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Die unendliche Geschichte der Postbank-Übernahme

Der Einstieg der Deutschen Bank bei der Postbank liegt viele Jahre zurück, doch immer noch laufen Gerichtsverfahren. Vor dem BGH könnte nun endlich geklärt werden, wann Acting in Concert anzunehmen ist.

Die unendliche Geschichte der Postbank-Übernahme

Von Josef Hofschroer*)

Wer die Kontrolle über eine börsennotierte Gesellschaft erlangt, muss sämtlichen Aktionären ein Angebot zum Erwerb ihrer Aktien zu einem angemessenen Preis machen. Die Frage der Angemessenheit des angebotenen Preises beschäftigt derzeit am Beispiel einer prominenten Übernahme erneut den BGH.

Die Pflicht des Kontrollerwerbers, ein öffentliches Angebot an alle Aktionäre abgeben zu müssen, gibt den Aktionären die Möglichkeit, aus Anlass der Übernahme aus der erstmalig oder nunmehr von einem anderen Großaktionär beherrschten Gesellschaft auszusteigen. Um die Angemessenheit des anzubietenden Mindestpreises sicherzustellen, muss der Bieter mindestens den Durchschnittsbörsenkurs der letzten Monate und nicht weniger als den höchsten Preis anbieten, den er selbst in den letzten Monaten für Aktien der Zielgesellschaft vereinbart hat. Sämtliche Aktionäre sollen damit an der sogenannten Übernahmeprämie partizipieren, das heißt an dem Aufschlag, den ein Bieter zu zahlen bereit ist, wenn er nicht nur einen Prozentsatz an der Zielgesellschaft erwirbt, sondern wesentlichen Einfluss auf sie gewinnt.

Das Übernahmerecht ist unter anderem darauf ausgerichtet, „das Verfahren rasch durchzuführen“, wie es im Gesetz heißt. Wenn ein Bieter die Entscheidung trifft, ein öffentliches Angebot abgeben zu wollen, oder wenn er die Kontrolle über eine Gesellschaft erlangt, muss er diese Tatsache unverzüglich veröffentlichen. Anschließend muss er die Angebotsunterlage, die das öffentliche Angebot enthält, binnen vier Wochen der BaFin übermitteln. Diese prüft innerhalb von grundsätzlich zehn Werktagen. Unverzüglich nach dieser Prüfung hat der Bieter die Angebotsunterlage zu veröffentlichen. Die Angebotsfrist beträgt im Regelfall vier bis maximal zehn Wochen. Nach dem gesetzlichen Modell sollte ein öffentliches Angebot daher ca. 2,5 bis 4 Monate nach der Entscheidung zur Angebotsabgabe bzw. der Kontrollerlangung abgewickelt sein.

Dennoch steht heute noch nicht fest, welche Abfindung denjenigen Aktionären der Postbank zusteht, die im Jahr 2010 das Übernahmeangebot der Deutschen Bank angenommen, dann aber gegen die Angemessenheit des Angebots geklagt haben. Und diese Unsicherheit wird offenbar noch länger bestehen bleiben. Wie ist es dazu gekommen?

Auftakt im Jahr 2008

Die damalige Großaktionärin der Postbank, die Deutsche Post, hatte im September 2008 einen Vertrag mit der Deutschen Bank abgeschlossen. Danach sollte die Deutsche Bank in einem ersten Schritt 29,75% der Postbank-Aktien erwerben, zu einem Preis von 57,25 Euro je Aktie. Der Erwerb von 30% gilt nach dem Gesetz als Erwerb der Kontrolle über eine börsennotierte Aktiengesellschaft und löst die Pflicht aus, ein öffentliches Angebot abzugeben. Die Vereinbarung zwischen der Post und der Deutschen Bank sah zusätzlich wechselseitige Call- und Put-Optionen in Bezug auf weitere Postbank-Aktien vor. Bei Ausübung dieser Optionen wäre der Stimmanteil der Deutschen Bank bei der Postbank innerhalb der nächsten Jahre auf ca. 50% und damit deutlich über die Kontrollschwelle gestiegen.

Im Oktober 2010 – die Deutsche Bank hielt weiterhin unter 30% der Postbank-Aktien – gab die Deutsche Bank ein freiwilliges Übernahmeangebot ab, zu einem Preis in Höhe von 25,00 Euro je Postbank-Aktie. Hiergegen klagten Aktionäre mit dem Ziel, eine höhere Abfindung zu erhalten. Ihr Argument: Die Deutsche Bank habe bereits im September des Jahres 2008 die Kontrolle über die Postbank erlangt. Folglich hätte der angemessene Angebotspreis auf Basis des damaligen Preisniveaus und des damals von der Deutschen Bank für Aktien der Postbank gezahlten Preises ermittelt werden müssen. Der Angebotspreis wäre also um mehr als 100% zu erhöhen.

