GastbeitragIm Kampf gegen Niedrigsteuerstaaten

Die ungewisse Zukunft der globalen Mindeststeuer

Die Mindeststeuer hat gewackelt, scheint aber nicht zu fallen. Über Unsicherheit und die Herausforderungen für Unternehmen in der Praxis.

Die ungewisse Zukunft der globalen Mindeststeuer

Die ungewisse Zukunft der globalen Mindeststeuer

Trotz Ausstieg der USA spricht vieles gegen ihre Abschaffung – Unternehmen vor großen Herausforderungen

Von Georg Bestelmeyer
und Nils Linnemann*)

Die Mindeststeuer hat viele Gegner, u.a. den US-Präsidenten Donald Trump, der gleich an Tag 1 seiner Amtszeit klarstellte, dass die USA unter seiner Führung das Projekt nicht länger unterstützen würden. Nach dem US-Ausstieg ist ihr Fortbestehen ungewiss. Es mehren sich allerdings die Zeichen, dass sie trotz aller Kritik nicht abgeschafft wird. Das Inclusive Framework on BEPS und die EU-Kommission treiben das Projekt weiter voran. Die deutsche Finanzverwaltung arbeitet aktiv an der Umsetzung in Deutschland.

Hohe Rechtsunsicherheit

Im Oktober 2021 wurde unter Schirmherrschaft der OECD und G20 ein breiter Konsens mit über 140 Staaten (Inclusive Framework on BEPS) für eine globale Mindestbesteuerung erzielt. Durch eine weltweite effektive Mindestbesteuerung in Höhe von 15% sollen Anreize für Steuergestaltungen und Gewinnverschiebungen in Niedrigsteuerstaaten reduziert werden. Die Mindeststeuer bricht dazu mit etablierten Besteuerungsgrundsätzen.

Im Fokus steht anders als „im herkömmlichen Steuerrecht“ nicht die einzelne Gesellschaft oder Betriebsstätte, sondern die Gesamtheit aller Einheiten innerhalb eines Staates. Im Rahmen eines sogenannten „Blendings“ wird die effektive Steuerbelastung über alle Einheiten ermittelt. Unterschreitet diese den Mindeststeuersatz, wird eine Ergänzungssteuer in der Höhe erhoben, die erforderlich ist, um die Mindeststeuerbelastung von 15 % herzustellen.

Dafür wird im Regelfall auf Prozesse der Konzernrechnungslegung zurückgegriffen, die ihrer Art nach für Informationszwecke der Gesellschafter und eben gerade nicht für Besteuerungszwecke gedacht sind. Auch dies ist neu. Zudem ist das Verhältnis dieser beiden Regelungsgedanken zueinander – wie so vieles – noch nicht abschließend geklärt.

Was in der Theorie zunächst einfach klingt, stellt betroffene Unternehmen vor große Herausforderungen. Dies ist auf hohe Rechtsunsicherheit durch die fortlaufende Anpassung des Regelwerks, divergierende nationale Auslegungen und die erstmalige Steuerrelevanz von Daten der Konzernrechnungslegung zurückzuführen.

Auch rücken bislang „stiefmütterlich“ behandelte Themen wie latente Steuern oder der länderbezogene Bericht („Country-by-Country-Reporting“, kurz CbCR) in den Fokus. Wurde das CbCR in der Vergangenheit oft als „lästige Compliance-Pflicht“ abgetan, ist eine konsistente und fehlerfreie Aufstellung heute Voraussetzung für die Inanspruchnahme wesentlicher Erleichterungsregelungen. Bestehende Prozesse nachvollziehbar zu dokumentieren und gegebenenfalls auf die Mindeststeuer hin zu optimieren, ist deshalb von hoher Bedeutung.

Vorreiterrolle und Zwickmühle

Die Europäische Union hat eine Vorreiterrolle bei der Implementierung der globalen Mindeststeuer eingenommen. Sämtliche Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die EU-Mindeststeuerrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland ist das Mindeststeuergesetz seit dem 1. Januar 2024 in Kraft. Es handelt sich um ein komplexes Regelwerk mit 101 Paragrafen.

Weltweit haben einige Staaten ebenfalls Mindeststeuern eingeführt. Bedeutende Volkswirtschaften wie Brasilien, China und Indien zeigen sich jedoch trotz ursprünglicher Zustimmung bis heute sehr zurückhaltend oder im Fall der USA sogar aggressiv ablehnend.

Für europäische Unternehmen stellt die Mindeststeuer deshalb aktuell einen Standortnachteil dar. Sie unterliegen bereits sehr umfangreichen Erklärungs- und Berichtspflichten, die nun durch Einführung einer globalen Mindeststeuer (und nationaler Mindeststeuern) weiter zunehmen. Dies ist ein Nachteil, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass im Einzelfall gar keine Ergänzungssteuer anfällt.

Knickt die Europäische Union ein, dürfte die globale Mindeststeuer endgültig gescheitert sein. Sie muss den Standortnachteil also vorübergehend in Kauf nehmen. Sie befindet sich in einer Zwickmühle.

