only Fans, ein Webportal, auf dem Künstler und Darsteller von ihren Zuschauern dafür bezahlt werden, dass sie Bilder und Videos posten.

Für Pornografie zahlen die Zu­schauer besonders gern. In der Pandemie schoss die Bekanntheit von Only Fans durch die Decke. Als rund um den Erdball Lockdowns verhängt wurden, verlagerten Pornodarstellerinnen und Sexarbeiterinnen ihr Geschäft ins Digitale. In kleinerem Maße bauten sich auch Köche, Fitnesstrainer und Musiker bei Only Fans ein Standbein auf, was die Firma gern herausstreicht. Doch ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Pornografie. Inzwischen zählt das Portal 130 Millionen Nutzer und zwei Millionen Künstler. Umso überraschender ist, dass die Plattform sich jetzt vom Kern ihrer Marke und ihrer Zielgruppe verabschiedet: Ab Oktober will Only Fans keine pornografischen Inhalte mehr zulassen, wie das Unternehmen jetzt mitteilte. Das sei nötig, um die langfristige Tragfähigkeit der Plattform zu sichern.

Only Fans langfristig erhalten, das wäre für Tim Stokely eine willkommene Abwechslung. Geboren 1983 in Essex, nordöstlich von London, studierte er eigentlich Immobilienwirtschaft. Doch Stokely versuchte sich früh an der Gründung eigener Unternehmen, meist aus der Erwachsenenunterhaltung: Er rief unter anderem eine Vermittlungsplattform für Liebhaber eines sexuellen Fetischs ins Leben sowie ein Portal, bei dem Kunden eigens für sie gemachte Videos bestellen konnten.

Vater Guy, ein ehemaliger Barc­lays-Banker, finanzierte die Unternehmungen seines Sohns. Only Fans ist inzwischen profitabel: Von dem Ertrag, den die Künstler auf dem Portal machen, behält die Firma 20% ein. Im Geschäftsjahr per Ende November 2020 meldete sie einen Umsatz von 1,7 Mrd. Pfund. Im Vorjahr waren es erst 238 Mill. Pfund. Der Vorsteuergewinn verzehnfachte sich auf 53 Mill. Pfund.

Der ukrainisch-amerikanische Un­ter­nehmer Leo Radvinsky, der die pornografische Chat-Website My Free Cams aufgebaut hatte, stieg 2018 als Investor ein und übernahm mindestens 75% der Anteile. Doch so grenzenlos die Zahl an Konsumenten von Pornografie scheint, so begrenzt ist die an Financiers. Im Sommer soll das Unternehmen nach Kapitalgebern gesucht haben, die ihm einen Firmenwert von mehr als 1 Mrd. Dollar zugestehen – und hat dafür angeboten, massentauglicher zu werden.

Pornografie ist nicht leicht zu bewirtschaften. Die Regulierung im Internet wird strenger, Only Fans ist aus den App-Stores von Google und Apple verbannt. Kreditkartenanbieter wie Visa und Mastercard verlangen höhere Gebühren. Zur Begründung für das Ende der schlüpfrigen Inhalte sagte Only Fans, es erfolge auf Wunsch der Finanzpartner und Zahlungsabwickler. Das Unternehmen stand offenbar vor der Wahl, ob es ein führendes Pornoportal oder ein breit akzeptiertes soziales Netzwerk sein will. Es hat sich entschieden.