Bundestag

Wahl bringt alte und neue Finanz­spezialisten

Die Bundestagswahl führt zu einem großen Wechsel bei den Abgeordneten. Unter den Finanzexperten finden sich viele bekannte Gesichter, aber auch neue Expertise zieht ins Parlament ein.

Wahl bringt alte und neue Finanz­spezialisten

Von Angela Wefers, Berlin

Die Bundestagswahl hat zu großen Veränderungen in der Finanzexpertise im Parlament geführt. Die Fraktionen von SPD, Grünen und der FDP sind durch den Wahlausgang deutlich gewachsen. CDU/CSU und Linke mussten Federn lassen, die AfD ist nur leicht geschrumpft. Erfahrene Fachpolitiker für Finanzen, Steuern, Finanzmarktthemen oder Haushalt sind aus dem Parlament ausgeschieden, aber neue dazu gekommen. Bei der SPD trat der langjährige finanzpolitische Sprecher Lothar Binding (71) nicht erneut zur Wahl an. Binding war in Personalunion auch Obmann im Finanzausschuss, also der Hauptansprechpartner, der auch den Kurs der Fraktion vorgibt. Dieser SPD-Posten ist im neuen Bundestag zu besetzen. Ohnehin wird in allen Fraktionen neu gewählt. Verlässliche Konstante in der Fraktion der Sozialdemokraten bleibt Carsten Schneider (45), der seinen Wahlkreis im thüringischen Erfurt erneut direkt gewonnen hat. Dies war ihm 1998 zum ersten Mal im Alter von 22 Jahren gelungen. Schneider war zu Beginn der Legislaturperiode 2013 vom haushaltspolitischen Sprecher zum Vizefraktionsvorsitzenden und 2017 zum Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion aufgestiegen. Dies ist eine gute Ausgangsposition, wenn die SPD in einer neuen Bundesregierung Ämter zu vergeben hat. Starke Finanzfrau der SPD mit Chancen auf ein herausgehobenes Amt ist Cansel Kiziltepe (45). Die Diplom-Volkswirtin entstammt einer Gastarbeiterfamilie aus der Türkei. Geboren in Berlin und aufgewachsen in Kreuzberg, trat sie in diesem Wahlkreis an. Als Direktkandidatin musste sie sich allerdings den dort traditionell starken Grünen und der Linken geschlagen geben. Ihre gefestigte Position in der SPD drückt sich aber durch Platz 1 auf der Berliner Landesliste aus, dem sie den Einzug in den Bundestag verdankt. Kiziltepe ist in Diskussionsrunden mit der Wirtschaft besonders zu Steuerfragen das Gesicht der SPD.

Wieder eingezogen sind für die SPD unter anderem Johannes Schraps (38), der zuletzt Berichterstatter für elektronische Wertpapier- oder Schwarmfinanzierung war, Michael Schrodi (44), Berichterstatter für Kapitalertragsteuern und Cum-ex-Geschäfte, und Jens Zimmermann (40), direkt gewählt im Odenwald. Er hielt für die SPD die Fäden im Wirecard-Untersuchungsausschuss zusammen. Neues Mitglied in der SPD-Fraktion ist übrigens auch Olaf Scholz (63), bislang Bundesfinanzminister und Vizekanzler ohne Bundestagsmandat. Seinen Wahlkreis Potsdam gewann er gegen Annalena Baerbock (40), Grünen-Kanzlerkandidatin. Der Kanzler braucht ein Bundestagsmandat, ein Minister nicht.