Ein Dorn im Auge der USA

Die globale Mindeststeuer kennt drei Erhebungsmechanismen. Insbesondere die Sekundärergänzungssteuer war den USA ein Dorn im Auge. Mit der Sekundärergänzungssteuer wird eine Niedrigbesteuerung der obersten Muttergesellschaft (exemplarisch in den USA) ersatzweise auf Ebene nachgeordneter Gesellschaften erhoben und damit – global betrachtet – das Mindestbesteuerungsziel erreicht.

Dies wollte die USA nicht hinnehmen und drohte mit Strafsteuern und Handelsbeschränkungen. Der als Sec. 899 bekannte Gesetzentwurf befand sich bereits im Gesetzgebungsverfahren und wurde erst zurückgezogen, als sich die USA mit den übrigen G7-Staaten auf die Einführung eines „side-by-side“-Systems geeinigt hatten. Danach werden die US-Mindestbesteuerungssysteme GILTI und BEAT parallel zur (OECD-) Mindeststeuer fortbestehen und die (OECD‑)Mindeststeuer nicht auf US-Konzerne angewandt.

Faktisch sind die USA damit aus dem Projekt „globale Mindeststeuer“ ausgestiegen, auch wenn die US-Administration signalisiert, sich weiterhin gegen steuerlich motivierte Gewinnverlagerung engagieren zu wollen. Wie das im Kreise der G7-Staaten vereinbarte „side-by-side“-System in der Praxis umgesetzt werden soll, ist noch weitestgehend unklar.

Deutsche treiben Einführung voran

G7 und Europäische Union stehen nun vor der Herausforderung, die erzielte Einigung möglichst kurzfristig umzusetzen. Dem Vernehmen nach sind keine wesentlichen Anpassungen der EU-Mindeststeuerrichtlinie erforderlich.

Deutschland hat hier aufgrund der zwingend umzusetzenden Richtlinie keinen eigenen Handlungsspielraum und kann die Regelungen im Alleingang weder grundlegend reformieren noch abschaffen. Dessen ungeachtet fordern CDU-Landesfinanzminister und zuletzt auch Bundeskanzler Merz die Abschaffung der Mindeststeuer. Sie argumentieren, die Reform sei spätestens mit dem Ausstieg der USA gescheitert und verursache viel Aufwand bei nur geringem Steueraufkommen. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Klingbeil hingegen setzt sich weiterhin für die globale Mindestbesteuerung ein.

Umsetzung in Deutschland

Die steuerpolitischen Akteure in Deutschland sind also weiterhin uneins. Ähnlich las sich bereits der Koalitionsvertrag. Dort heißt es, man halte an der globalen Mindeststeuer fest, wolle sich aber dafür einsetzen, „dass daraus keine Benachteiligung unserer Unternehmen im internationalen Wettbewerb resultiert“. Die aktuelle Haushaltslage und Diskussionen um Einschnitte im Sozialsystem macht die Abschaffung ganzer Steuerarten unwahrscheinlich. Die seit fast einem Jahr kursierenden Entwürfe eines Mindeststeueranpassungsgesetzes, die zwischenzeitliche Entwicklungen auf Ebene des OECD-Inclusive Framework nachziehen und redaktionelle Fehler beseitigen sollen, haben sich mittlerweile in einem Referentenentwurf konkretisiert.

Zudem hat das Bundesministerium der Finanzen zwischenzeitlich bereits weitere sehr umfangreiche Schreiben zu fachlichen und technischen Details der Umsetzung in Deutschland veröffentlicht. Dies zeugt davon, dass jedenfalls die deutsche Finanzverwaltung die Implementierung weiterhin vorantreibt – auch unter der neuen Regierung.   

Unsicherheit bleibt

Die Mindeststeuer hat „gewackelt“, scheint aber nicht zu fallen. Was bleibt, ist große Unsicherheit. Umso mehr ist nun dringend eine Klarstellung geboten, wie das „side-by-side“-System zur Ausnahme von US-Konzernen umgesetzt werden soll.

Zudem zeigen die ersten Erfahrungen, dass die Erleichterungen des CbCR-Safe Harbours (vereinfachte Berechnungen: ist mindestens ein Test erfüllt, beträgt die Mindeststeuer in dem jeweiligen Staat null und aufwändige Detailberechnungen entfallen) ihre eigenen Tücken haben und längst nicht in allen Fällen vollständige Steuerberechnungen vermeiden können.

Ferner haben längst nicht alle Staaten die Mindeststeuer einheitlich umgesetzt bzw. die Auslegung der Regelungen scheint stark von dem jeweiligen nationalen Steuersystem geprägt zu sein.

Große Hoffnung liegt hier auf künftigen Streitbeilegungsmechanismen. Für betroffene Unternehmen empfiehlt es sich, den Kurs beizubehalten und ihre Implementierungsprojekte fortzusetzen. Dies gilt ironischerweise auch für US-Konzerne, denn nationale Mindeststeuern – und eine solche existiert auch in Deutschland – sollten trotz „side-by-side“-Ansatz weiterhin Anwendung finden.

*) Dr. Georg Bestelmeyer und Dr. Nils Linnemann sind Steuerberater und Assoziierte Partner bei Flick Gocke Schaumburg in Stuttgart bzw. Düsseldorf.

*) Dr. Georg Bestelmeyer und Dr. Nils Linnemann sind Steuerberater und Assoziierte Partner bei Flick Gocke Schaumburg in Stuttgart bzw. Düsseldorf.