Jean-Claude Trichet

Zentral­banker und Europäer mit Leib und Seele

Bei Jean-Claude Trichet werden böse Erinnerungen in Sachen Inflation wach. Rund um seinen 80. Geburtstag an diesem Dienstag ist die Meinung des früheren EZB-Chefs wieder sehr gefragt.

Zentral­banker und Europäer mit Leib und Seele

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Als sich Mitte November erstmals nach zwei Jahren Coronapause Banker und Notenbanker, Politiker und Ökonomen beim European Banking Congress in der Alten Oper in Frankfurt treffen, ist auch Jean-Claude Trichet dabei. Von seinem Platz in der ersten Reihe lauscht er aufmerksam den Reden und Diskussionen, plauscht in den Pausen mit alten Weggefährten und anderen Interessierten und tauscht sich auch mit EZB-Präsidentin Christine Lagarde aus, seiner Landsfrau und Nachnachfolgerin an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die Szene zeigt: Auch mehr als elf Jahre nach seinem Abschied von der EZB ist Trichet, der am Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert, immer noch gerne mittendrin und, vor allem, ist er immer noch ein vielgefragter und äußerst geschätzter Gesprächspartner. In diesen Tagen, Wochen und Monaten vielleicht sogar noch mehr als sonst – schließlich steht Europa wegen des Ukraine-Kriegs an einer zentralen Wegmarke und auch die EZB ist mit einer Zeitenwende konfrontiert. Da interessiert viele, was der überzeugte Europäer und Ex-EZB-Chef zu sagen hat.

Vor allem zur hohen Inflation im Euroraum von aktuell 10% hat Trichet eine klare Meinung – und große Bedenken. „Ich bin besorgt. Die Inflation muss unbedingt wieder unter Kontrolle gebracht werden“, sagt Trichet Ende November der Deutschen Presse-Agentur. „Die Inflation ist nicht vorübergehend.“ Daher sei Wachsamkeit der Zentralbank notwendiger denn je. „Wir haben in den 1970er Jahren eine Phase erlebt, in der wir die Kontrolle über die Inflation verloren haben. Wir wissen, was es kostet, die Kontrolle über die Inflation zu verlieren. Das müssen wir vermeiden.“ Nicht nur dieses „Wir“ zeigt, wie sehr Trichet immer noch als Zentralbanker denkt und fühlt.

Verwunderlich ist das nicht, schließlich war er Jahrzehnte lang als Notenbanker aktiv. Von November 2003 bis Oktober 2011 stand er an der EZB-Spitze – als erster Präsident mit einer vollen Amtszeit. Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg hatte vereinbarungsgemäß nur vier Jahre amtiert. Zuvor hatte Trichet von 1993 bis 2003 die französische Zentralbank geleitet und sich in der Zeit einen Namen mit der Politik des „starken Franc“ gemacht – und das, ohne ein hochdekorierter Ökonom mit wissenschaftlichen Meriten zu sein. Trichet hatte zunächst Bergbauingenieurwesen studiert und an­schließend an Frankreichs Kaderschmiede École Nationale d‘Administration (ENA) Wirtschaftswissenschaften. Anfang der 1970er Jahre begann Trichets Karriere im Finanzministerium in Paris, wo er sich bis zum Posten des Staatssekretärs hocharbeitete. Im Herbst 1993 wechselte er schließlich an die Spitze der Banque de France.

Auch die EZB prägte Trichet wesentlich mit. In Trichets Amtszeit fielen zum Beispiel die Weltfinanzkrise und der Beginn der Euro-Staatsschuldenkrise. Am 9. August 2007 war es die EZB, die mit einer Liquiditätsspritze von 95 Mrd. Euro beherzt auf die Anspannungen am Interbankenmarkt reagierte, als erste der Zentralbanken weltweit. Im Mai 2010 schließlich, auf einem ersten Höhepunkt der Griechenland-Krise, beschloss die EZB dann nach einem dramatischen Wochenende in Brüssel, erstmals in großem Stil Staatsanleihen klammer Euro-Länder zu kaufen – für viele in Deutschland ein Sündenfall. Bundesbankchef Axel Weber stellte sich damals im Interview der Börsen-Zeitung gar öffentlich gegen den Beschluss des EZB-Rats – ein Novum.

Trichet, der als machtbewusst und durchsetzungsstark galt, aber immer auch Kompromisse suchte, bedauert diese Entwicklung noch heute. „Ich weiß, dass einige dieser Entscheidungen nicht unbedingt von allen gutgeheißen wurden“, sagt er. „Aber ich bin überzeugt, dass sie notwendig waren – insbesondere in Europa.“

Auf die Frage, ob er froh sei, nicht mehr an der Spitze der EZB zu stehen und so nicht derart umstrittene Maßnahmen beschließen zu müssen wie sein Nachfolger Mario Draghi zu der Zeit mit breiten Staatsanleihekäufen (Quantitative Easing, QE) und Negativzinsen, sagt Trichet im Jahr 2016 in einem großen Interview der Börsen-Zeitung: „Ich würde keinesfalls sagen, dass ich glücklich bin, nicht mehr EZB-Präsident zu sein.“ Das Amt sei ohne Frage eine herausfordernde Aufgabe und es müssten auch komplexe und schwierige Entscheidungen getroffen werden. „Aber diese Aufgabe ist außergewöhnlich inspirierend – zumal mit der Überzeugung, zu einem historischen Projekt beizutragen“, so Trichet (vgl. BZ vom 10.5.2016). Seinen Beitrag versucht er aber auch heute noch zu leisten, mit Rat und Expertise – und ist dabei auch weiter mittendrin.

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