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Commercial Courts im Fokus

Mit der Einrichtung spezialisierter Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten will die Justiz international wettbewerbsfähiger werden. Unternehmen können dort komplexe Handels- und Immobilienstreitigkeiten auf Deutsch oder Englisch vor einem wirtschaftsnahen staatlichen Gericht austragen – eine Ansage an die klassische Schiedsgerichtsbarkeit?

Commercial Courts im Fokus

Commercial Courts im Fokus

Justiz will wettbewerbsfähiger werden – Bedeutungszuwachs der Zivilgerichtsbarkeit – Ansage an Schiedsgerichte?

Von Stefan Osing*)

Mit der Einrichtung spezialisierter Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten will die Justiz international wettbewerbsfähiger werden. Unternehmen können dort komplexe Handels- und Immobilienstreitigkeiten auf Deutsch oder Englisch vor einem wirtschaftsnahen staatlichen Gericht austragen – eine Ansage an die klassische Schiedsgerichtsbarkeit?

Das deutsche Zivilrechtssystem gilt als eines der besten der Welt. Im Rule of Law Index 2024 des World Justice Project liegt Deutschland auf Rang 5 von 140 Ländern. In den vergangenen zwei Jahrzehnten verzeichneten die deutschen Zivilgerichte jedoch einen dramatischen Rückgang der Verfahrenszahlen. Dies gilt insbesondere für die Landgerichte, die Handelssachen über 5.000,00 Euro Streitwert verhandeln. Dieser Umstand könnte darauf hindeuten, dass deutsche Gerichte nicht (oder nicht mehr) als attraktive Standorte angesehen werden, um Verfahren mit hohem Streitwert und internationalem Bezug zu verhandeln. Trotz vielfältiger Ursachen dürfte die anhaltende Popularität der Schiedsgerichtsbarkeit hierzu beigetragen haben.

Ambitionslose Initiativen

Unabhängig davon verfolgte der deutsche Gesetzgeber Bestrebungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Gerichtsbarkeit lange Zeit nur recht ambitionslos. Bundesratsinitiativen aus den Jahren 2010, 2018, und 2021 stießen auf wenig Interesse und fielen der Diskontinuität zum Opfer. Dies änderte sich grundlegend mit der Verabschiedung des Justizstandort-Stärkungsgesetzes im Jahre 2024. Durch Änderungen sowohl in der Zivilprozessordnung als auch im Gerichtsverfassungsgesetz soll die Stellung deutscher Zivilgerichte im Forumswettbewerb verbessert werden. Eine bedeutende Neuerung ist dabei vor allem die Öffnungsklausel, die es den Ländern ermöglicht, an den Oberlandesgerichten spezialisierte Commercial Courts einzurichten. Gleichzeitig blieb die Möglichkeit der Schiedsvereinbarung nach §§ 1032 Abs. 1, 1029 ff. ZPO.

Der Bedeutungszuwachs der Zivilgerichtsbarkeit durch die Einführung von Commercial Courts hängt damit entscheidend am wirtschaftlichen Nutzen der Streitparteien. Auch im Zivilverfahren wird die Frage, welches Forum nach welchen Regeln bedürfnisgerecht arbeitet, nach Kriterien wie Kosten, Expertise und Verfahrensdauer beurteilt.

Können spezialisierte Commercial Courts also tatsächlich als Kampfansage an die klassische Schiedsgerichtsbarkeit gesehen werden oder ist die Unterlegenheit der Zivilgerichte schon wegen verfassungsrechtlicher Vorgaben und struktureller Funktionstrennung zementiert?

Defizite bei Wirtschaft

Vor allem in Wirtschaftsstreitigkeiten wurden der Zivilgerichtsbarkeit erhebliche Defizite attestiert, sodass Schiedsverfahren insbesondere dort praktische Relevanz erlangten.

Gerade wenn sich jeweils liquide Parteien um hohe Werte streiten, besteht vor allem das Risiko einer überlangen Verfahrensdauer. Muss ein Rechtsstreit durch Urteil entschieden werden, ist die Revision bis zum BGH keine Seltenheit und die Kosten können durch Personaleinsatz so steigen, dass die Verfahrensführung wirtschaftlich unvernünftig wird, unabhängig von objektiver Rechtfertigung oder gutem EU-Vergleich. Entscheidender Nachteil hinsichtlich der Verfahrensausgestaltung vor den Zivilgerichten ist zudem, dass diverse zentrale Verfahrensfragen nicht uneingeschränkt zur Disposition der Parteien stehen.

Vor Einführung der §§ 184a f. GVG und den Änderungen der §§ 610 ff. ZPO durch das Justizstandort-Stärkungsgesetz kam erschwerend hinzu, dass Verhandlungen zwingend öffentlich und in deutscher Sprache zu führen waren. Dies führte zur faktischen Notwendigkeit komplizierter Übersetzungen und dem beachtlichen Risiko der Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen im Verfahren.

Neben Hürden im Verfahrensablauf wirkt für international agierende Unternehmen auch die zwingende Anwendung des AGB-Rechts in b2b-Verträgen abschreckend. Diesen Nachteil gibt es im Schiedsverfahren nur bei Vereinbarung deutschen Rechts.