Die Union muss künftig auf den erfahrenen Strippenzieher Hans Michelbach (72) verzichten. Der CSU-Mann und Unternehmer war Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss und ein bekanntes Gesicht im Wirtschaftsflügel der Union. Auch Eckhardt Rehberg (67), stets mahnender haushaltspolitischer Sprecher für stabile Finanzen, ist ausgeschieden. Rehberg hat in Mecklenburg-Vorpommern kommissarisch die Führung im CDU-Landesverband übernommen, nachdem der dortige Vorsitzende nach der Wahlniederlage das Handtuch geworfen hat. Wieder eingezogen in den Bundestag ist Andreas Jung (46), der sein Direktmandat in Baden-Württemberg verteidigt hat. Jung hatte im Oktober 2018 den Vizefraktionsvorsitz für Haushalt und Finanzen in der CDU/CSU-Fraktion erobert, nachdem Ralph Brinkhaus (53) Fraktionschef wurde. Seit 2016 ist Jung Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg. Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (60) hatte ihn in sein Kompetenzteam geholt. Wieder eingezogen ist auch Antje Tillmann (57), finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion über Listenplatz 2 in Thüringen. Erneut gewählt sind von der Union auch die Steuerberater Fritz Güntzler (55) und Sebastian Brehm (49), die ein Unternehmenssteuerkonzept entworfen hatten. Der Kenner von Altersvorsorge und Versicherungen Carsten Brodesser (54) ist wieder dabei, auch Olav Gutting (50) – er war 2018 Jung im Kampf um den Fraktionsvorsitz unterlegen – und die Finanzmarktspezialisten Alexander Radwan (57) und Matthias Hauer (43). Letzterer war führend für die Union im Wirecard-Ausschuss. Alle zogen als Direktkandidaten ein. Den Chefs der Wirtschaftsflügel in der Union, Carsten Linnemann (44) für die Mittelstandsunion und Christian Freiherr von Stetten (51) vom Parlamentskreis Mittelstand (PKM), gelang es ebenfalls, Direktmandate zu erobern. Neu im Bundestag sind für die Union Klaus Wiener (59), zuvor viele Jahre Chefvolkswirt in der Versicherungsbranche, und Ottilie Klein (37), die bislang beim Landesbankenverband VÖB tätig ist. Neu in der Fraktion ist auch Friedrich Merz (65), der auf einen herausgehobenen Posten in der neuen Bundesregierung hoffte und nach dem Wahlverlust der Union kaum sichtbar ist. Seinen Wahlkreis im Hochsauerland holte er direkt, anders als die CDU-Minister Peter Altmaier, Julia Klöckner und Annegret Kramp-Karrenbauer.

Bei den Grünen im Bundestag kam Danyal Bayaz (37) während der laufenden Legislaturperiode abhanden – allerdings aus einem erfreulichen Grund: Er wurde nach dem erneuten Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg Finanzminister. Der rührige Finanzexperte hatte zusammen mit Florian Toncar (FDP) und Fabio De Masi (Linke) die Regierung und die Finanzaufsicht BaFin im Wirecard-Untersuchungsausschuss aufgemischt. Der finanzpolitischen Sprecherin und Obfrau der Grünen im Finanzausschuss, Lisa Paus (53), stahl er damit zeitweise die Schau. Paus ist seit 2009 Bundestagsabgeordnete und durchgehend Mitglied und Obfrau im Ausschuss. Platz 1 auf der Berliner Landesliste der Grünen hätte ihren Wiedereinzug auch ohne das fulminante Wahlergebnis der Grünen gesichert. Sie unterlag im Wahlkreis Berlin-Charlottenburg nur knapp dem SPD-Bundestagsneuling und bis dato Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt, Michael Müller (56). Den vakanten Platz von Bayaz hatte im öffentlichen Auftritt auch Omid Noripour (46) gefüllt, der in Frankfurt ein Direktmandat für die Grünen errang. Er war bislang schon Mitglied im Finanzausschuss, auch wenn er stärker außenpolitisch in Erscheinung tritt.

Die FDP hat eine ganze Reihe von Finanzexperten, die unterschiedlichste Positionen in der Fraktion einnehmen und dank des guten Wahlergebnisses alle wieder da sind: Christian Dürr (44) als Vizefraktionsvorsitzender für den Finanzbereich, der wortgewaltige haushaltspolitische Sprecher Otto Fricke (55), Florian Toncar (41) als finanzpolitischer Sprecher und zugleich Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Dieses ordnende Amt für die FDP im Bundestag bekleidet auch Bettina Stark-Watzinger (53), die bis 2017 Geschäftsführerin bei den Finanzmarktforschern von SAFE an der Universität Frankfurt war. Auch die bisherige Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses, Katja Hessel (49), und der FDP-Obmann im Ausschuss, Markus Herbrand (50), beide Steuerberater von Beruf, sind wieder im neuen Bundestag.

Die Linke hat meist nur einen wirklich kundigen Finanzmarkt-Star in ihrer Fraktion. Lange Jahre war dies Axel Troost (67), der 2017 den erneuten Einzug verpasste, aber in diesem Februar noch kurzzeitig in den Bundestag nachrückte. Da hatte der wortgewandte und initiative Fabio De Masi (41) längst das Scheinwerferlicht auf sich gestellt. Beide gehören auf eigenen Wunsch dem neuen Bundestag nicht mehr an. Ein potenzieller Nachfolger für die Rolle ist aber in Sicht: Novize im Bundestag ist Christian Görke (59), bis 2019 – bis zum Ausscheiden der Linken aus der Landesregierung– Finanzminister in Brandenburg.

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