Vertrauter Macrons ist Frankreichs neuer Premierminister
Vertrauter Macrons ist Frankreichs neuer Premierminister
Vertrauter Macrons ist neuer Premier
wü Paris
von Gesche Wüpper, Paris
Seine Ernennung sei eine Provokation, schimpfen „Bloquons tout“-Protestler. Denn sie hatten gehofft, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach dem Sturz der Regierung von François Bayrou einen Sozialisten als neuen Premierminister berufen würde. Dennoch ist die Ernennung Sébastien Lecornus keine Überraschung. Eine Überraschung war lediglich, wie schnell Macron seine Entscheidung bekannt gegeben hat: Nur wenige Stunden nach dem Rücktritt Bayrous. Hatte sich Macron in der Vergangenheit immer Zeit mit der Suche nach einem Premierminister gelassen, preschte der 47-Jährige diesmal vor — auch, um von den Bloquons tout-Protesten abzulenken.
Lecornu, seit 2022 Verteidigungsminister und zudem ein enger Vertrauter Macrons, war in den letzten Monaten immer wieder als möglicher Premierminister gehandelt worden. Das Staatsoberhaupt hatte ihn bereits nach dem Scheitern der Regierung von Michel Barnier im Dezember mit der Regierungsbildung beauftragen wollen, doch dann hatte Bayrou ihn mit einer Drohung unter Zugzwang gesetzt.
Für Haushalt verhandeln
Als erstes mit den im Parlament vertretenen politischen Kräften verhandeln, um einen Haushalt verabschieden und für die Entscheidungen der kommenden Monate notwendige Abkommen treffen zu können, lautet der Auftrag, den Macron Lecornu jetzt gegeben hat. Erst danach soll ihm der 39-Jährige Vorschläge machen, wer seinem Kabinett angehören soll. Keine leichte Aufgabe für den Juristen, der mit 16 Jahren der konservativen, inzwischen in Républicains umbenannten UMP (Union de mouvement Populaire) beigetreten ist und sich 2017 Macrons Zentrumspartei angeschlossen hat.
Im Dezember sollen mehrere prominente Mitglieder von Macrons Partei La République en marche wie Gabriel Attal, Elisabeth Borne, Bruno Le Maire, Gérald Darmanin und Yaël Braun-Pivet den Präsidenten haben wissen lassen, dass sie für eine Regierung nicht zur Verfügung stünden, sollte Lecornu Premierminister werden. Denn er stehe zu sehr für Kontinuität.
Absage der Sozialisten
Niemand aus ihrer Partei werde sich an der Regierung Lecornus beteiligen, erklärten die Sozialisten jetzt. Macron beharre mit seiner Berufung auf einem Weg, der zum Scheitern und zu Instabilität führe. Sozialistenchef Olivier Faure hatte sich selber Hoffnungen gemacht, Premierminister zu werden. Die Linksradikalen von La France insoumise (LFI) wiederum haben angedroht, ein Misstrauensvotum zu stellen, sollte der neue Premierminister nicht als erstes die Vertrauensfrage stellen. Ihr eigentliches Ziel ist, Macron zum Rücktritt zu drängen. Mit Lecornu verschieße der Präsident sein letztes Pulver und verschanze sich mit seinen wenigen Getreuen, höhnte Marine Le Pen vom rechtsradikalen Rassemblement National (RN) auf X. Neue Parlamentswahlen seien unausweichlich. Danach werde der Premierminister Jordan Bardella heißen.
Rückzug ins Kloster
Er wolle der politischen und institutionellen Stabilität dienen, versprach Lecornu nun bei der Amtsübergabe. Er wolle auch die Art, wie die Regierung mit der Opposition zusammenarbeite, ändern, nicht nur von der Form, sondern auch vom Inhalt her.
Lecornu müsse jetzt zeigen, dass er verstanden habe, dass Macrons Bewegung nicht die Mehrheit habe, heißt es seitens der Sozialisten. Um mit ihnen verhandeln zu können, müsse er spektakuläre Veränderungen vornehmen.
Der neue Premier, der einst Mönch werden wollte und noch immer jedes Jahr eine Woche in einem Benediktiner-Kloster verbringt, muss darauf gefasst sein, dass er beim Haushalt 2026 deutliche Zugeständnisse machen muss.
Bayrous Regierung hatte den Haushaltsentwurf in ihren letzten Tagen so weit vorbereitet, dass er eigentlich sofort dem Ministerrat präsentiert werden könnte. Doch die Opposition wird alles daran setzen, die geplanten Haushaltsanstrengungen über 44 Mrd. Euro aufzuweichen. Die Sozialisten plädieren zudem für die Einführung einer Reichensteuer.
Diplomatisches Geschick
Er sei zu glatt, werfen einige Kritiker dem neuen Premierminister vor. Aber vielleicht kann genau diese Art helfen, Frankreich aus der verfahrenen Situation herauszubekommen. Immerhin hat Lecornu, der bereits mit 27 Jahren Bürgermeister der Kleinstadt Vernon in der Normandie und mit 28 Vize-Präsident der Agglomeration Seine Normandie geworden ist, als Verteidigungsminister auch diplomatisches Geschick bewiesen. Er sei in dieser Zeit eine Art zweiter Außenminister gewesen, heißt es in Paris. Er begreife und entscheide schnell. Auf deutscher Seite schätzt nicht nur Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius Frankreichs neuen Premierminister. Lecornu, der einst parlamentarischer Mitarbeiter von Ex-Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und unter Ex-Premier Edouard Philippe als Minister für verschiedene Bereiche zuständig war, kann jetzt in seiner neuen Funktion vor allem auf die Unterstützung von Justizminister Gérald Darmanin bauen, einem seiner besten Freunde. Er hat bereits signalisiert, dass er gerne Justizminister bleiben möchte.