Hinsichtlich der Verfahrensausgestaltung ergeben sich im Schiedsverfahren weitere Effizienz- und Funktionsgewinne der Streitparteien aus dem Verfahren über nur eine Instanz sowie aus der Tatsache, dass Parteien qua Schiedsvereinbarung entscheidenden Einfluss auf die Verfahrensausgestaltung nehmen und diese flexibel gestalten können. Wesentlich ist der Einfluss der Parteien auf die Auswahl der Schiedspersonen.

Positive Richtung

Mit Inkrafttreten des Justizstandort-Stärkungsgesetzes am 01. April 2025 sind durch Verordnung der jeweiligen Landesgesetzgeber sog. Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten eingerichtet worden. Dort können Unternehmen nach Parteivereinbarung bestimmte Streitigkeiten, in NRW etwa aus M&A, Bau- und Architektenverträgen oder Versicherungen, ab 500.000 Euro erstinstanzlich führen. Die prozessualen Korrekturen zeigen den ambitionierten Anspruch, Ursachen des Attraktivitätsgefälles zwischen Schieds- und staatlicher Zivilgerichtsbarkeit zu verringern.

Stärkere Spezialisierung

Der entscheidende Vorteil der Commercial Courts dürfte zunächst in der konsequenten Spezialisierung der Richterschaft im wirtschaftsgerichtlichen Bereich liegen. Dies deckt sich auch entscheidend mit den äußerst positiven Erfahrungen im Patentrecht, wo deutsche Gerichte (z. B. Düsseldorf und München I) gerade im internationalen Vergleich sehr erfolgreich sind.

Die Einsetzung der Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz bringt zudem die Verkürzung des Instanzenzuges und somit die Annäherung an die Verfahrensdauer der Schiedsgerichtsverfahren mit sich. Der auf Oberlandesgerichte und Bundesgerichtshof begrenzte Instanzenzug dürfte einen adäquaten Kompromiss bilden. Gerade, wenn man den Qualitätsstandard von Rechtsprechung als Faktor begreift, so dürfte die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof für die Eingangsinstanz zu einer erhöhten Sorgfalt führen.

Fortschritt und Funktionstrennung

Bei aller berechtigten Euphorie über die (im internationalen Vergleich längst überfälligen) Neuerungen des Justizstandort-Stärkungsgesetzes, muss jedoch klar sein, dass dem Bestreben, die staatliche Zivilgerichtsbarkeit gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit zu stärken, rechtliche sowie tatsächliche Grenzen gesetzt sind.

Einige Vorteile, die die Schiedsgerichtsbarkeit bietet, können schon mit der Funktion und der verfassungsmäßig vorgegebenen Struktur der Ziviljustiz, gerade hinsichtlich des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), nicht durch staatliche Pendants nachgebildet werden.

Vor allem die individuelle Spruchkörperzusammensetzung, die uneingeschränkte Vertraulichkeit und die de facto universelle Vollstreckbarkeit wegen des New Yorker Abkommens von 1958 sind Eigenschaften des Schiedsgerichtsverfahrens, die in der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit nicht realisierbar wären.

Realitätsfern scheint überdies die Erwartung, dass eine theoretisch bedürfnisoptimierte Ziviljustiz kurz- oder mittelfristig (streitwertrelevante) Streitigkeiten aus ausländischen Justizsystemen weglocken könnte. Die tatsächliche Qualität eines Konfliktforums spielt in der Praxis nämlich eine deutlich geringere Rolle, als man zunächst annehmen würde. So werden die Prozessvertreter der Konfliktparteien sicherlich dazu geneigt sein, Konflikte in ihrer Heimatjurisdiktion auszutragen, um (wegen örtlicher Zulassungsbeschränkungen) mit höherer Wahrscheinlichkeit die Mandatsbeziehung aufrechterhalten zu können.

Im Ausland erprobt

Unabhängig davon sind die Commercial Courts jedoch als absolute Notwendigkeit zu begreifen. Im europäischen und außereuropäischen Ausland operieren schon seit geraumer Zeit Commercial Courts. Deren Einführung in Teilen der Bundesrepublik sichert also zumindest, dass Deutschland nicht den Anschluss an die internationalen Standards der Rechtspflege verliert.

Auch im Bereich der staatlichen Ziviljustiz müssen sich Streitparteien auf ein qualifiziertes staatliches Angebot verlassen können und hierfür bieten die Commercial Courts eine gute Alternative.

Inwieweit sie den Schiedsgerichten Konkurrenz machen können, bleibt abzuwarten. Man sollte sie jedoch in jedem Fall auf dem Schirm haben, wenn es darum geht, Verfahren mit hohem Streitwert zu führen.

*) Dr. Stefan Osing ist Partner bei Heuking. Der Artikel entstand unter Mitwirkung von Robert Bennington Christofor, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dezernat des Autors.

*) Dr. Stefan Osing ist Partner bei Heuking. Der Artikel entstand unter Mitwirkung von Robert Bennington Christofor, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dezernat des Autors.