Threshold

Von Venture Capital ins Peloton der Radprofis

Lebensläufe lassen sich nur begrenzt am Reißbrett entwerfen, manchmal braucht es Jahre, bis man seine wahre Berufung entdeckt. So wie Kristen Faulkner, die mit einem Harvard-Abschluss in der Tasche bis Ende 2020 Vollzeit für die Venture-Capital-Gesellschaft Threshold tätig war.

Von Venture Capital ins Peloton der Radprofis

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Lebensläufe lassen sich nur begrenzt am Reißbrett entwerfen, manchmal braucht es Jahre, bis man seine wahre Berufung entdeckt. So wie Kristen Faulkner, die mit einem Harvard-Abschluss in der Tasche bis Ende 2020 Vollzeit für die Venture-Capital-Gesellschaft Threshold tätig war. Wobei die 29-Jährige seit etwa drei Jahren zweigleisig fährt und jede freie Minute in ihre große Leidenschaft Radsport steckt. Das wurde 2020 mit einem Vertrag bei Tibco Silicon Valley Bank belohnt, ein erster kleiner Etappenerfolg zeigte ihr Potenzial.

In der zweiten Hälfte 2020 kam sie nach Europa, wo die großen Rennen der World Tour stattfinden und man sich als Athletin durchsetzen muss, um zu zeigen, dass man es draufhat als Profi. Diese Gedanken und auch die zur finanziellen Absicherung gingen ihr durch den Kopf, als sie mit dem Tross ihres Teams von Rennen zu Rennen zog – und wo sie abends auf dem Zimmer dann noch Excel-Tabellen durchging und Korrespondenz betrieb für den VC-Job. Aber die Doppelbelastung nagte an ihr („one of the most exhausting and emotionally taxing periods of my life“), und so reifte der Entschluss, sich für eine Sache zu entscheiden.

Mit Ersparnissen für sechs Monate machte sie sich auf in das große Abenteuer einer vollen Profi-Saison („I fell in love with professional racing“), was aber auch die Schattenseite eines solchen Schritts illustriert: Wer nicht zu den Stars der Szene gehört, verdient kaum genug zum Leben. Das soll sich ändern: Equal-Pay-Initiativen greifen, die Budgets der Teams steigen, seitdem „Women’s Cycling“ mit Visibilität auf Eurosport den Durchbruch geschafft hat und für Sponsoren interessant ist.

Immerhin, ein Sieg bei der Tour of Norway plus Rang drei im Gesamtklassement rückten Neuprofi Faulkner weiter ins Rampenlicht. Zur aktuellen Saison folgte der Wechsel zum Team Bike Exchange Jayco – und damit ging ihr Stern so richtig auf. Die erste volle Profisaison in den Beinen, gewann sie die Zeitfahren bei der Tour de Suisse und auch beim derzeit laufenden Giro Donne, wo sie stolz das Führungstrikot (Maglia Rosa) überstreifen durfte – und in voller Rennmontur ein Freudenbad im Meer nahm. Was in ihr steckt, das konnte man schon bei der „Women’s Tour“ in Großbritannien ahnen, als sie an einem langen Anstieg mit den Besten mitging, was ihre enorme Schubkraft demonstrierte.

Aber was für eine Rennfahrerin ist Kristen Faulkner eigentlich? Beim Tour-de-Suisse-Zeitfahren deklassierte sie die Konkurrenz mit einem Schnitt von über 48 km/h und kämpfte sich auf dem heftigen Schlussanstieg der finalen Bergetappe an Lucinda Brand heran, die weltbeste Cyclocrosserin. Wer so viel draufhat, kann in Zukunft vielleicht auch bei den ganz großen Rundfahrten um das Gesamtklassement mitfahren. Dass ihr noch ein wenig Feinschliff fehlt, zeigte sich beim Ausrutscher in der Kurve vor dem Zielsprint, als sie von Lucinda Brand ausmanövriert wurde – das wird ihr nicht noch einmal passieren.

Für den Moment fährt sie, was das Zeug hält, hat aber schon angekündigt, dass sie weiter als „company builder“ aktiv sein will. Das ist dann die Nebenbeschäftigung zum Peloton der Profis.

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