GastbeitragM&A

Divestment-Strategien als Antwort auf den strukturellen Wandel

Viele Unternehmen müssen sich an einen strukturellen Wandel anpassen. M&A-Transaktionen können dabei eine wichtige Rolle spielen.

Divestment-Strategien als Antwort auf den strukturellen Wandel

Die Neuausrichtung von Unternehmensstrukturen ist gerade in Zeiten des strukturellen Wandels untrennbar mit robusten und gut durchdachten Erwerbs- oder Verkaufsstrategien verbunden. Dabei ist es essenziell, auch und gerade in einem Krisenumfeld als Ausgangspunkt die strategischen Ziele des Unternehmens und einer möglichen M&A-Transaktion zu bestimmen – um anschließend mit den sehr flexiblen rechtlichen Instrumenten die konkrete Transaktion auszugestalten und diese Ziele zu erreichen.

M&A als eine Antwort auf strukturellen Wandel

Wir leben in einer Zeit des strukturellen Wandels – strukturell deshalb, weil er nicht das Ergebnis eines Einmaleffektes oder eines globalen Ereignisses allein ist, sondern die Reaktion auf eine Vielzahl äußerer Einflüsse: technologische Innovationen, globaler Wettbewerb, gesellschaftliche Trends oder politische Entscheidungen, die sich über Jahre kumuliert haben.

Bei einem strukturell bedingten Wandel geht es tendenziell um tiefgreifende und langfristige Veränderungen einer Volkswirtschaft, eines Marktes oder einer Gesellschaft. Diese Veränderungen betreffen wirtschaftliche Strukturen, wie zum Beispiel Branchen, Technologien, Arbeitsmärkte oder Produktionsprozesse – und natürlich Unternehmensstrukturen, die unter Umständen über viele Jahrzehnte gewachsen sind.

Auf diese sektorübergreifenden externen Herausforderungen reagieren Unternehmensinhaber und Manager häufig mit Erwerbs- oder Verkaufsstrategien. Aus rechtlicher Sicht stehen dahinter Carve-outs oder M&A-Transaktionen, in denen Unternehmen in Gänze oder in Teilen einen neuen Eigentümer suchen und der Verkauf von Unternehmensbereichen als Weg zu einem Neuanfang gesehen wird: ein Neuanfang für das zu verkaufende Unternehmen, weil es etwa unter dem Einfluss eines neuen Eigentümers in eine veränderte und idealerweise ertragssteigernde Geschäftsstrategie eingebunden wird; ein Neuanfang aber unter Umständen auch für das verkaufende Mutterunternehmen, das sich durch den Verkauf einen Liquiditätszufluss erwartet, mit dessen Hilfe zum Beispiel neue Investitionen finanziert oder bestehende Fremdverschuldungen zurückgeführt werden sollen.

Strukturierung als wichtigste Hausaufgabe

Die strategischen Motivationen für Unternehmensverkäufe können vielfältig sein – und genau dort setzt auch die rechtliche Arbeit an, wenn es darum geht, wie der Unternehmensverkauf strukturiert werden soll. Wer diese anfängliche Bestandsaufnahme überspringt oder zu leichtherzig behandelt, setzt sich dem Risiko aus, Kosten, Zeit und Ressourcen für eine Transaktion aufzuwenden, die ihr eigentliches Ziel verfehlt oder nicht die gewünschte Investorenklasse anspricht.

Wer Erwerbs- oder Verkaufsstrategien einsetzt, um eine Unternehmensstrategie zu verfolgen, sollte mit der Strukturierung als wichtigste Hausaufgabe beginnen. Die Transaktionsstruktur wird bestimmt von der Antwort auf die strategische Frage, in welcher Form der Verkauf zu erfolgen hat, zum Beispiel bilateral im Rahmen einer Exklusivität oder als Bieterverfahren.

Viele Ausgangsfragen

Weiter ist zu fragen, welches die operativen Risiken sind, die im Rahmen einer Due Diligence zutage treten werden. Gibt es finanzielle Risiken für die zu verkaufenden Unternehmensteile? Soll es ein Verkauf einzelner Vermögenswerte sein (Asset Deal) oder ein Beteiligungsverkauf (Share Deal)? Welche steuerlichen Auswirkungen hat das Herauslösen eines Geschäftsbereichs? Welche Garantien oder Mithaftungen gibt es, die bei einem Verkauf abzulösen sind? Welche Auswirkungen hat die gewählte Struktur auf die Arbeitnehmer, die mit dem Unternehmen übertragen werden müssen? Gibt es umweltrechtliche Risiken? Welche Jurisdiktionen sind betroffen?

