Der Fall Sympatex – zum Umgang mit Interessenkonflikten in Sanierungssituatio...
Der Fall Sympatex – zum Umgang mit Interessenkonflikten in Sanierungssituatio...
Der Fall Sympatex – zum Umgang mit Interessenkonflikten in Sanierungssituationen
Schutzlücken bei Vergleichsrechnungen – Konsequenzen für StaRUG – Grenzen gerichtlicher Kontrolle
*) Von Dr. Stephan Brandes ist Partner mit Schwerpunkten M&A, Finanzaufsichts- und Bankrecht, gerichtliche und schiedsgerichtliche Prozessführung bei der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz.
Vor dem LG München I läuft aktuell der erste Strafprozess im Fall Sympatex. Dort wird ausgelotet, wo die Grenzen zwischen legitimen Sanierungsversuchen und kriminellen Machenschaften zu Lasten von Investoren verlaufen. Die zuständige Wirtschaftsstrafkammer hat für das Verfahren über 40 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil ist nicht vor dem Frühjahr 2026 zu rechnen.
Vorwurf der inszenierten Insolvenz
Angeklagt sind mehrere bekannte Köpfe aus der Beratungsbranche, darunter Eigentümer der Firma Sympatex, eines Herstellers von Funktionstextilien für Outdoorkleidung. Geschädigte sind die Gläubiger einer Unternehmensanleihe. Ihnen wurde kurz vor Fälligkeit mitgeteilt, eine Insolvenz stehe unmittelbar bevor und könne nur durch den Einstieg eines nicht benannten Investors abgewendet werden. Dieser bestehe auf einem radikalen Schuldenschnitt, welchem die Anleihegläubiger schließlich zustimmten. Grundlage war ein Gutachten, wonach sie im Insolvenzfalle nur einen Bruchteil ihrer Forderungen zurückerhalten würden. Vollzogen wurde die Übernahme nicht. Laut Anklage soll die drohende Insolvenz vorsätzlich inszeniert worden sein, um einen Schuldenerlass zu erzwingen. Tatsächlich sei die Befriedigungsquote für die Anleihegläubiger im Falle einer Insolvenz deutlich höher gewesen. Durch die Entschuldung profitierten die Eigentümer von Sympatex, da sie das Unternehmen schuldenfrei weiterführen konnten.
Vergleichsrechnung als Kernstück
Für die Restrukturierungsbranche hat das Verfahren grundlegende Bedeutung. Wenn Gläubiger über einen Schuldenschnitt oder eine andere Restrukturierungsmaßnahme entscheiden müssen, benötigen sie zu einer sachlich fundierten Willensbildung eine angemessene Informationsgrundlage.
Ein Sanierungskonzept enthält in der Regel eine Vergleichsrechnung, die die sanierungsbedingten Befriedigungsaussichten der Gläubiger denjenigen in einem Insolvenz- oder sonstigem Alternativszenario gegenüberstellt. Bei Restrukturierungsmaßnahmen nach dem StaRUG oder in einem Insolvenzplanverfahren ist eine Vergleichsrechnung sogar gesetzlich vorgeschrieben. Restrukturierungs- und Insolvenzrecht erlauben weitreichende Eingriffe in die Rechtsstellung von Gläubigern und Gesellschaftern.
Schwächen in der Anwendung
Der Fall Sympatex offenbart die Schutzlücken dieses Systems bei Bestehen von Interessenkonflikten. Vergleichsrechnungen beruhen auf Annahmen und Prognosen, deren Realitätsgehalt sich nur eingeschränkt überprüfen lässt. Hinzu kommt: Bestimmte Sanierungsmaßnahmen können durch die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungs- oder Insolvenzplanes unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Willen einzelner Gruppen (z.B. Anleihegläubiger, Mezzanine-Lender, Gesellschafter) erzwungen werden. Das Vorbild für diesen sog. „Class Cram Down“ (englisch für „hinunterdrücken“ oder „aufzwingen“) stammt aus dem Chapter Eleven des US Bankruptcy Code und soll Blockadestrategien bestimmter Gläubigergruppen durchkreuzen. In Deutschland wurde das Instrument des Class Cram Down bereits eingesetzt, etwa bei Varta oder Leoni, jeweils mit dem Ziel eines Squeeze-Out der Alt-Aktionäre gegen deren Willen und mit gerichtlicher Bestätigung. Der Cram Down und die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen sind nicht unumstritten.
Gerichtliche Kontrolle mit Grenzen
Vor Missbrauch soll die Beteiligten das Schlechterstellungsverbot schützen. Voraussetzung für die gerichtliche Planbestätigung ist, dass keine Gruppe, die gegen den Plan gestimmt hat, durch den Plan schlechter gestellt wird als im Alternativszenario.
Gerichte prüfen dies anhand der vorgelegten Vergleichsrechnung, allerdings nur, wenn ein betroffener Gläubiger gegen den Plan stimmt und dies beantragt.
Die Prüfung stellt Gerichte vor Herausforderungen. Die Planannahmen und die Auswahl des nächstbesten Alternativszenarios sind infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt. Entscheidend ist, ob das planerische Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. Anhaltspunkte liefert die Business Judgement Rule zur Überprüfung der Ermessensausübung bei unternehmerischen Entscheidungen. Dort gilt: Interessenkonflikte der Entscheidungsträger schließen unternehmerisches Ermessen in der Regel aus.
Gerichte müssen daher genauer hinsehen, wenn Organträger des Schuldnerunternehmens, die die Vergleichsrechnung vorgelegt haben, bei der Sanierung eigene Interessen oder solche nahestehender Personen verfolgen, sei es als Gesellschafter oder als Investoren.
Folgerungen für die Praxis
Verboten sind Interessenkonflikte nicht. Da die Unternehmensorgane in Sanierungsfällen auch die Interessen der Gläubiger zu wahren haben, müssen sie offengelegt werden. In Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG kann und sollte in solchen Fällen ein unabhängiger sachverständiger Dritter als Restrukturierungsbeauftragter die Vergleichsrechnung prüfen. Wo das nicht möglich ist, kann eine Fairness Opinion eines Wirtschaftsprüfers Transparenz schaffen.
*) Dr. Stephan Brandes ist Partner mit Schwerpunkten M&A, Finanzaufsichts- und Bankrecht, gerichtliche und schiedsgerichtliche Prozessführung bei der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz.