Gerichtsbarkeit

Der Erfolg des Haager Urteils­überein­kommens ist offen

Während immer mehr Unternehmen grenzüberschreitend agieren, beschränkt sich die Gerichtsbarkeit auf das jeweilige Staatsgebiet. Nun hat die EU den Beitritt zum Haager Urteilsübereinkommen beschlossen.

Der Erfolg des Haager Urteils­überein­kommens ist offen

Von Evgenia Peiffer und Sandra Renschke *)

Mitte Juli hat die EU beschlossen, dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen aus dem Jahr 2019 beizutreten. Kann das Übereinkommen internationale Handelsbeziehungen begünstigen und die staatliche Gerichtsbarkeit für die Bedürfnisse der globalen Wirtschaft fit machen?

Während immer mehr Unternehmen grenzüberschreitend agieren, beschränkt sich die Gerichtsbarkeit von Staaten auf das jeweilige Staatsgebiet. Infolgedessen wirkt ein Gerichtsurteil nur innerhalb des Staates, in dem es erlassen wurde. Nur in diesem Staat kann das Urteil zwangsweise durchgesetzt werden.

Leistet ein Schuldner auf ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht freiwillig und hat er im Urteilsstaat keine Vermögenswerte, hängt der praktische Wert des Urteils davon ab, ob es auch im Ausland vollstreckt werden kann.

Globaler Handel

Völkerrechtliche Verträge, die die Vollstreckung ausländischer Urteile regeln, gibt es nur in wenigen Spezialgebieten, wie im Transportwesen, oder sie sind regional begrenzt. Wichtige Ausnahmen in Europa sind die EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) und das Lugano-Übereinkommen. Dadurch können Ge­richtsurteile aus einem EU-Mit­gliedstaat EU-weit und in den Ländern der Europäischen Freihandelszone (Schweiz, Island, Norwegen und der Schweiz) vollstreckt werden.

Im Verhältnis zu anderen, aus deutscher Sicht wichtigen Handelspartnern existieren vergleichbare völkerrechtliche Verträge nicht, was für international tätige Unternehmen mit Risiken und Kosten verbunden ist. Will ein Gläubiger ein deutsches Gerichtsurteil in den USA durchsetzen, entscheiden US-Gerichte darüber nach nationalem Recht, das von Bundesstaat zu Bundesstaat variiert. In China hängen die Chancen, ein ausländisches Urteil zu vollstrecken, maßgeblich davon ab, ob in dem Staat, aus dem das Urteil stammt, chinesische Gerichtsentscheidungen durchgesetzt werden. Indische Gerichte können die Vollstreckung versagen, wenn ein ausländisches Urteil gegen ein indisches Gesetz verstößt.

Private Schiedsverfahren

Um solche Schwierigkeiten zu vermeiden, werden Streitigkeiten im internationalen Wirtschaftsverkehr häufig vor privaten Schiedsgerichten geführt, oft verbunden mit hohen Kosten. Für Schiedssprüche existiert bereits seit 1958 ein einheitliches Regelwerk, das New Yorker Übereinkommen, das die Vollstreckung praktisch weltweit ermöglicht.

Das Haager Urteilsübereinkommen soll die derzeitigen Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Gerichtsurteilen abbauen. Hierzu listet das Übereinkommen abschließende Kriterien auf, anhand derer ein Gericht die Durchsetzbarkeit eines ausländischen Urteils zu prüfen hat.

Eine inhaltliche Nachprüfung des Urteils findet nicht statt. Ein Vertragsstaat kann die Vollstreckung beispielsweise verweigern, wenn der Beklagte über die Klageerhebung im Ursprungsstaat nicht informiert wurde oder das ausländische Urteil gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaats verstößt. In Bezug auf Urteile aus den USA bleibt es dabei, dass punitive damages (Strafschadenersatz) im Ausland nicht anzuerkennen und zu vollstrecken sind. Das Haager Übereinkommen gilt für alle staatlichen Gerichtsurteile in Zivil- und Handelssachen. Aus dem Übereinkommen ausgenommen sind jedoch Entscheidungen in bestimmten Streitigkeiten, etwa über geistiges Eigentum, Insolvenz- und Kartellrecht.

Mit dem Beitritt der EU sind alle Mitgliedstaaten – außer Dänemark – an das Urteilsübereinkommen ge­bunden. Aktuell haben sechs weitere Staaten das Übereinkommen unterzeichnet, darunter die USA und Russland. Das Übereinkommen wird in Kraft treten, sobald zwei Vertragsstaaten es ratifiziert haben, wobei die EU als supranationale Organisation als ein Staat zählt.

Kann das Haager Urteilsübereinkommen die Streitbeilegung vor staatlichen Gerichten für global tätige Unternehmen attraktiver machen und so grenzüberschreitende Handelsbeziehungen und Investitionen begünstigen? Entscheidend hierfür wird die Anzahl der Staaten sein, die dem Übereinkommen noch beitreten werden.

Ob der Beitritt der EU das Interesse anderer Staaten an dem Über­einkommen erhöhen wird, bleibt abzuwarten. Der Erfolg des Haager Urteilsübereinkommens wird auch davon abhängen, wie viele Ver­tragsstaaten von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, bestimmte Rechtsgebiete und andere Vertragsstaaten von der Anwendung des Übereinkommens auszuschließen.

Gefahr der Entwertung

Mit jedem Vertragsstaat, der diese Option nutzt, steigt das Risiko, dass das Haager Urteilsübereinkommen stark entwertet wird und es im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Gerichtsurteilen weiterhin bei einem Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Regelungen bleibt.

*) Dr. Evgenia Peiffer ist Counsel und Sandra Renschke Senior Associate von CMS Deutschland.