Die Liste der strukturellen Ausgangsfragen lässt sich umfangreich weiterführen; die Antworten spielen eine entscheidende Rolle für die optimale Gestaltung eines Unternehmensverkaufs bzw. -kaufs. So besteht bei einem Asset Deal die Möglichkeit eines selektiven Erwerbs („cherry picking“), bei dem nur bestimmte Vermögensgegenstände übernommen werden können. Dagegen unterliegt ein Share Deal zum Teil Formvorschriften, die für die Wirksamkeit der Transaktion entscheidend sind, während gleichzeitig die gesamte „Unternehmenshülle“ einschließlich aller Vermögensgegenstände, Forderungen und Verbindlichkeiten übertragen wird.

Krisenumfeld bringt zusätzliche Komplexität

Das gilt umso mehr, wenn der Unternehmensverkauf in ein Krisenumfeld eingebettet ist, also etwa der zu verkaufende Unternehmensteil nicht ertragskräftig und insoweit ein „Non-Performing-Asset“ ist, oder genau andersherum: der zu verkaufende Unternehmensteil ist das Tafelsilber, das vom Mutterkonzern zu Zwecken der Liquiditätsbeschaffung verkauft werden soll.

Vor allem in einem Krisenumfeld oder wenn der M&A-Prozess Teil einer umfassenden Unternehmenssanierung ist, gesellen sich zu den strukturellen Überlegungen mögliche Haftungs- und Anfechtungsrisiken. Was passiert, wenn ein Unternehmen nach dem Verkauf einzelner Vermögenswerte insolvent wird, und in welchem Umfang kann eine Transaktion im Nachgang insbesondere im Wege der Anfechtung des Kaufvertrages durch den Insolvenzverwalter angegriffen oder gar rückgängig gemacht werden? Welche wirtschaftlichen Risiken sind zu berücksichtigen? In welchen Situationen können sich für den verkaufenden Gesellschafter nachgelagerte Haftungsrisiken ergeben, weil er im Zuge des Verkaufs eine nicht mehr ausreichend ausgestattete Unternehmenseinheit zurückgelassen hat, welche die Ansprüche ihrer Gläubiger nicht mehr hinreichend bedienen kann?

Es sind solche Fragen, die bei Erwerbs- oder Verkaufsstrategien in einem Krisenumfeld ergänzend hinzukommen und typischerweise die Transaktionsstruktur von Beginn an beeinflussen. Im Wege der Vertragsgestaltung können Risiken mitigiert werden, wodurch ein möglichst hoher Grad an Robustheit in die Transaktion gebracht wird, sowohl aus Verkäufer- als auch aus Investorensicht.

Timing als wichtiger strategischer Faktor

Der Erfolg einer Erwerbs- oder Verkaufsstrategie ist aber natürlich nicht allein von rechtlichen Rahmenbedingungen geprägt, sondern gleichermaßen von der zeitlichen Erwartungshaltung und damit verbunden dem Markt zum Zeitpunkt der Investorenansprache. Sofern ein Verkauf in einem engen zeitlichen Rahmen umgesetzt werden muss und dieser Zeitdruck nach außen hin für potenzielle Investoren erkennbar wird, besteht ein nicht geringes Risiko, dass der Prozess als sogenannter „Fire-Sale“ angesehen wird und potenzielle Erwerbsinteressenten sich den Zeitdruck des Verkäufers zu Nutze machen.

In Krisenszenarien wird der Verkauf eines Unternehmens häufig durch finanzierende Banken gesteuert, die sich eine möglichst vollumfängliche Rückzahlung der von ihnen in der Vergangenheit an das Unternehmen ausgereichten Finanzierungen erwarten. Dann wird das zeitliche Element auch teilweise so behandelt, dass die Unternehmensbeteiligung in einer sogenannten doppelseitigen Treuhand geparkt wird – um entweder einen günstigeren Marktzyklus abzuwarten oder die zu verkaufende Gesellschaft operativ zu stärken und so auf ein Verkaufsszenario mit größerem Investoreninteresse vorzubereiten.

Besonderheiten bei Restrukturierungen

Treffen M&A-Transaktionen und Restrukturierungen aufeinander – wie im aktuellen Marktumfeld häufig – gibt es viele weitere Spielarten, welche die Plattform für einen Investoreneinstieg bilden können. Je nach Ausgangslage kann der Unternehmensverkauf auch in ein gerichtlich begleitetes Sanierungsverfahren eingebettet werden, zum Beispiel in einen Restrukturierungsplan nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), oder in ein Schutzschirmverfahren, bei dem ein Investoreneinstieg mittels eines Insolvenzplans umgesetzt werden kann.

Es gibt viele Gestaltungswege, um Erwerbs- oder Verkaufsstrategien auf einen sich wandelnden Markt, sich veränderndes Konsumverhalten sowie auf weitere Herausforderungen wie die zunehmende Digitalisierung auszurichten. Entscheidend bleibt, die Zielstellung einer solchen Transaktion von Beginn an klar und unmissverständlich herauszuarbeiten und mit Ungewissheiten so umzugehen, dass sie gestaltend umrahmt werden können, ohne den Verkauf ins Risiko zu setzen.

Dr. Sabine Vorwerk und Martina Farkas sind Partnerinnen bei Linklaters