Recht und KapitalmarktEU-Handelspolitik

Brüssel holt mit dem Instrument gegen Zwangsmaßnahmen zum Gegenschlag aus

Das Anti-Coercion Instrument soll der EU-Kommission ein zusätzliches Rechtsinstrument gegen wirtschaftliche Nötigung durch Drittländer an die Hand geben.

Brüssel holt mit dem Instrument gegen Zwangsmaßnahmen zum Gegenschlag aus

Brüssel holt mit Instrument gegen Zwangsmaßnahmen zum Gegenschlag aus

Regelung soll das handelspolitische Instrumentarium der Kommission ergänzen

*) Dr. Bärbel Sachs ist Partnerin und Dr. Dr. Claus Zimmermann Associated Partner von Noerr.

Von Bärbel Sachs
und Claus Zimmermann*)

Ende März 2023 erzielten die Verhandlungsführer des EU-Parlaments, des Rates der EU sowie der EU-Kommission eine vorläufige Einigung über den Kommissionsvorschlag für eine Verordnung zum Schutz der Union und ihrer Mitgliedstaaten vor wirtschaftlichem Zwang durch Drittländer, das sogenannte Anti-Coercion Instrument, kurz ACI. Ein weiteres Kernprojekt der Kommission steht damit kurz vor der endgültigen Annahme, mit der laut übereinstimmenden Medienberichten bereits Anfang Juni zu rechnen ist. Das ACI soll das handelspolitische Instrumentarium der EU-Kommission ergänzen und ihr ein zusätzliches Rechtsinstrument gegen wirtschaftliche Nötigung durch Drittländer, insbesondere auch die unrechtmäßige extraterritoriale Anwendung einseitiger Sanktionen gegen EU-Wirtschaftsbeteiligte, an die Hand geben.

China im Blick

Die EU-Kommission hatte den ACI-Verordnungsvorschlag im Dezember 2021 vorgelegt, nachdem Drittstaaten in zunehmendem Maße wirtschaftlichen Zwang genutzt hatten, um politische Entscheidungen in der EU zu beeinflussen. Ein prominentes Beispiel ist der Druck, den die USA auf Frankreich als Reaktion auf dessen Pläne zur Einführung einer Steuer auf digitale Dienstleistungen ausübten. Ein weiteres bekanntes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist die Verhängung von Handelssanktionen gegen Litauen durch China, nachdem der EU-Mitgliedstaat die Eröffnung einer diplomatischen Vertretung Taiwans in seiner Hauptstadt zugelassen hatte.

Der Verhandlungsführer des EU-Parlaments, Bernd Lange, zögerte während der Verhandlungen über die politische Einigung deshalb auch nicht, China und die USA explizit als für den ACI besonders relevante Drittstaaten zu benennen. Auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, betonte kürzlich in einer Rede über die Beziehungen zwischen der EU und China, dass die EU ihre Beziehungen zu China neu ausbalancieren sollte, indem sie mehr und besser von ihren verschiedenen Handelsinstrumenten Gebrauch macht.

Kernaspekte des ACI

Das ACI legt einen Rechtsrahmen für die Reaktion der EU auf wirtschaftliche Nötigung durch Drittländer fest, also für Szenarien, in denen ein Drittland versucht, die EU oder einen Mitgliedstaat mit Blick auf eine souveräne politische Entscheidung unter Druck zu setzen, indem das Drittland Maßnahmen gegen die Union oder den Mitgliedstaat anwendet, die den Handel oder die Investitionen beeinträchtigen. Das ACI zielt darauf ab, einen wirksamen Schutz der Interessen der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu gewährleisten, indem es Abschreckungs- und Abstandsmaßnahmen wie den Dialog mit dem Drittland vorsieht, aber als letztes Mittel auch Gegenmaßnahmen legitimiert. Es ist vorgesehen, dass von der Einleitung einer formellen Untersuchung bis zum Erlass der Entscheidung über Maßnahmen insgesamt nicht mehr als ein Jahr vergehen darf.

Zu den verschiedenen Maßnahmen, die die EU unter Einbindung der Mitgliedsstaaten ergreifen kann, finden sich Handelsbeschränkungen wie höhere Zölle, Einfuhr- oder Ausfuhrlizenzen, Beschränkungen im Bereich der Dienstleistungen oder des öffentlichen Auftragswesens, die Einführung von Vergeltungszöllen und -quoten, Beschränkungen für von der EU finanzierte Forschungsprogramme, strengere Kontrollen der Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen, Marktbeschränkungen für bestimmte Produkte (z. B. Chemikalien), Maßnahmen im Zusammenhang mit geistigem Eigentum usw.

Bislang hat sich die EU in der Regel schwergetan, auf Zwangspraktiken von Drittstaaten zu reagieren. Wie immer in der Außenpolitik erfordern die EU-Verträge für die Verhängung von Sanktionen die einstimmige Zustimmung der Mitgliedstaaten. Das wiederum ist oft nicht zu erreichen. Vor allem in Bezug auf China haben einzelne Staats- und Regierungschefs wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán oft ihr Veto gegen EU-Entscheidungen eingelegt. Deshalb sollte die Entscheidung über den Einsatz des ACI laut Verordnungsvorschlag weitgehend der Kommission überlassen werden, es sei denn, es gäbe im Rat eine qualifizierte Mehrheit gegen eine von der Kommission vorgeschlagene Maßnahme.

Stärkere Rolle des Rates

Der Text der kürzlich erfolgten politischen Einigung der EU-Institutionen ist zwar noch nicht veröffentlicht, es ist aber zu erwarten, dass sich Rat und Kommission bei diesem Kernpunkt auf eine Kompromisslösung geeinigt haben und eine stärkere Rolle des Rates bei der Festlegung von ACI-Maßnahmen als ursprünglich von der Kommission geplant vorsehen.

Das multilaterale Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation möchte die EU mit dem ACI ausdrücklich nicht als ihr primäres Instrument zur Bekämpfung unfairer Außenhandelspraktiken ausländischer Staaten ersetzen. Dennoch werden andere WTO-Mitglieder den neuen EU-Mechanismus und seine praktische Anwendung sehr genau unter die Lupe nehmen und gegen etwaige protektionistische Maßnahmen der EU evtl. auch den Klageweg beschreiten.

Dr. Bärbel Sachs

ist Partnerin der Kanzlei Noerr.

Dr. Dr. Claus Zimmermann

ist Associated Partner von Noerr.

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