Nachdem das OLG Köln die Klage im Jahr 2012 abgewiesen hatte, bekam der BGH im Juli 2014 eine der seltenen Gelegenheiten, ein höchstrichterliches Urteil zum Übernahmerecht zu fällen. In einer für die Rechtsanwendung wegweisenden Entscheidung hob der BGH das Urteil des OLG Köln auf und verwies die Klage an das OLG zurück. Zwar waren die noch der Post gehörenden Postbank-Aktien nach der Entscheidung des BGH nicht aufgrund der vereinbarten Call- und Put-Optionen der Deutschen Bank zuzurechnen. Allerdings hielt der BGH es für möglich, dass die weiteren Vereinbarungen zwischen Post und Deutscher Bank so zu bewerten seien, dass beide in Bezug auf die Postbank in einer Weise zusammenwirkten, die als „Acting in Concert“ bezeichnet wird.

Das Gesetz will Aktionären einen Ausweg gewähren, wenn „ihre“ Gesellschaft unter neue Kontrolle gerät. Erwirbt ein Bieter 30%, fallen die übrigen Aktionäre unter diesen Schutz. Es soll nicht weniger Schutz bestehen, wenn zwei Aktionäre, die je 25% halten, sich zum Stimmverhalten und zur Durchsetzung einer neuen Strategie dauerhaft abstimmen. Das Gesetz sieht daher vor: Stimmen sich Parteien in einer solchen Weise in Bezug auf eine Zielgesellschaft ab, werden die den unterschiedlichen Parteien gehörenden Aktien jeweils allen Vertragspartnern zugerechnet.

Sollte die Deutsche Bank mit der Post ein Acting in Concert verabredet haben, wären ihr daher die noch von der Post gehaltenen Postbank-Aktien zuzurechnen gewesen. Die Deutsche Bank hätte damit schon vor ihrem Übernahmeangebot über der 30-Prozent-Schwelle gelegen und entsprechend früher ein Angebot abgeben müssen. Zur Ermittlung, ob Acting in Concert vorlag, verwies der BGH das Verfahren an das OLG Köln zurück.

Infolge dieser Entscheidung im Jahr 2014 hat das OLG Köln unter Auswertung der geschlossenen Verträge, die zu diesem Zweck von den Parteien weitgehend offengelegt werden mussten, und unter Ladung einer Vielzahl teils prominenter Zeugen umfassend Beweis erhoben. Im Dezember 2020 hat es dann die Klage erneut abgewiesen. Der Grund: Das Gericht konnte kein Acting in Concert feststellen. Wiederum legten die Kläger Revision ein, die am 20. September dieses Jahres vor dem BGH verhandelt wurde.

Urteil im Dezember

Das Urteil wird für den 13. Dezember erwartet, allerdings hat der BGH wohl in Aussicht gestellt, auch das neuerliche Urteil des OLG Köln aufzuheben und die Klage noch einmal zurückzuverweisen. Offenbar legt der BGH die Definition von Acting in Concert anders aus und hält auf dieser Grundlage die in den über zehn Jahren Verfahrensdauer betriebene Sachverhaltsaufklärung für nicht ausreichend.

Im Jahr 2014 hat der BGH das Postbank-Verfahren genutzt, um für die Transaktionsgestaltung wesentliche Fragen zu klären, unter anderem zu den Folgen eines verspätet abgegebenen Angebots, zur Behandlung von Optionen und zu den Umständen, unter denen Aktien einem Dritten mit dem Argument zugerechnet werden, dass sie für Rechnung dieses Dritten gehalten werden. Dazu, wann Acting in Concert vorliegt, gab es keine nennenswerte Auslegungshilfe.

Hohe praktische Relevanz

Zur Vorbereitung öffentlicher Übernahmen schließen Bieter vielfach Verträge mit Großaktionären ab. Einfachster Fall ist ein Vertrag zum Erwerb eines Aktienpakets, der nicht sofort, sondern erst nach Klärung regulatorischer Vorgaben oder Sicherung der Finanzierung vollzogen werden kann. Die Parteien müssen dann vertraglich vereinbaren, wie mit den Aktien in der Zwischenzeit umzugehen ist.

Die Frage, wann ein Acting in Concert anzunehmen ist, das zu einer sofortigen Angebotspflicht führt, ist daher von erheblicher praktischer Relevanz. Im Jahr 2018 hat der BGH in einem anderen Verfahren festgestellt, dass eine Verständigung der Parteien zur Stimmrechtsausübung, die lediglich einen Einzelfall betrifft, auch dann nicht als Acting in Concert zu werten ist, wenn dieser Einzelfall bedeutenden Einfluss auf die Ziel­gesellschaft hat. Im Übrigen fehlt es an höchstrichterlicher Klärung, etwa zu der Frage, ob für ein Acting in Concert eine Verständigung der Parteien auf die Ausübung von Stimmrechten (in mehr als nur einem Einzelfall) genügt oder ob zusätzlich erforderlich ist, dass die Parteien dadurch die Ausrichtung der Zielgesellschaft erheblich beeinflussen wollen. Viele Augen aus der Praxis sind daher auf den BGH gerichtet: Es besteht die Hoffnung, dass auch dieses Mal das Postbank-Verfahren zu mehr Klarheit für Rechtsanwender führt.

*) Dr. Josef Hofschroer ist Partner im Bereich Corporate/M&A der Wirtschaftskanzlei Greenberg Traurig in Berlin.